Die Toten Hosen werden bei der Auswahl ihrer Songtitel nicht unbedingt an Mönchengladbach denken und mit besagter Titelzeile wollten sie vermutlich anderes aussagen als das, was Borussias Fans und Verantwortlichen während der 90 unglücklichen Minuten im Berliner Olympiastadion durch den Kopf ging. Unendlichkeit wünschte sich am Freitagabend sicherlich niemand, der es mit Borussia hält. Vielmehr herrschte Erleichterung, als mit dem Schlusspfiff von Tobias Stieler zumindest ein Ende dieses verkorksten Spiels in Sicht war. Auf ein Ende der offensichtlichen Krise, in der sich die Fohlenelf nunmehr befindet, wird aufgrund der Länderspielpause noch mindestens zwei Wochen zu warten sein. Dann folgt ausgerechnet das Derby gegen den 1. FC Köln, wo das Ende der Tor- und Sieglosigkeit oder – wie im Vorjahr – sogar schon das Ende des schon lange nicht mehr unumstrittenen Trainers besiegelt werden könnte.

Es gibt im Fußball immer wieder Tage wie diesen, in denen sich alles gegen Dich verschwört. Ein Gegentor aus der ersten Chance des Gegners, nachdem Du zuvor selbst das Spiel bestimmt hast. Eine tragische Verletzung. Ein überharter Platzverweis. Problematisch wird es, wenn solche Tage zur Regel werden. Für Borussia war es innerhalb eines knappen Monats nach Schalke und Hamburg bereits die dritte Partie, die einen solch kurios-absurden Verlauf nahm, sodass es nicht ausreicht, dies allein als tragischen Zufall abzutun.

Es wäre viel zu einfach und unfair, die aktuellen Probleme alleine auf eine Person zu projizieren. Wie fast immer in solchen Zeiten ist es eine Vielzahl von Gründen, die zu einer solchen Negativserie führt. Seien es die vielen Verletzungen, die hohen Belastungen, das Formtief einiger Schlüsselspieler. Selbst der angesichts seiner überragenden Transferbilanz über jeden Zweifel erhabene Max Eberl muss sich den Vorwurf gefallen lassen, die Einnahmen des Sommers und die Gelder aus der Champions League nicht vollumfänglich in die Mannschaft gesteckt zu haben, um dieser noch etwas mehr an Qualität und Breite hinzuzufügen. Trotz alledem kommt man nicht umhin, auch die Rolle des sportlich Hauptverantwortlichen zu hinterfragen.

André Schubert kam mit recht bescheidenen Meriten aus seinen vergangenen Stationen Paderborn und St. Pauli in den Borussia-Park. Und auch seine bisherige Erfolgsbilanz bei Borussia trübt sich zunehmend ins Mittelmäßige. Würde der Trainer z. B. Lucien Favre oder Hans Meyer heißen, so wäre es Max Eberl anzuraten, den grundsätzlich vernünftigen Weg der Kontinuität weiter zu beschreiten und wegen des mittelmäßigen Tabellenplatzes nicht in Panik zu verfallen. Langfristig zahlt es sich nämlich aus, an einem Trainer festzuhalten, der sowohl bei Borussia als auch in anderen Vereinen nachhaltig sein Können unter Beweis gestellt hat. Selbst nach den fünf Niederlagen der Vorsaison tat Eberl gut daran, Favre weiter das Vertrauen auszusprechen, was dieser damals leider nicht erwiderte. Nicht nur der Schweizer hat bewiesen, wie wichtig ein Top-Trainer für einen Verein sein kann, um wirtschaftliche Nachteile gegenüber finanzstärkeren Vereinen auszugleichen. Selbiges lässt sich derzeit in Köln, Hoffenheim, Leipzig oder Berlin beobachten, wo die jeweiligen Übungsleiter einen herausragenden Beitrag zum Gesamterfolg leisten.

André Schubert hat in der schwierigen Situation der Vorsaison vieles richtig gemacht, indem es ihm gelang, den Knoten im Team zu lösen. Einige geschickte Umstellungen, mit denen er auf das bewährte System seines Vorgängers aufsetzte, versetzten die Mannschaft zwischenzeitlich in einen Rausch mit sieben Bundesligasiegen in Folge, von denen auch der Trainer in der Wahrnehmung vieler Leute heute noch zehrt. Durch diesen Erfolg verdiente er sich eine Bewährungschance in Form eines festen Vertrags. Nachdem der Anfangsschwung aber verflogen war, fing er mit dem glorreichen 3:1-Sieg über die Bayern langsam an eigene Impulse zu setzen und seine durchaus spannenden Ideen vom modernen Fußball in seine Mannschaft einzubringen. Schubert träumt von einer hohen taktischen Variabilität, mit der seine Elf auf jeden Gegner und jede Spielsituation möglichst flexibel reagieren können soll. Auch die international hoch anerkannte Dreierkette ist ein taktisches Stilmittel, das in der Theorie hervorragend funktioniert und das bei guter Umsetzung entscheidende Vorteile bieten kann. Es zeichnet große Trainer aus, solche Ideen zu verfolgen und für einen erfolgreichen Spielstil zu stehen, mit dem sie ihrer Mannschaft die viel zitierte Handschrift verpassen. Große Trainer zeichnet es aber noch viel mehr aus, wenn es ihnen gelingt, ihrer Mannschaft einen Spielstil zu verpassen, der zu ihr passt. Die Umsetzung ist nämlich noch viel wichtiger als die Idee an sich.

In der Realität ist Schubert nach mehr als einem Jahr seines Wirkens der Nachweis nicht gelungen, ein solch großer Trainer zu sein und sein Konzept in geeigneter Weise zu vermitteln. Ganz im Gegenteil: Die Mannschaft wirkt zunehmend verunsichert und überfordert angesichts der hohen Anforderungen, die ihnen der Trainer abverlangt. Fast alle Spieler haben in den letzten Monaten ihr Glück auf verschiedensten Positionen versuchen dürfen. Anstatt auf bewährte Muster zu setzen und der Mannschaft ein stabiles Grundgerüst zu vermitteln, verstrickt sich Schubert immer wieder in gewagte Experimente. Da wird z. B. der stärkste Innenverteidiger der Vorsaison auf die 6er-Position abberufen. Das früher so hervorragend harmonierende Duo Wendt/Johnson wird durch ständige Positionswechsel beider Spieler unnötig auseinandergerissen. Der US-Amerikaner findet sich sogar zwischenzeitlich im Sturm wieder, wo er seine Qualitäten nur unzureichend einbringen kann. Das ständige Wechselspiel zwischen Dreier- und Viererkette tut ihr Übriges. Ein gewisses Maß an Rotation ist sinnvoll und nötig, um die hohen Belastungen im Rahmen zu halten. Es ist aber verheerend, wenn dies zusätzlich noch mit permanenten System- und Rollenwechseln verbunden ist. Das, was die Fohlenelf derzeit am dringlichsten benötigt, sind Sicherheit und Stabilität, was ihr auf diese Weise leider nicht vermittelt wird.

In der Folge ist Borussia nunmehr im Mittelmaß angekommen und steht tabellarisch genau dort, wie es die Leistungen auf dem Platz ausdrücken. Nach jenem ominösen Bayern-Spiel am Nikolausabend 2015 hat Borussia in 29 Bundesliga-Spielen genauso oft gewonnen wie verloren, nämlich jeweils 12mal. Aus dem zweifachen Champions-League-Teilnehmer ist aktuell ein Durchschnittsteam geworden, das mit Blick auf die anstehenden schweren Spiele froh sein kann, nicht noch tiefer in der Tabelle abzurutschen.

Zweifelsohne haben die Verletzungen zahlreicher wichtiger Spieler ihren Beitrag dazu geleistet. Der Ausfall eines Ausnahmefußballers wie Raffael schmerzt und kann nicht gleichwertig ersetzt werden. Die individuelle Qualität ist aber trotz der Verletzungen weiterhin hoch. Borussia stehen in der Offensive 6-7 hochkarätige Spieler zur Verfügung, die ihre Klasse über Jahre hinweg nachgewiesen haben und die in der Lage sein sollten, den einen oder anderen Ausfall zu kompensieren. Borussia hat einen breiten Kader, der sowohl von der individuellen Klasse als auch vom Gehaltsetat mittlerweile zum oberen Drittel der Liga gehört. Bei aller Bescheidenheit ist es nicht vermessen, von der Mannschaft mehr zu erwarten als sie seit Dezember 2015 zeigt. In den letzten Jahren hat Borussia fast immer besser abgeschnitten, als es von der individuellen Qualität der Einzelspieler im Vergleich zu anderen Bundesligisten mit deutlich besseren Finanzmöglichkeiten zu erwarten gewesen wäre. Die Mannschaft spielte regelmäßig besser als die Summe ihrer Teile. Aktuell ist es genau andersherum. Sporadisch blitzt immer wieder die individuelle Qualität der Einzelspieler auf. Ein echtes System oder Konzept ist dagegen nicht zu erkennen.

Borussia spielt in dieser Saison zum vierten Mal in den letzten fünf Jahren in Europa. Gerade junge Mannschaften, für die das Abenteuer Europa physisch wie psychisch ein neues, spannendes Abenteuer darstellt, haben mit dieser Umstellung oft große Probleme und fallen in der Liga ab. Erstaunlicherweise ist der Fohlenelf dieser Spagat in den vergangenen Jahren relativ gut gelungen. International wurde zwar Lehrgeld bezahlt. In der Meisterschaft wurde die Doppelbelastung aber gut weggesteckt. Es ist bedenklich, wie sehr anders dies in dieser Saison wahrgenommen wird und wie sehr die Mannschaft schon nach einem Drittel der Saison auf dem Zahnfleisch geht. Anstatt nach der erfolgreichen Etablierung im oberen Tabellenbereich den nächsten Schritt zu gehen und die Doppelbelastung ähnlich wie Leverkusen, Schalke oder Dortmund als Normalität abzuhandeln, entwickelt sich der Verein auch diesbezüglich wieder zurück und begibt sich auf eine Ebene, auf der sich Vereine wie Mainz oder Augsburg befinden.

Ein 11. Tabellenplatz ist Anfang November kein Beinbruch für Borussia. Nach zuletzt gleich mehreren nahezu optimal verlaufenen Spielzeiten ist es ebenfalls keine Schande, wenn die Mannschaft in dieser Saison einmal nicht das Optimum herausholt, sondern unter den eigenen Möglichkeiten bleibt. Entscheidend ist aber die langfristige Perspektive, die sich aufzeigt. Die Konkurrenz schläft nicht, sondern setzt in einigen Vereinen genau das um, was Gladbach in den letzten Jahren ausgezeichnet hat. Borussia wird sich in den kommenden Wochen und Monaten die Frage stellen müssen, wie sie mittelfristig wieder auf diese Spur zurückfindet. Kontinuität und Besonnenheit sind da zweifelsohne gute Ratgeber – Lethargie und Sturheit aber nicht.

Eberl wird sich an die Situation im Jahr 2011 zurückerinnern, als er allzu lange an seinem erfolglosen Trainer festgehalten hat. Mit der kürzlich vorgenommenen Vertragsverlängerung wurde Schubert das Vertrauen ausgesprochen, sodass ein kurzfristiger Trainerwechsel unwahrscheinlich erscheint. Der Trainer wird dieses Vertrauen in den kommenden Partien aber rechtfertigen müssen, indem er aus den bestehenden Missständen die richtigen Lehren zieht und aus den Möglichkeiten das Beste macht.

Spätestens im kommenden Winter werden die Verantwortlichen dann intensiv darüber zu beraten haben, was das Beste für den Verein ist. Dann wird es darum gehen, ob die vorhandenen Geldreserven nicht doch noch in den einen oder anderen Qualitätsspieler investiert werden sollten, zumal der avisierte Kauf von Andreas Christensen zunehmend unrealistisch erscheint. Und es wird darum gehen, ob André Schubert wirklich der bestmögliche Trainer ist, den Borussia bei aller Bescheidenheit, aber auch bei allen berechtigten Ambitionen bekommen kann.