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Die neue Saison ist gerade erst zwei Monate alt, da holt Borussia die ewig junge Handspiel-Diskussion bereits zum vierten Male wieder ein. Gegen Schalke wurde ein eindeutiges Handspiel von Martin Stranzl geahndet, dem aber ein noch eindeutigeres Foulspiel von Choupo-Moting vorausging. Gegen Villarreal nahm der Schiedsrichter auf Empfehlung des Torrichters einen bereits angezeigten Elfmeter zurück. Eine ebenso nachvollziehbare Entscheidung wie jene beim Spiel gegen den Hamburger SV, als Dennis Diekmeier ebenfalls aus geringer Distanz der Ball an den Arm geschossen wurde und ein Elfmeterpfiff eine zu strenge Bestrafung gewesen wäre. Genau so verhielt es sich aber am gestrigen Tag, als Julian Korb in sehr ähnlicher Weise den Ball an den Arm bekam. Dieses Mal gab es den Strafstoß und nach den ähnlichen Erfahrungen vergangener Jahre fragen sich nicht wenige Borussen-Fans, warum derlei „Vergehen“ immer nur einseitig gegen den eigenen Verein gepfiffen werden.

In einigen Medien wurde die Entscheidung von Schiedsrichter Gräfe tatsächlich als „vertretbar“ beurteilt, was die Perversion der aktuellen Diskussion verdeutlicht. Faktisch lässt sich bei fast allen Handspielen jede Entscheidung des Schiedsrichters rechtfertigen. Es melden sich jedes Mal dieselben Experten zu Wort, die über „vergrößerte Körperflächen“ oder „unnatürliche Handbewegungen“ schwadronieren. Die Auslegung dieser Begrifflichkeiten kann aber jeder so vornehmen, wie es ihm beliebt. Weiterhelfen tut es der Sache nur sehr bedingt.

Die offizielle FIFA-Regel 12 besagt, dass ein Handspiel vorliegt, „wenn ein Spieler den Ball mit seiner Hand oder seinem Arm absichtlich berührt. Der Schiedsrichter achtet bei der Beurteilung der Situation auf die Bewegung der Hand zum Ball (nicht des Balls zur Hand), die Entfernung zwischen Gegner und Ball (unerwartetes Zuspiel) [sowie]  die Position der Hand (Das Berühren des Balls an sich ist noch kein Vergehen.)“

Das Grundprinzip einer Entscheidung für oder gegen Handelfmeter liegt also im Tatbestand der „Absicht“. Alles andere sind nur Hilfsparameter, um festzulegen, wann eine solche Absicht am ehesten vorliegt. Betrachtet man es realistisch, so gibt es nur zwei denkbare Situationen, in denen ein Verteidiger mit voller Absicht ein Handspiel im Strafraum begeht und damit die Gefahr eines Elfmeterpfiffs in Kauf nimmt: zur Verhinderung eines gegnerischen Torerfolgs oder aus Dummheit. Luis Suarez kann als Prototyp Nr. 1 angesehen werden, als er 2010 in der 120. Minute auf der Linie den Ghanaern den Einzug ins WM-Halbfinale verbaute. Er verhinderte ein sicheres Gegentor und in diesem Fall sogar das ebenso sichere Ausscheiden aus dem Turnier und konnte dafür auch die Rote Karte in Kauf nehmen. Der Bremer Gunnar Sauer wiederum nahm den Ball in den 1980er Jahren sogar vollständig in die Hand, weil er einen Pfiff gehört hatte, den aber dummerweise nicht der Schiedsrichter abgegeben hatte.

In allen anderen Situationen ist davon auszugehen, dass ein handspielender Abwehrspieler allerhöchstens fahrlässig und zumeist unbewusst agiert. Auch dies muss nicht zwingend vor Strafe schützen. Lucien Favre ist aber unbedingt Recht zu geben, dass die aktuelle Regel mit ihrer aktuellen Auslegung den Fairplay-Gedanken des Fußballspiels ad absurdum führt. Seit Jahren ist dies mittlerweile jedem bewusst, aber niemand scheint in der Lage, daraus die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Diese können nur in einer möglichst baldigen Veränderung der Regel oder zumindest ihrer absurden Auslegung bestehen.

Eine Möglichkeit bestünde z. B. darin, die Regel umzuformulieren und ihren Bezug auf das tatsächliche Problem zu lenken. Ein Handspiel sollte primär dann unterbunden werden, wenn ein Verteidiger sich damit einen Vorteil verschafft und entweder ein gegnerisches Tor oder zumindest eine gegnerische Torchance verhindert. Julian Korb z. B. konnte keinerlei Motivation eines absichtlichen Handspiels verspüren, da die Flanke des Mainzers völlig ungefährlich bei einem Gladbacher Mitspieler gelandet wäre. Man könnte also konkretisieren, dass ein Handspiel im Strafraum nur dann zu ahnden ist, wenn es entweder eindeutig als bewusst und absichtlich zu erkennen ist oder aber wenn durch das Handspiel eine Torchance des Gegners absichtlich verhindert wird. Ersteres sollte lediglich ausschließen, dass der Torhüter von seinen Kollegen Konkurrenz erhält und diese nach Belieben den Ball in die Hand nehmen können. Letzteres würde die Zahl der Handspiele auf die wirklich relevanten Fälle reduzieren. Dies würde die Problematik zwar nicht vollständig lösen, aber zumindest signifikant verringern.

Ein zweiter Ansatz könnte darin bestehen, dass man grundsätzlich jedes Handspiel im Strafraum als ein solches ahndet, dass man aber als Bestrafung nur dann einen Elfmeter wählt, wenn damit eine 100%ige Torchance oder ein Tor absichtlich verhindert wurde. In allen übrigen Fällen könnte z. B. ein indirekter Freistoß erfolgen, so dass die Problematik ebenfalls abgemildert würde. Darüber hinaus ließen sich ggf. noch Ausnahmetatbestände definieren, dass ein angeschossenes Handspiel aus weniger als 5 Metern nicht zu ahnden ist.

Elementar ist aber, dass klar definierte Regelungen vereinbart werden, die möglichst wenig Spielraum für willkürliche Entscheidungen bieten. Vollständig zufriedenstellend wird sich dies leider nicht lösen lassen. So wie momentan gepfiffen wird, ist es aber kaum noch zumutbar. Für die Wettmafia ist die Regel ein gefundenes Fressen für Manipulationen, da ein (bestochener) Schiedsrichter nicht einmal besonders verhaltensauffällig werden muss, um das Spiel signifikant zu beeinflussen. Aber selbst wenn man die Unparteilichkeit der Schiedsrichter in der Bundesliga unterstellt, ist die subjektive Willkür der Entscheidungen zutiefst unbefriedigend. Der Mythos von den sich ausgleichenden Entscheidungen kann von jedem Statistiker, sowie inzwischen auch von jedem Gladbach-Fan entkräftet werden. Die Regelhüter von FIFA und DFB stehen daher in der Pflicht, eine vernünftigere Handhabung zu entwerfen und schnellstmöglich auf den Weg zu bringen. Blickt man allerdings darauf, mit welchem Tempo unstrittig sinnvolle Neuerungen wie Torlinienkamera und Freistoßspray in Deutschland umgesetzt werden, so wird es vermutlich noch einige Jahre dauern, ehe in Sachen Handspiel irgendetwas Produktives passiert.