Ein eher ungewohntes Gefühl machte sich am Samstag Nachmittag im Borussia-Park breit. Duselpunkte sind gewöhnlich nichts, was man mit Borussia Mönchengladbach in Verbindung brächte. Wenn eine Mannschaft im Borussia-Park Chancenwucher betreibt, ist das in der Regel der Gastgeber. Mit einer über weite Strecken indiskutablen und angesichts dessen, worum es in dieser Saison noch geht, bemerkenswert blutleeren Vorstellung am Ende einen Punkt zu holen, ist fraglos glücklich. Dass dennoch niemand glücklich war, liegt neben dem Erstaunen über den Auftritt der Mannschaft daran, dass dieser eine Punkt beim Erreichen des Ziels Euroleague kaum hilft. Ungewohnt, weil zumindest in dieser Saison noch ohne Beispiel, ist der Ärger der Fans über die Aktiven und der Ärger der Aktiven über die Fans. Und das wirft eine grundsätzliche Frage auf: Ist der Zuschauer mit dem Erwerb der Eintrittskarte verpflichtet, die Mannschaft immer und zu jedem Zeitpunkt unabhängig von dem auf dem Platz Dargebotenen zu unterstützen,oder erwirbt er mit dem Ticket auch das Recht, bei Nichtgefallen seinen Unmut kundzutun?

Borussia 2018/19 kann sich über mangelnde Unterstützung des Publikums bis dato nicht beschweren. Auch nach Niederlagen wie gegen Berlin, Wolfsburg und Leipzig oder nach dem Remis gegen Bremen wurde die Mannschaft während des Spiels unabhängig vom Spielstand von der kompletten Anhängerschaft unterstützt und nach dem Schlusspfiff von der Kurve aufmunternd gefeiert. Solange man dem Team das Bemühen abnimmt, ist alles gut. Das Publikum weiß in solchen Situationen, seinen verständlichen Frust über das Verdaddeln einer nach 20 Spieltagen noch komfortabel wirkenden Tabellensituation herunterzuschlucken. Mund abputzen, weitermachen, wie es in der Fußball-Phraseologie heißt. Dass es am Samstag gegen Hoffenheim anders war, ist sicher dem angestauten Frust über die durchaus selbstverschuldet entstandene aktuelle Lage zuzuschreiben. Borussia ist nicht in einer "Formdelle", nimmt sich keine "kurze Auszeit" sondern spielt seit Wochen entweder fürchterlich oder in den besseren Momenten wie gegen Leipzig oder Bremen zwar mit Leidenschaft aber ohne Struktur und Ziel.

Die Rückrunde ist eine zum Vergessen und dass die Offiziellen angesichts dessen spürbar bemüht sind, den Ball so flach wie möglich zuhalten, ist zwar honorig, ist aber für Anhänger, die ihrem Verein emotional verbunden sind, bisweilen etwas anstrengend. Dass sich alle lieb haben, die Chemie zwischen Trainer und Mannschaft exzellent und Kritiker ahnungslose Wirrköpfe sind, ist der Spin, den Borussia verkaufen will. Dass es bloß ein Spin ist, ist allerdings allzu durchschaubar. Die Signale, die der Trainer sendet, sind widersprüchlich und haben offenkundig nur noch einen Zweck: Dieter Hecking möchte sich so weit es geht aus der Verantwortung für das Desaster des Jahres 2019 herausnehmen. Wenn Max Eberl im Doppelpass die Spieler in Schutz nimmt, macht er seinen Job. Die "gewissen Widerstände" gegen die die armen Spieler anzukämpfen haben, möchte man als Anhänger des Vereins aber dennoch gerne einmal durchdekliniert wissen. Was ist es, das Eberl als Widerstand wahrnimmt? Die in seinen Augen zu hohe Erwartungshaltung? Doch das Gebaren des offiziell weiterhin enorm geschätzten Trainers? Körperfresser, die sich der Leiber der Profis bemächtigt haben? Oder hat Eberl schlicht keine Ahnung, was da seit dem Schalke-Spiel passiert ist? Das wäre zu entschuldigen. Man kann im Fußball nicht alles erklären. Aber warum dann von "gewissen Widerständen" sprechen?

Dass es womöglich die Köpfe der Spieler sind, in denen einiges durcheinander geht, zeigt die Reaktion von Matthias Ginter auf die erstmalige Eruption auf den Rängen am Samstag. Man müsse sich "nicht alles gefallen lassen" sprach der Weltmeister nach dem Spiel in die Kameras. Das zeigt dann doch einen bemerkenswerten Mangel an Demut. Gefallen lassen mussten sich die Fans im Jahr 2019 so einiges. Und sie haben es geduldig ertragen. Der Tiefpunkt war am Samstag nach 45 Minuten erreicht. Und das in der Regel feine Gespür der Anhänger in der Nordkurve sagte: Es reicht. Wir lassen uns viel gefallen, aber nicht eine solche Nicht-Leistung wie heute. Die Reaktion hieß "wir woll'n Euch kämpfen sehen". Das ist durchaus auch als Anfeuerung zu verstehen und belegt, dass der Anspruch schon lange nicht mehr "wir woll'n Euch vernünftigen Fußball spielen sehen" ist, sondern jetzt, da Borussia alles zu verlieren scheint, was im Winter noch zum Greifen nahe war, sich damit bescheidet, dass die elf Herren in weiß sich doch bitte wenigstens sichtlich bemühen könnten. Auch die zweite Halbzeit war kein Ruhmesblatt, auch wenn das Team sich etwas zusammengenommen hat. Es war - entgegen der Analyse von Max Eberl nach dem Spiel - nicht in erster Linie ein Triumph der Moral, sondern einer des Glücks.  Dass auch angesichts der unter dem Strich nicht verbesserten Tabellenlage das Gefühl in der Kurve eher "großer Mist" als "gefühlter Sieg" ist und dass es Pfiffe gibt, ist keine Majestätsbeleidigung sondern ganz normal. Das sollte auch ein durchaus vernunftbegabter Mensch wie Matthias Ginter wissen und akzeptieren. Und wenn nicht, könnte er seinen Ärger zumindest herunterschlucken. Kein Spieler von Borussia ist im Moment in der Position, das Publikum zu beschimpfen. Womöglich ist genau diese Haltung am Ende ein Teil der Erklärung, warum es mit Borussia in der Rückrunde dieser Saison so rasant abwärts geht.