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Im Vorfeld zur Weltmeisterschaft 2006 erschien in der "ZEIT" ein Briefwechsel zwischen einem Redakteur der Hamburger Wochenzeitung und einer englischen Journalistin, den beide nutzen, um ihre Sicht der (Fußball-) Dinge der Öffentlichkeit kundzutun. "Eine prima Idee!", dachte auch die Redaktion von SEITENWAHL und schrieb im Sommer 2006 den ersten Seitenwechsel mit den lieben Kollegen des VfLog. Im Gegensatz zur Mönchengladbacher Borussia und dem VfL Osnabrück bewiesen wir Konstanz, denn in diesem Winter findet er statt: Nummer 100! Eine stolze Zahl, die wir gebührend feiern wollen. Daher erfolgt diese Ausgabe doppelt, denn alle beteiligen sich. Martin & Maik vom VfLog, Mike & Joachim für SEITENWAHL. Den Anfang macht Gründungsmitglied Mike beim VfLog, Kollege Gizinski antwortet hier.

Freunde der VfLiebe,

 

wie das so ist mit Jubiläen: Ich ignoriere lange Zeit ihr Kommen, und wenn es soweit ist, gehe ich ihnen aus dem Weg. So ist das auch mit unserem 100. Seitenwechsel. Was sich liest wie ein schöner runder Geburtstag, ist in echt (nicht in Spiel!) ein Desaster. Mir ist nicht zum Feiern zumute. 100 Seitenwechsel zeugen von viel Elend: Wir sind alt geworden. Wir haben so viele schöne Erlebnisse und zauberhafte Nachmittage im Stadion schon längst wieder vergessen. Wir erinnern uns zu selten an die unbeschwerte Zeit des Anfangs. 2006 war das. Gladbach spielte in der ersten Liga und Osnabrück in der dritten, alles schien möglich. Und heute? Gladbach spielt in der ersten Liga und Osnabrück in der dritten, alles scheint möglich. Haben wir uns 99 Seitenwechsel lang im Kreis gedreht, Stillstand beschrieben, uns mit Silben-Diarrhoe angesteckt? Nie fühlte ich mich Helmut Kohl näher, der so ähnlich schließlich nach 16 Jahren Bundeskanzlerschaft Bilanz gezogen haben muss. Und an der Wiedervereinigung haben auch wir mit unseren Seitenwechseln erfolgreich gewerkelt. Schließlich haben wir sie gar vier Mal feiern dürfen: So oft mussten die beiden VfLs seitdem gegeneinander Pflichtspiele austragen.

Wenn ich also, lieber Mike, an den Tag unseres ersten Seitenwechsels, einen Sommernachmittag im August 2006, denke, kommt mir kein bestimmter Song in den Sinn und kein Gefühl. Wenn ich heute unserer Redaktionsassistentin diesen Text diktiere, hänge ich vielmehr einer Zeit nach, da ich überhaupt noch hören konnte und fühlen. Da ich noch jung war.

Damals gab es auch noch keine Einschaltquoten oder Klickzahlen. Damals hätte Das Erste sich noch leisten können, anlässlich eines globalen Top-Ereignisses wie dem Klimagipfel in Kopenhagen eine Sondersendungen zu senden, und das ZDF hätte Markus Lanz verhindert. Und Spiegel Online würde als Teaser für den Jahresrückblick nicht die Rubrik "Tote 2009" bewerben und mit einem Bild von Robert Enke versehen. Immerhin das ist tröstlich an unseren 100 Seitenwechseln: Wer uns liest und ob überhaupt wer, ist uns stets am Arsch, äh, naja: Also, wir mindern nicht die Qualität zugunsten einer größeren Zahl an Lesern. Auch nicht nach dreieinhalb Jahren. Damit sind wir eine ruhebringende Oase in unserer schnelllebigen Zeit. [Der spinnt mit dieser ewig gestrigen Leier; Anm. der Redaktionsassistentin] Jedenfalls hast du recht, Mike: Unter kapitalistischen Bedingungen gäbe es uns nicht mehr, was eine Menge aussagt über die intellektuelle Reife dieser Wirtschaftsform. Freuen wir uns umso mehr, dass wir uns darum nicht kümmern müssen.

Unsere beiden VfLs, Gladbach wie Osnabrück, müssen das sehr wohl. Und der schnöde Mammon [gleich kill ich ihn; Anm. der Redaktionsassistentin] übte in Osnabrück offenkundig einen derart großen Reiz aus, dass zwei Spieler aus der letztjährigen Mannschaft ihr Salär mutmaßlich mit Wettgewinnen aufzubessern gedachten. Trotzdem kämpfen unsere VfLs Seit an Seit weiter ihren ehrlichen Kampf für die gute Sache, die VfLiebe.

Das ist eine der wenigen Konstanten, die mir geblieben sind, seit wir mit unserer Brieffreundschaft begonnen haben.
Ach, Mike, du hast dich übrigens verschrieben, was deine Gladbach-Bilanz der letzten Jahre angeht. Über die Zeit von Heynckes bis jetzt zum Michi [Frontzeck; Anm. der Redaktionsassistentin] schreibst du: "Dazwischen liegen zwei mehr (Hans Meyer) oder weniger (Luhukay) erfolgreiche Trainer." Du meinst natürlich: Dazwischen liegen zwei mehr (Hans Meyer) oder weniger (Luhukay) glückliche Trainer, die bedauerlicherweise mehr (Luhukay) oder weniger (Hans Meyer) fortschrittlich waren. Diese kleine Korrektur nur, damit die wenigen Nicht-Stammleser unserer rührigen Briefwechsel uns nicht für deppert halten.

Dass übrigens unsere geistreichen Kontroversen Einzug halten in Borussias Pressespiegel, ist dann doch ein schönes Geburtstagsgeschenk. Das wusste ich nicht. Verstehen die Profi-Fohlen das wohl alles? Oder schimpfen sie uns arrogante Penner, die klug dummschwätzen und keine Ahnung haben. Ich weiß nicht, was sympathischer wäre. [Ihr seid doch auch nur so ein dreckiges Forum, das Stimmung macht gegen alles und jeden; Anm. der Redaktionsassistentin] Jedenfalls wünschen wir kleines, eingeschworenes Superteam vom VfLog - das sind Martin, Maren, unsere loyale rechte Hand im Sekretariat, und ich - uns sehr, dass alles noch eine Zeitlang so weitergeht als wäre nichts gewesen. Unsere Seitenwechsel sind, muss man sie nicht Paroli laufen lassen, eine verlässliche, wöchentliche VfLiebeserklärung!

Jetzt haben wir fußballgottlob Ruhe mit diesen Jubiläen, wenigstens bis zum 150.

In diesem Sinne grüßt am Ende doch versöhnlich:
Maik