Borussia zahlte in der Champions League bitteres Lehrgeld. Trotz einer guten, engagierten Leistung ging die Partie gegen den abgezockteren Gast mit 1:2 verloren. Ähnliches widerfuhr zur gleichen Zeit dem VfL Wolfsburg, so dass sich am kommenden Samstag zwei unglückliche Europacup-Verlierer im Borussia-Park gegenüberstehen.

Die Wolfsburger plagen aktuell allerdings ganz andere Sorgen. Ihr Erfolgsmodell beruht nahezu ausschließlich auf dem extensiven Sponsoring des VW-Konzerns, das insbesondere durch Fußball-Liebhaber Martin Winterkorn gefördert wurde. Ein gewisser Werbeeffekt ist für den Konzern sicherlich gegeben. Die kolportierten Zahlungen von jährlich bis zu 100 Mio. Euro stehen dazu aber in keinem rational nachvollziehbaren Verhältnis. Eine Steigerung des Bekanntheitsgrads, in aller Regel ein wesentliches Ziel des Sport-Sponsoring, ist für die Marke VW kaum noch möglich und ob die erzielten Imagewirkungen diese finanziellen Aufwendungen rechtfertigen, damit sollte sich die neue VW-Spitze einmal gezielt auseinandersetzen. Jegliche Personalkürzungen wären vor diesem Hintergrund jedenfalls nur schwer zu rechtfertigen, solange der Marketing-Etat dermaßen ineffizient aufgebläht wird.

Während in Wolfsburg traditionell solch finanzielle Erwägungen das Geschehen um den Verein bestimmen, steht bei Borussia das Sportliche im Vordergrund. Die ganz große Verunsicherung aus dem vergangenen Monat scheint zwar abgeschüttelt, aber weiterhin ist die Tabellenlage prekär. Für André Schubert war die Niederlage in der Champions League eine neue Erfahrung nach zuvor zwei erfolgreichen Auftritten in der Bundesliga gegen überschaubar starke Gegner. Die Siege über die aktuell glücklosen Schwabenklubs sollten daher nicht überbewertet werden - trotz der wichtigen 6 Punkte und der deutlichen Leistungssteigerung.

Anders als zuvor wechselte der Interimstrainer gegen Manchester überraschend spät aus, obwohl seine Mannschaft nach einer knappen Stunde sichtbar an Kraft verlor. André Hahn wirkt zwar oft etwas unbeholfen und ist zuletzt zudem unglücklich im Abschluss. Trotzdem trug seine Hereinnahme in den letzten beiden Partien jeweils zur Entlastung und zur Beruhigung des gegnerischen Sturmlaufes bei, der jeweils in der 2. Halbzeit stark zunahm.

Es war zweifelsohne die richtige Entscheidung von Schubert, die Gegner mit der Variante des aggressiven Vollgasfußballs zu überraschen, der in Deutschland zuletzt durch Jürgen Klopp kultiviert wurde. Auf kurze und mittlere Sicht kann dies ganz hervorragend funktionieren, und es war für Borussia ein sinnvoller Weg aus der Krise. Auf Dauer wird sich Borussia aber fragen müssen, ob sie tatsächlich eine solch deutliche Abkehr von den Grundprinzipien des Favreschen Fußballs wagen möchte, die immerhin ganz elementar zu den Erfolgen der letzten Jahre beigetragen haben.

Das permanente Anlaufen des Gegners wurde von Lucien Favre nicht verlangt, da er sich der körperlichen Belastungen bewusst war und für ihn die Balance über allem stand. Anstatt den Gegner schon im Ansatz zu stören, legte der Schweizer mehr Wert darauf, die Räume geschickt zuzustellen und in der Abwehrzentrale die (Kopfball-)Hoheit zu behalten. So ließ kein Bundesligist so viele Flanken zu wie Favres Fohlenelf. Allzu gefährlich wurden die Gegner damit aber nur selten. 4 ½ Jahre lang funktionierte diese kraftsparende Taktik hervorragend und trug u. a. dazu bei, dass Borussia von Verletzungen deutlich weniger gebeutelt wurde als die Konkurrenz. Erst die Horrorwochen zu Beginn dieser Saison änderten dies entscheidend und führten allzu schnell zu einem Ende der Ära Favre und damit womöglich auch seiner bevorzugten Spielstrategie.

Schon gegen Manchester wurde deutlich, dass das kräfteraubende Dauerpressing nur schwer über 90 Minuten durchzuhalten ist - zumal auf Rotation unter Schubert bislang weitgehend verzichtet wurde. Eine knappe Stunde gelang es Borussia, das hohe Tempo vorzugeben. Wäre bis zu diesem Zeitpunkt ein durchaus möglicher 3:0-Vorsprung gelungen, würde heute jeder von diesem Sensationscoup des Interimsmagiers schwärmen. Stattdessen ergaben sich in der letzten halben Stunde die entscheidenden Nachlässigkeiten, die man sich auf diesem europäischen Topniveau nicht erlauben darf.

Vor dem Ausgleich hätten Patrick Herrmann und Oscar Wendt den Ball ohne größere Probleme klären können und müssen. Stattdessen verursachten sie einen unnötigen Eckball, mit dem das Unheil seinen Lauf nahm. In der Schlussminute war es zunächst ein absurd-lässiger Lupfer von Granit Xhaka im Mittelfeld, der den entscheidenden Angriff der Gäste einleitete. Fabian Johnson kam schließlich gegen Aguero noch den einen Schritt zu spät und verschuldete so einmal mehr einen Elfmeter.

Von der klaren Ordnung, geschweige denn von der gefühlten Fehlerlosigkeit, der vorigen Saison ist die Mannschaft damit weit entfernt. Vielmehr spielt sie in den letzten Wochen permanent so, wie beim FC Sevilla in der Europa League, als damals mit aller Macht die Hinspielniederlage wettgemacht werden sollte.

Dieser Harakiri-Vollgasfußball kann gut gehen, so wie gegen Augsburg oder Stuttgart. Er birgt aber die große Gefahr des Kräfteverschleißes. Mit der kaum vermeidlichen Konsequenz, dass in der Schlussphase einer Partie, respektive einer Saison, die Luft ausgeht bzw. die "Körner fehlen", wie sich Klopp ausdrücken würde. Auch mit einem deutlichen Anstieg der Verletzungen ist unter diesen Voraussetzungen zu rechnen. Der BVB konnte dies einst lange Zeit durch einen relativ breiten Kader kompensieren. Ob Borussias zweiter und dritter Anzug ebenso gut sitzt, darf nach den Erfahrungen der letzten Wochen bezweifelt werden.

André Schubert muss sich als Interimscoach über die langfristigen Konsequenzen keine so großen Gedanken machen. Spätestens sein Nachfolger wird aber wieder etwas mehr Balance ins Spiel der Fohlenelf zurückbringen müssen. Auch ohne Favre wird bei Borussia aber erst einmal von Spiel zu Spiel gedacht. Gegen den VW-Club kann Schubert seine Mannschaft zunächst einmal auf ein weiteres Vollgas-Spiel einstellen, ehe ein Großteil der Spieler anschließend in der Länderspielpause wieder etwas regenerieren darf.

Im Lichte dessen wird die Rotation vermutlich auch am Samstag wieder relativ gering ausfallen. Julian Korb machte gegen Manchester eine hervorragende Partie, Andreas Christensen ist ebenso wenig vorzuwerfen. Einem der beiden könnte aber dennoch eine Pause vergönnt sein, sofern Tony Jantschke ins Team zurückkehrt.

Eine unfreiwillige Änderung wird im Tor nötig werden, wo Yann Sommer mit Nasenbeinbruch ausfällt und vermutlich durch Tobias Sippel ersetzt wird. Die wichtigste Statistik in diesem Zusammenhang: Von 34 Elfmetern, denen der Ex-Lauterer in seiner Karriere gegenüberstand, fanden 27 den Weg ins Tor. Mit einer Torverhinderungs-Quote von rund 20 % liegt er in der Elfmeterstatistik sogar noch um 5 % schlechter als Sommer. Dieser war aber in der Schweiz noch deutlich erfolgreicher. Von den 13 Strafstößen in seiner Gladbacher Zeit konnte Sommer keinen einzigen halten. Sofern Schubert eine Fortsetzung des Elfmeter-Irrsinns fürchtet, müsste er streng genommen Christopher Heimeroth einsetzen, dessen Quote mit 30 % am besten ausfällt. Aber bei allem Respekt für den sympathischen Ex-Schalker (ja, sowas gibt es): Sportlich spricht eigentlich alles für den letztjährigen Stammtorhüter des 1.FC Kaiserslautern, der vor Saisonbeginn extra für den Qualitätsgewinn in der Breite verpflichtet worden ist.

Während bei Borussia neben Sommer nur noch der langzeitverletzte Stranzl ausfällt, muss Dieter Hecking in der Defensive auf 3 potentielle Stammkräfte verzichten. Aber auch ohne Felipe, Knoche und Gustavo verfügt er über einen hervorragend ausgewogenen Kader. Mit Dante und Max Kruse werden zudem zwei ehemalige Gladbacher anreisen, die sich zuletzt gegen Borussia und für das größere Gehalt entschieden haben. Beide werden daher nicht unbedingt mit einem herzlichen Empfang zu rechnen haben. Die Fans täten aber gut daran, die Vergangenheit auf sich beruhen zu lassen. Die genannten Spieler sind ebenso nicht mehr im Verein wie der noch viel mehr geschätzte Erfolgstrainer. Borussia steht somit vor einer ganz wichtigen Zeitenwende und in den nächsten Monaten wird sich entscheiden, ob der Verein auch ohne Favre seinen erfolgreichen Weg in Richtung nationale Spitzengruppe weitergehen kann oder ob ein Rückfall droht in vergangene Zeiten der Tristesse. Ein Sieg über den VfL Wolfsburg könnte hier ein (weiteres) wesentliches Ausrufezeichen setzen.


Borussia:
Sippel – Korb, Jantschke, Dominguez, Wendt – Herrmann, Xhaka, Dahoud, Johnson – Stindl, Raffael

Wolfsburg: Benaglio – Träsch, Naldo, Dante, Rodriguez – Caligiuri, Guilavogui, Arnold, Kruse, Draxler – Dost


SEITENWAHL-Tipps

Michael Heinen: „Wolfsburg ist ein ähnlich starker Gegner wie Manchester, so dass eine ähnlich gute Leistung benötigt wird, um zu bestehen. Dies gelingt Borussia, so dass es am Ende immerhin zu einem 1:1 reicht, das ohne jeden Elfmeter zustande kommt.“

Christian Spoo: „Wenn die Mannschaft vom Manchester-Spiel nicht noch platt ist und wenn sie das Positive aus dem schönen, wenn auch am Ende etwas tragischen Abend mitnimmt und sich ihre Kräfte diesmal etwas besser einteilt, dann hat sie gegen Wolfsburg eine echte Siegchance. Borussia verliert mit 1:2.“

Christoph Clausen: „Fällt Borussias Offensive genug ein, um die fälligen ein bis zwei Elfmetertore für den Gegner auszugleichen? Leider nein. Zum zweiten Mal binnen weniger Tage unterliegen die Schubertianer mit 1:2.“

Thomas Häcki: „Die Talsohle scheint überwunden, die defensiven Probleme sind trotzdem nicht zu übersehen. Das 2:2 ist daher auch kein Drama.“