Man kennt das gerade zu dieser Jahreszeit nur zu gut: Da werden mit Titeln dekorierte sogenannte Experten vor die Kameras gezerrt, um dem Volk zu erzählen was denn im kommenden Jahr so zu erwarten sei. Anstatt verlegen aber zumindest ehrlich ein “Das weiβ ich auch nicht so genau….” ins Mikrofon zu flüstern, schwadronieren die Befragten darauf im Brustton vollster Überzeugung irgendwas daher, dass manchen unbedarften Zuschauer dazu neigen lässt, dann doch wieder ins Bett zu gehen und den Wecker aus nächste Jahr zu stellen, da dieses nun ja schon geklärt ist: Natürlich wird Hillary Clinton neue US-Präsidentin, niemals werden die Briten so doof sein und die EU verlassen und was kulturelles angeht, so solle man sich auf die nächten 20-30 Jahre Spätwerk von Prince freuen, der sei ja im Moment so was von gut drauf…

 Wenn sich diese Prognosen nach wenigen Monaten dann als hanebüchenster Unsinn erweisen kommt erstaunlicherweise niemand auf die Idee diese Koryphäen zur Rede zu stellen, sie aufzufordern sich zu entschuldigen oder rechtfertigen für den kompletten Quatsch den sie da vorhergesagt hatten. Nein, ganz im Gegenteil: all das scheint komplett vergessen zu sein. Statt dessen dürfen dieselben dubiosen Gestalten nun ohne zu erröten erklären warum es  komplett anders gekommen ist: war doch ganz klar, dass die untere weiβe Mittelschicht Trump ins Amt hieven würde und das jahrzehntelange Anti-EU-Propaganda im Vereinigten Königreich letztendlich Wirkung zeigen würde und das Prince eigentlich froh sein konnte die 30 jemals erreicht zu haben bei seinem Lebenswandel. Ein Blinder mit Krückstock hätte all das locker vorhersagen können; dummerweise hat ihn niemand danach gefragt…

Da der Fuβball noch schnelllebiger als Politik und Weltgeschehen ist, funktionieren dieselben Mechanismen auch hier  formidabel und auch ein Online-Fanzine wie Seitenwahl macht seit fast 20 Jahren munter mit bei diesem Spielchen: Vor jeder Saison werden dort fachkundigst formulierte Vorschauen zu jedem Verein verbreitet, die im nachhinein aber niemand hinterfragt. So prognostiziert da im August der Schreiberling Heinz-Peter Müller (Name von der Redaktion geändert, um Unschuldige zu schützen), dass der HSV mit Top-Einkäufen den Sprung in die obere Tabellenhälfte schaffen wird, während Eintracht Frankfurt ein klarer Abstiegskanidat sei. Wie sich zeigt, ist genau das Gegenteil der Fall. Aber statt reuevoll seine Inkompetenz einzugestehen, verfasst derselbe Autor anfang 2017 eine beissende selbstverliebte Kritik an Menschen die versuchen Prognosen zu tätigen…viel paradoxer könnte es kaum sein.

Die Seitenwahl Saisonvorschau werden wir uns erst näher anschauen, wenn die Serie im Sommer vorüber ist. In diesem Artikel widmen wir uns zunächst der anderen regelmässigen Prognose auf diesen Seiten: den Spieltagtipps. 1-2 Tage vor jedem Pflichtspiel der Borussia stellt Seitenwahl einen Vorbericht ins Netz, der damit endet dass alle Redakteure ihren persönlichen Tipp für das Spiel abgeben, typischerweise mit ein oder zwei erklärenden Sätzen dazu. Die bereits skizziert typische Dynamik greift auch hier: sobald das Spiel vorbei ist, schaut niemand mehr auf diese Prognosen. Damit soll nun Schluss sein: mit Einsatz rigoroser wissenschaftlicher statistischer Methoden werden wir in Zukunft regelmässig die Prognosen von Seitenwahl sezieren und der Redaktion auf die Finger schauen.

Schauen wir uns dazu erstmal die vorhandenen Daten an: Seit der Sommerpause hat die Borussia 26 Pflichtspiele bestritten: 16 in der Liga, 8  in der Championsleague und 2 im Pokal. Dabei gab es 9 Siege, 6 Unentschieden und 11 Niederlagen bei einem Torverhältnis von 32:39. Auf der anderen Seite haben wir die Seitenwahltipps: seit man sich im Vorjahr in der Breite verstärkte, gibt es 8 aktuelle SW-Mitarbeiter, die sich an den Tipps beteiligen. Auf Grund beruflicher und familiärer Belastung schaffen es allerdings nicht alle Redakteure mitzutippen, so dass nur gut 76% der möglichen Tipps im gefragten Zeitraum eingingen, also im Durchschnitt 6 der 8 Redakteure am Tipp für eine spezielles Spiel teilnahmen. Die fleissigsten Tipper waren dabei Seitenwahl-Urgestein Michael Heinen und Redaktions-Pessimist Christian “Heaven knows I’m miserable now” Spoo, die als einzige an jedem Tipp beteiligt waren, dicht gefolgt von den Herren Mayer (als Neumitglied offensichtlich darum bemüht sich mit Fleisspunkten bei den Kollegen beliebt zu machen) und der Berliner SW-Aussenstelle Thomas Häcki, die nur einen bzw zwei Tipps verpassten. Seitenwahl-Fotograph Volkhard Patten (19), Christoph Clausen (17) und Neuzugang Uwe Pirl (13) waren immerhin noch an mindestens der Hälfte der Tipps beteiligt, wohingegen Christian Heimanns es mit nur 9 Tipps in dieser Hinrunde eher locker angehen liess. Wie bereits gesagt, werden die Gründe für mangelnde Teilnahme von Fall zu Fall verschieden sein, aber man kann vermuten, dass die ungewöhnlich hohe Anzahl der Spiele auch ein Faktor dabei war.

Um etwas mehr über das typische Tippverhalten der Seitenwähler rauszufinden haben wir uns auf die Bundesligaspiele beschränkt und für jeden Teilnehmer berechnet wie viele Punkte die Borussia auf Grund seiner Tipps jetzt nach 16 Spieltagen haben würde. Bei fehlenden Tipps wurde dabei der Durchschnitt der vorhandenen Tipps auf die 16 Spiele hochgerechnet. Es ergibt sich von optimistisch bis pessimistisch die folgende Reihenfolge

1)    Patten: 48

2)    Pirl: 36

3)    Mayer: 29

4)    Heinen: 29

5)    Clausen: 24

6)    Spoo: 21

7)    Heimanns: 20

8)    Häcki: 15

Die 48 prognostizierten Punkte von Volkhard Patten sollte man wohl nicht ganz so ernst nehmen, da der SW-Foto-Künstler es sich anscheinend zur Devise gemacht hat dem Team seine Unterstützung durch grösstmöglichen Optimismus zu zeigen; man kann davon ausgehen, dass die meist klaren Sieg-Vorhersage nicht immer seiner eigentlichen Erwartung entsprachen. Insgesamt aber bezeichnend, dass 7 von 8 Redakteuren mehr Punkte für die Borussia ertippt hatten als sie einfuhr, ein weiteres Indiz dafür wie weit unsere Mannschaft in den letzten Monaten hinter den Erwartungen blieb. Für Seitenwahl-Kenner mag es eine Überraschung sein, dass das “Spoorakel” hier nicht der pessimistischte Tipper war, aber Schubert-Skeptiker  Häcki hatte letztendlich die düsterste aber leider auch realistischte Prognose und lag nur ein Punkt neben der tatsächlichen mageren Ausbeute.

An dieser Stelle ist ein kurzer Einschub angebracht, um klarzustellen, dass die soeben erfolgte Analyse fragwürdig ist. Das SW-Tippspiel gilt für einzelne Spieltage ist und beabsichtigt nicht eine Gesamtsaison vorherzusagen. Der Gedanke dass man durch Aufsummierung einzelner Tips eine Prognose für die Saison oder in diesem Fall Halbrunde erhält mag zwar nahe liegen ist aber grundfalsch. Das lässt sich am einfachsten an einem hypothetischen Fall von nur 2 Teams erklären, bei denen es nur Sieg ode Niederlage gibt und wo wir wissen dass Team A in 70% der Fälle typischerweise gewinnt. Nehmen wir an es gibt nun eine Serie von 100 Spielen der beiden Mannschaften, die wir vorhersagen wollen. Als Gesamttipp würden wir 70 Siege für A vorhersagen. Will man nun aber daraus einen Tipp für die einzelnen Spiele stricken, hiesse das man 70 Siege irgendwie auf die 100 Spiele verteilen muss. Macht man das, so wird bei 70% der 70 Spiele die man für A getippt hat, A auch gewinnen, so dass man 49 richtige Tipps erwartet. Hinzu kommen 30% der 30 B-Tipps, also noch mal 9 richtige und insgesamt 58. Tippt man jedoch IMMER auf A kann man mit 70 richtigen Tipps rechnen und würde damit beim Buchmacher auf jeden Fall mehr Geld Machen. Als Gesamttipp hingegen würden diese 100 Siege Team A stark überschätzen. Wie gesagt: das Tippen einzelner Spieltage und einer kompletten Saison sind zwei verschiedene Aufgaben für die es verschiedener Strategien bedarf.

 Aber da ich beim Schreiben merke wie der ein oder andere Leser langsam ungeduldig wird, zurück zum Thema: wie gut/schlecht sind die SW-Tipps denn nun gewesen? Wir haben uns dabei zwei Werte angeschaut: die erzielten Punkte für Borussia und die Tordifferenz pro Spiel (d.h. wir unterscheiden nicht zwischen einem 2:0 und einem 5:3, dies geschieht im wesentlich um die Datenverarbeitung einfacher zu halten). Bei insgesamt 159 abgegebenen Tipps wurde 75 mal die korrekte Punktzahl abgegeben, das sind 47%, was immerhin deutlich besser ist als wenn man jeweils mit 1/3 Wahrscheinlichkeit Sieg, Unentschieden oder Niederlage vorhersagen würde. Was die Tordifferenz angeht so haben wir für jeden Redakteur die statistische Korrelation zwischen Vorhersage und wahrem Ergebnis berechnet. Die Korrelation ist ein Wert der zwischen -1 und 1 liegt, wobei +1 heisst, dass die Tipss perfekt vorhersagen (sich allerdings um einen konstanten Faktor unterscheiden können), -1 heisst, dass die Tipps genau das Gegenteil vorhersagen und ein Wert von 0 bedeutet absolut keinen Zusammenhang zwischen beidem. Wir können erleichtert konstatieren, dass die Werte für alle Redakteure deutlich über 0 lagen und zwischen 0.28 (Patten) und 0.75 (Heimanns) variieren.

Will man nun die Redakteure nicht nur mit dem Zufall sondern miteinander vergleichen, kommt man nicht umhin ein Punktverteilungssystem einzuführen. Der Einfachheit halber vergeben wir für die richtige Tendenz (0,1,3 Punkte) einen Punkt und für ein zusätzlich korrektes Torverhältnis einen weiteren. Summiert man diese Punkte einfach über die 26 Spiele auf, kommt man zum folgenden Ergebnis: 

1)    Spoo: 18

2)    Heinen: 16

3)    Häcki: 15

4)    Mayer: 12

5)    Clausen, Pirl: 8

7)    Heimanns, Patten: 7

Allerdings werden dabei diejenigen massiv bestraft, die weniger Tipps abegeben habe, deswegen hier die Alternativtabelle wenn man wiederum die Daten fehlender Tipps durch den Durchschnitt der vorhandenen ersetzt.

1)    Heimanns: 20.2

2)    Spoo: 18

3)    Häcki: 16.25

4)    Heinen, Pirl: 16

6)    Mayer: 12.5

7)    Clausen: 12.2

8)    Patten: 9.6

Da die Seitenwahltipps nicht die Absicht haben einen “Tippkönig” zu bestimmen, sondern eher ein unterhaltsamer Abschluss des Vorberichts sein sollen, ersparen wir uns hier längere Diskussion wer nun wirklich “der Beste” Tipper in der Hinrunde war (auch wenn ich annehme, dass es bei Spoos und Heimanns daheim klare Ansichten dazu gibt).

Es gäbe noch einige weitere interessante Dinge die man an den Tippdaten untersuchen könnte, aber das würde den Rahmen dieses Artikels sprengen,  vielleicht kommen wir im Sommer darauf zurück. Wollen wir hoffen dass, wenn schon nicht die Tipps der Seitenwahl-Redaktion, dann doch zumindest die Ergebnisse der Borussia im Jahr 2017 besser werden als sie es zuletzt waren.