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"Dabei sein ist alles“ – der in diesen Tagen immer wieder zitierte Leitspruch für Athleten bei den Olympischen Spielen hat auch für Borussia im Vorfeld dieser Saison lange nicht mehr eine so große Bedeutung. Man will in Mönchengladbach nach Platz 4 in der vergangenen Saison nicht nur europäisch spielen, sondern sich nach 16jähriger internationaler Abstinenz gleich mit den Besten Europas messen, die Champions League und damit auch die großen Geldtöpfe erreichen. Gleichzeitig gilt die Freude über eine bloße Partizipation am Wettbewerb seit langem nicht mehr so wenig für die Bundesliga, in der man sich von Zielen wie ‚Klassenerhalt‘ oder einer „sorgenfreien Saison“ nach dem vergangenen Spitzenjahr zwangsläufig verabschieden musste.

Die Verantwortlichen der Borussia können noch so tapfer versuchen, die Erwartungshaltung weiter auf dem Niveau der vergangenen Jahre zu halten und das "feine Gespür" der Anhängerschaft beschwören - allein wird ihnen dies spätestens nach der beherzten Einkaufspolitik in dieser Sommerpause kaum vollends gelingen. Auch wenn Borussia eine wichtige Achse in der Mannschaft abhanden gekommen ist - Investitionen von über 30 Millionen Euro wecken zwangsläufig Begehrlichkeiten und beflügeln die Phantasie des Umfelds.

Umso stärker liegt der Fokus in diesem Sommer auf der Suche nach der „neuen Borussia“. Da ist von Seiten eifriger Trainingsbeobachter von mehr taktischer Flexibilität die Rede, einem besonders in der Offensive breiter aufgestellten Kader und einer gelungenen Integration der Neuzugänge. Auf der anderen Seite zeigt sich Lucien Favre besonders in dieser Phase stark abwehrend gegenüber nahezu allen positiven Vergleichen des aktuellen Kaders mit der Erfolgsmannschaft der vergangenen Saison. Viele Leistungsträger seien gegangen und knapp sei die Zeit, um aus dem vorliegenden Kader eine schlagkräftige Mannschaft zu formen. Dass Wahrheiten sich meisten irgendwo in der Mitte befinden, ist in diesem Fall keine bloße Phrase. Denn es scheint genau dieses beschriebene Spannungsverhältnis zu sein, das über einen erfolgreichen Saisonstart des VfL entscheiden wird.


So positiv die Trainingseindrücke allen voran im idyllischen Alpenvorland von Rottach-Egern gewesen sein mögen, so sehr die bisherigen Spieler aus der zweiten und dritten Reihe eine sichtbare Entwicklung nachweisen konnten und Neuzugänge wie Xhaka („Schon der Chef“), De Jong („Unglaublich abschlussstark“) oder Hrgota („DIE Überraschung der Vorbereitung“) vor allem den Boulevard verzücken konnten, so wenig gaben gerade die Testspieleindrücke Grund zu der Annahme, dass die Mannschaft schon jetzt bereit für höhere Bundesliga-, geschweige denn Champions-League- Aufgaben sein könnte.

Zwar fallen Veränderungen am Spielstil der Mannschaft schnell ins Auge, wird die Konzentration auf Ballbesitz und das schnelle Kurzpasspiel sichtbar und führt zu teilweise wirklich sehenswerten Kombinationen; doch fehlt es andererseits in der Defensive an der mannschaftlichen Kompaktheit – vielleicht dem großen Erfolgsgaranten der vergangenen eineinhalb Jahre – wohingegen offensiv noch nicht absehbar ist, welcher oder welche Spieler sich neben Juan Arango als dringend benötigte Fixpunkte im Spiel nach vorne etablieren werden.

Peniel Mlapa wird dies nach seiner Verletzung auf lange Sicht nicht sein, was nach den ersten Trainingswochen aber auch eine Überraschung dargestellt hätte. Luuk De Jong wirkt noch nicht spritzig genug und wird wohl mindestens die gesamte Vorbereitung ausreizen müssen, um in der Mannschaft anzukommen, geschweige denn der Torjäger zu werden, den sich alle Anhänger der Fohlen erhoffen. Hanke fehlte bislang verletzt – bleibt Igor De Camargo. Im Zuge des Transferhypes fast schon abgeschrieben, scheint er momentan der einzige Stürmer, der zugleich fit wie vollends in die Mannschaft integriert ist. Trotz seiner sichtbar guten Verfassung ist die Suche nach der richtigen Mischung im Angriff damit aber kaum gelöst.

Granit Xhaka fühlt sich als Mann hinter den Spitzen offenbar nicht allzu wohl und scheint weder taktisch noch physiognomisch besonders gut in eine Rolle zu passen, die im modernen Fußball in der Regel von schnellen Spielern mit Stärken im Eins-gegen-Eins ausgefüllt wird. Folglich ist seine Interpretation vielmehr die eines klassischen Zehners, der die einzige Spitze eher bedient, als sie zu ergänzen. Hier deutet sich für Borussia bereits ein mögliches Problem an: Auch wenn der Kader in der Breite in der Tat etwas besser besetzt scheint als in der vergangenen Saison, sind bestimmte Spielertypen recht rar gesät: So fehlt es außer den zuletzt ausgefallenen Herrmann und Ring an schnellen Außenspielern, die eine mögliche „Variante Xhaka“ als mittleres Glied der offensiven Dreierreihe adäquat ergänzen könnten – es sei denn, die jungen Younes und Hrgota werden von Lucien Favre als ernsthafte Alternativen für die Flügel in Erwägung gezogen. Dies darf jedoch trotz guter Leistungen in der Vorbereitung zunächst bezweifelt werden, zumindest wenn man das Wechselverhalten des Trainers aus der vergangenen Saison und seiner Zeit in Berlin zu Grunde legt.

Der 4-2-3-1-Variante mit Arango, Xhaka und Rupp, die gegen den VfL Bochum auflaufen durfte, fehlte es sichtlich an der nötigen Dynamik, um den Gegner dauerhaft unter Druck setzen zu können. So kann gerade bei Lukas Rupp attestiert werden, dass es sich zweifellos um einen guten, potenziell gar sehr guten Fußballer handelt, der bislang jedoch nicht die Dynamik und Frechheit aufbringen konnte, um sich junger Offensivmann nachhaltig in den Vordergrund zu spielen. Borussia wird auf dieser Seite wohl zunächst weiterhin auf das Duo Herrmann/Ring vertrauen müssen, die beide den überwiegenden Teil der Vorbereitung verpassten. 

Auf der Doppelsechs, wo Tolga Cigerci schon durchaus andeuten konnte, dass er die im Sommer 2013 fällige satte Ablösesumme tatsächlich wert sein könnte, scheint man auf den ersten Blick gewappnet. Fußballerisch gewinnt Borussia, soviel kann schon zum jetzigen Zeitpunkt recht zuversichtlich behauptet werden, Qualität hinzu. Doch kann Harvard Nordtveit allein die Löcher stopfen wie zuvor in Tandem mit seinem ehemaligen Kollegen, dem lauffreudigen Neu-Schalker? Bisher haben weder Cigerci noch Xhaka, deren Blick stets mehr nach vorne gerichtet ist, selbst in den Testkicks gegen zweitklassige Gegner eine vergleichbare Kompaktheit herstellen können. Versuche mit Nordtveit als Innenverteidiger stellen aus diesem Grund weniger aufgrund dessen fehlender Fähigkeiten, als vielmehr wegen der dann möglichweise mangelnden Aggressivität im zentralen Mittelfeld nur eine absolute Notlösung dar.

Die Abwehr ist bisher aufgrund des Fehlens von Neuzugang Alvaro Dominguez und den zahlreichen Testballons des Trainers in der Innenverteidigung am schwersten zu bewerten. Im besten Fall kann man darauf hoffen, die Qualität der Vorsaison beibehalten zu können. Schwächeln aber die im letzten Jahr fast schon überraschenden Stützen Jantschke, Brouwers oder Daems (wofür es gerade beim Kapitän bisher keine Anzeichen gibt) oder setzt sich die Verletzungsanfälligkeit beim wichtigen Ruhepool Martin Stranzl weiter fort, bleibt die Lage bei den Alternativen fast unverändert. Wendt versucht sich aufzudrängen, Zimmermann tut sich nach wie vor schwer mit dem nächsten Schritt. Vielleicht kann der junge Julian Korb, den der Trainer dem Vernehmen nach sehr schätzt, früher oder später als Defensivallrounder überraschen. Generell verbessert werden muss das Defensivverhalten bei Standards – hier geriet man gegen alle drei Zweitliga-Testgegner immer wieder unter Druck. Marc-André ter Stegens knapp ein halbes Duzend relativ dicker Patzer bei der Strafraumbeherrschung in diesen Spielen wurden von der begleitenden Berichterstattung bisher gekonnt verschwiegen – offenbar weil dort wohl ebenso wie beim Autor dieser Zeilen die Hoffnung besteht, dass die Blackouts nicht etwa auf die schrittweise Entwicklung eines „Schweiz-Traumas“ aus seinem Nationalmannschafts-Debüt, sondern lediglich auf temporäre Unkonzentriertheiten zurückzuführen waren.

Derlei kurze Einblicke in den Leistungsstand des Borussen-Kaders mögen letztlich nur subjektive Wasserstandsmeldungen aus der Vorbereitung wiederspiegeln und dürfen folglich keinesfalls überbewertet werden. Einige potenzielle Gefahrenherde für eine erfolgreiche Gladbacher Saison 2012/13 sind jedoch trotz der guten Testergebnisse und individuellen Trainingseindrücken durchaus erkennbar und sollten weiter beobachtet werden. Schließlich hat aktuell z.B. das deutsche Schwimmteam bitter erkennen müssen, wie man seine Leistungsfähigkeit überschätzen kann, wenn man sich in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele hauptsächlich auf Trainingseindrücke und niederklassige Wettkämpfe verlässt.

Ganz abgesehen davon, dass sich die sportliche Führung und allen voran der Trainer über die Chancen und Risiken durch die veränderte Mannschaft vollauf bewusst sind, geht Borussia jedoch durch das umfassende Trainieren von Ballbesitz-orientierten Spielzügen, neuerdings sogar verstärkt der von Favre noch im Vorjahr eher peripher wahrgenommenen Standardsituationen, den einzig richtigen Weg: Ein teilweise veränderter Kader soll auch eine partielle spielerische Neuausrichtung zur Folge haben. Dies braucht Zeit, die man frei nach Louis van Gaal aufgrund des frühen „Tod oder Gladiolen“-Spiels in der Champions League- Qualifikation eigentlich nicht hat. Umso mehr erscheint die progressive Steigerung bei der Qualität der Vorbereitungsgegner  besonders sinnvoll – gegen den FC Sevilla am kommenden Samstag wird wohl zum ersten Mal der Ernstfall geprobt.

Fest steht jedoch schon jetzt: Die kommende Saison wird in vielerlei Hinsicht spannend. Zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt wird Borussia nicht mehr als „Großer unter den Kleinen“, sondern als „Kleiner unter den Großen“ wahrgenommen und steht zwangsläufig, ob es sportlich nun gerechtfertigt ist oder nicht, unter größerem Druck als in den vergangenen Jahren. Trotz Dreifachbelastung und des Fehlens explizit formulierter Saisonziele wird für Borussia ab jetzt die Devise gelten:

Nur Dabeisein ist eben nicht alles.