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Mit dem vergangenen Jahreswechsel verabschiedeten sich die Nullerjahre – und damit die erste Dekade seit "Y2K", dem Auftakt zum aktuellen Millenium – in die Geschichtsbücher. Zwar ist dies kein Jahrzehnt im eigentlichen Sinne (Jahrzehnte hören stets mit Jahren auf, die mit einer null enden), aber die zumindest folkloristisch unstrittige Bedeutung dieses Zehn-Jahres-Zeitraums rechtfertigt ein Fazit, verbunden mit einem Ausblick. Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass Borussia sich oberflächlich betrachtet nicht mit Ruhm bekleckert hat, zumal der Trophäenschrank nicht vergrößert werden mußte. Die tatsächliche Entwicklung des Vereins ist aber wesentlich besser, als es der Gefühlslage entspricht, und sie gibt Anlaß zu Optimismus für das nächste Jahrzehnt.

 

 

 

Wer an die sportlichen Geschicke des Vereins Borussia Mönchengladbach von 2000 bis 2009 denkt, wandert nahe am Abgrund der Verzweiflung. Ein Viertel dieses Zeitraums verbrachte der Klub in der Zweiten Bundesliga. Dem Aufstieg 2001 folgten jahrelanger Abstiegskampf und schließlich der erneute Gang ins Fußball-Unterhaus, nur um nach dem Wiederaufstieg wieder sehr eng am sportlichen GAU vorbeizuschrammen. Titel blieben ebenso ein Traum wie eine Europapokalteilnahme, und wo Erfolge nahe waren, scheiterte man stilecht: einmal im Pokal-Halbfinale am vereisten Kartoffelacker eines Drittligisten und der eigenen Unfähigkeit, ein weiteres Mal in der Pokal-Vorschlußrunde bei einem erneut unterklassigen Gegner, der massiv vom Parteiischen begünstigt wurde, und als zumindest ein Mini-Titel errungen wurde (die DFB-Hallenmeisterschaft 2000), folgte prompt die Aberkennung am Grünen Tisch auf juristisch dubiose Weise. Trainer kamen und gingen im selben Rhythmus wie die Jahre. Sportdirektoren sollten Kontinuität verkörpern, kreierten jedoch stattdessen das Bild vom "Kaufhaus des Westens". Selbst wenn man also von allem Mist absieht, den gerade die Boulevardpresse zu diesen Mißerfolgen noch dazugedichtet hat, verbleibt genug Stoff für eine gepflegte Winterdepression.

Es verwundert somit auch nicht, daß die vergangenen zehn Jahre kaum jemals mit Eichenlaub und Brillanten die Vereinschronik zieren werden. Fragt man viele Fans, ergibt sich dasselbe Bild: Vergessen wir die Jahre, am besten so schnell wie möglich. Das aber wäre schade, genauso wie es falsch wäre. Es wäre schade, weil niemand lange genug lebt, zehn Jahre seines Lebens einfach auszublenden, die abseits aller großen Triumphe doch viel Erinnerungswürdiges gebracht haben, das – ob man möchte oder nicht – Teil der eigenen Geschichte geworden ist. Zudem wäre es falsch, weil das schlechte Bild schlicht nicht stimmt. Vielmehr scheint es in großen Teilen einer allgemeinen Tendenz zum Schlechtreden zu entwachsen, die auch anderweitig zu beobachten ist.

Nehmen wir nur die Randdaten der Nullerjahre, um diesen Begriff einmal mehr zu strapazieren. Sie begannen in ihrer Ursprungssekunde mit einer heute kaum noch nachvollziehbaren Fixierung auf die Frage, ob der Übergang von "99" zu "00" massenhafte Computerpannen bewirken könnte, mit nicht absehbaren Folgen, die dennoch mit leichtem Gruseln ausgemalt wurden. Sie endeten mit dem Scheitern einer Klimakonferenz, die zur entscheidenden Weichenstellung der Menschheit hochgejazzt wurde, ohne daß das (zweifellos ernste) Thema dies in dieser Form rechtfertigt hätte. Betrachtet man die beiden derzeit als am wichtigsten angesehenen Ereignisse der Dekade, wird das Gefühl nicht besser: Da hätten wir zum einen die Terroranschläge vom 11. September 2001 mit ihren mannigfaltigen Verwerfungen, zum anderen die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09, die zwar weit besser unter politischer Kontrolle ist als die Große Depression der frühen 1930er Jahre, gleichsam aber von einer bunten Koalition von Modernisierungsverlierern zum Schwanengesang des Kapitalismus umgedeutet wird.

Nur auf der Oberfläche erstaunlich ist demgegenüber, daß die Mehrzahl der Mitmenschen, befragt, wie sie ihre eigene Lage im Vergleich zu vor zehn Jahre sehen, sich als bessergestellt empfinden. Offenkundig besteht eine immense Lücke zwischen veröffentlichter sowie populärer Meinung einerseits und privatem Empfinden andererseits. Beispielsweise könnte man, um kurz das Thema Politik abzuschließen, zum Jahreswechsel 2009/10 mit gutem Recht darauf verweisen, daß der gemeinhin als mächtigster Mann der Welt angesehene US-Präsident ein Afroamerikaner und sein weibliches Pendant an der Spitze der Machtpyramide eine Ostdeutsche ist. Beides symbolisiert eine geradezu erstaunliche Entwicklung der Gesellschaft, die in zukünftigen Analysen seriöser Historiker vermutlich als wesentlich bedeutender angesehen wird als Kindergartenkriege unter Bekloppten.

Kehren wir an dieser Stelle zu Borussia zurück und betrachten die offenkundigen Fakten, nicht die mentalen Blähungen selbsternannter Meinungsführer. Fakt eins: Borussia stand zu Jahresbeginn 2000 auf Rang zwölf der Zweiten Liga. Zehn Jahre später rangiert man auf Platz elf der Eliteklasse. Eigentlich ist dies bereits der Ende der Diskussion, zumal wenn man die langfristige Entwicklung des Vereins betrachtet aus der Perspektive eines in den 1970er Jahren sozialisierten Fans, der zu Grundschulzeiten das seltene Glück hatte, eine sich entwickelnde Zuneigung zu Bayern München wegen Erfolglosigkeit gegen eine ebensolche für Borussia Mönchengladbach einzutauschen.

Tatsächlich war ja der Abstieg 1999 nicht nur verdient, sondern überfällig. Der Verein befand sich vorher über zwanzig Jahre im steten Verfall und konnte nur unter Verschleiß aller denkbaren Schutzengel in den Jahren zuvor den Verbleib in der Bundesliga sicherstellen. Abstrahiert man vom Zwischenhoch der mittneunziger Jahre, war die langfristige Entwicklung in eine Fahrstuhlmannschaft à la VfL Bochum oder MSV Duisburg – graue Mäuse mit viel Geschichte und völlig unzureichender Infrastruktur – vorprogrammiert. Die Geschäftsstellen-Baracken am Bökelberg vermittelten den Charme der DDR-Schlafschachteln in Hohenschönhausen, im Stadion wurde man naß, auch wenn man unter dem Dach saß, die Stars der Zukunft verpflichtete man nach Analyse zugesandter Best of-Videos, und Plastikvereine wie Wolfsburg und Leverkusen besserten ihre Vereinschroniken mit Rekordsiegen gegen Borussia auf.

Kurzum: Unteres Mittelfeld der Zweiten Liga stellte Anfang 2000 keinen Betriebsunfall dar, sondern die völlig korrekte Einordnung eines schlichtweg nicht mehr wettbewerbsfähigen Vereins. Um so erfreulicher ist es, heute feststellen zu können, daß unteres Mittelfeld der Ersten Liga zehn Jahre später die völlig korrekte Einordnung der derzeitigen Borussia ist. Noch erfreulicher ist zudem, daß die langfristig entscheidenden Strukturparameter den Aufwärtstrend weiter untermauern: Das neue Stadion – vielleicht die größte Errungenschaft des Jahrzehnts, zumal nicht durch WM-Finanztöpfe subventioniert – zählt von der Kapazität her zum oberen Drittel des deutschen Fußballs. Die Finanzen sind solide und unabhängig von einzelnen großen Geldgebern. Die Einbettung in Fanbasis und Region zählt ebenso zu den Top-Adressen in Deutschland wie die Nachwuchsarbeit und die Qualität des Scoutings. All dies – ganz unabhängig von der Tagesform der ersten Elf, die derzeit als Sahnehäubchen obendrauf kommt – sind Fakten, zu belegen mit Zuschauerzahlen, Bilanzen, sportlichen Erfolgen bei Jugend-Endrunden und der Qualität der Neuzugänge. Nichts von dem bestand zehn Jahre zuvor. Wenn das kein Erfolg ist, dann stellt sich die Frage, was sonst ein Erfolg sein soll.

Natürlich kommt an dieser Stelle der Einwand, daß es im Fußball nach wie vor primär um dicke Pötte und häßliche Schalen geht. Das ist unzweifelhaft korrekt. Ebenso richtig ist aber, daß es auf dem Weg dahin darum geht, nicht den zweiten Schritt vor dem ersten zu gehen. Wir können uns 100.000 Fans greifen, deren Notgroschen pfänden und Lionel Messi verpflichten, was uns vielleicht die Chance auf einen Pokal einräumt, aber das machen wir einmal, und danach steht der Konkurs. Oder man stellt die Weichen langfristig solide und lässt dann die Wahrscheinlichkeiten des Sports arbeiten, was zwangsläufig bei ausreichend langem Atem zu Resultaten führt.

Der Weg dahin ist ein langer, und Verein und Umfeld werden noch ernsthafter arbeiten müssen als zuvor bereits. Die Auslastung des neuen Stadions ist im unteren Viertel der Bundesliga, und mental sind viele Fans – und solche, die es werden könnten – noch nicht im Borussia-Park angekommen. Der Stadionname bleibt unvermarktet und Wachstumsmärkte andernorts unerschlossen, was beides viel Luft nach oben läßt. Sportlich ist noch viel zu selten sichtbar, warum neutrale Beobachter es als Bereicherung für die Bundesliga empfinden sollen, daß dort Borussia Mönchengladbach und nicht etwa Red Bull Leipzig spielen soll. Und natürlich darf man auch gerne bereits zu meinen Lebzeiten noch einmal einen Titel gewinnen, und sei es das DFB-Pokälchen. Im Vergleich zu vor zehn Jahren sind dies aber Luxusprobleme, und so schließen wir mit einem kleinen, doch überzeugten Ausblick: Entwickelt sich Borussia so organisch fort wie zuletzt, werden wir mit nicht unerheblicher Wahrscheinlichkeit 2020 auf einen Verein blicken, der zum besten halben Dutzend des Landes zählt. Bis dahin wird es zweifellos noch etliche Rückschläge geben, doch langfristig zählt die Grundausrichtung – und die stimmt.