Die Zuschauer, die nach dem Spiel gegen Sevilla den Borussia Park verließen, hatten einiges zu sehen bekommen. Sechs Tore, ein höchst unterhaltsames Spiel, unzählige Chancen. Den ersten Sieg von Borussia Mönchengladbach in der Champions League. Und einen langen  Brückenschlag in die Geschichte.

Denn wenn man den Champions League Wettbewerb als Nachfolger des Europapokals der Landesmeister sieht und die Qualifikation gegen Kiew nicht als echte Teilnahme gelten lässt, liegt der letzte Sieg der Borussen in diesem Wettbewerb über 37 Jahre zurück. Der Spieler, der damals einen Freistoß mit Xhakahafter Gewalt zum 2:1 gegen Liverpool ins Netz drosch, um die Borussia wenig später Richtung Valencia zu verlassen, ist heute im Vorstand des Vereins und konnte eine Generation später das 4:2 gegen Sevilla mit Stolz und Emotionen erleben, sowie professionellerseits vermutlich nicht ohne Bauchweh.

Wenn der Sieg vom Mittwoch Rainer Bonhof ähnlich berauscht hat wie viele Zuschauer, dann nicht ohne Grund. Die Ähnlichkeit zur legendären Borussia von einst erschöpfte sich an diesem Abend nicht alleine darin, dass das Spiel gewonnen wurde, vielmehr riss die bedingungslose Angriffslust die Fans von ihren Sitzen. Von Beginn an wurden die im Hinspiel noch klar überlegenen Spanier attackiert und Torhüter Rico mit Distanzschüssen anvisiert. Nur einige starke Paraden von ihm und mangelhafte Genauigkeit der Borussen verhinderten einen höheren Sieg, dennoch drückte sich die spielerische Klasse der Gladbacher in vier Toren aus, die  zum Teil bildschön herausgespielt waren. Aggressiv in der Aufstellung mit Dahoud fast als zusätzlichem Zehner griffen die Borussen pausenlos an, selbst Traorés Ausfall und die Einwechslung von Drmic störten den Spielfluss nicht. Stattdessen machte der Schweizer wie bestellt sein bisher bestes Spiel im Gladbacher Trikot, wie um zu beweisen, dass Schubert zur Zeit nichts misslingen kann.

Und die ganz nostalgischen Fans hielten selbst die beiden späten Gegentore für im Rahmen, als zeitgenössischen Ausdruck "borussischen Scheiterns" im schönen Spiel. Spätestens an der Stelle sollte man die Metaphern so langsam auslaufen lassen, die aktuelle Borussia hat dann doch mehr Angelegenheiten zu besorgen, als nur der von früher möglichst zu ähneln. Und dabei hilft ein objektiver Blick auf das immer noch wunderbare letzte Champions League Heimspiel dieser Saison, denn auch Yann Sommer war, wie schon gegen Hannover, erneut einer der stärksten Spieler auf dem Platz. Und wenn er nicht superheldenhaft beim Stand von 0:0 einen Schuss aus sechs Metern gefangen hätte, würden die oberen Absätze hier weniger euphorisch ausfallen. Und Vorstand Bonhof hätte statt leichtem Bauchweh angesichts der klaren Chancen für Sevilla eine ausgewachsene Gastritis zu beklagen.

Seit Andre Schubert Borussias Profiteam als Trainer übernommen hat, hat er den Spielern ein anderes, viel angriffslustigeres Auftreten verordnet, zunächst um dem sich katastrophal auswachsenden Misserfolg zu entkommen, später um den enstehenden Erfolg zu behalten. Die Spieler gehorchten ihm buchstäblich von der ersten Minute an, um nach vier Minuten gegen Augsburg mit dem ersten Tor belohnt zu werden. Seitdem wird die unter Favre  noch so vorsichtige Spielanlage immer radikaler offensiv. Die Abwehrgiganten von Juventus wurden fast aus den Angeln gehoben, der Europa League Sieger glatt über den Haufen gerannt. Aber wie groß ist das Risiko dabei? Was, wenn Sommer mal wie Spiderman mit der Nr. 1 agiert? Und die andauernden Verletzungssorgen tragen auch in der Abwehr immer wieder zu Umstellungen bei.

Borussia spielt so aufregend wie seit vielen Jahren nicht und bringt dabei die Qualität von Raffael, Traoré, Stindl, Xhaka und Dahoud voll zur Geltung, von Wendts einzigartigem Linksaussenverteidigernaturell ganz zu schweigen. Nachdem Frankfurt und Berlin auf diese Weise vom Platz gefegt wurden, bekam auch Sevilla eine volle Breitseite ab. Die Frage ist, kann man mit dieser Spielweise auch gegen Mannschaften wie Bayern bestehen oder erwischt es einen dann noch schwerer als die völlig defensiv stehenden Teams? Die Antwort hierauf gibt es in der kommenden Woche; die TSG aus Sinsheim ist zur Zeit für die Erforschung solcher Fragen weniger geeignet.

Mit einem Sieg aus 13 Spielen liegt Hopps Zeitvertreib am Tabellenende. Die Abgänge von Firmino, Modeste und Schipplock konnten Vargas und Kuranyi nicht annähernd kompensieren und der überlastete Volland trauert den alten Zeiten nach. Die vorher so unberechenbar und torreich agierenden Sinsheimer sind heute die graue Maus der Liga und die einstige Trainerhoffnung Gisdol ist nun auf seine Weise ein Interim.

Bei Borussia Mönchengladbach sind die Rotationsmöglichkeiten eingeschränkt, um so mehr müssen die Stammspieler darauf achten, dass zwischen Champions League und Bayernspiel der Siegeshunger gegen die Tabellenuntersten nicht verloren geht. Schon gegen Hannover war mehr Glück nötig, als man auf Dauer beanspruchen sollte; jetzt ist auch gegen "1899" alle Konzentration nötig, damit das schöne, hinreissende Borussenspiel nicht jetzt schon bestraft wird.

Aufstellungen:

Borussia: Sommer - Korb, Christensen, Jantschke, Wendt; Drmic, Xhaka, Dahoud, Johnson; Stindl, Raffael

Sinsheim: Baumann - Strobl, Süle, Bicakic, Kim; Polanski, Schwegler; Volland, Amiri, Schmid; Uth

Seitenwahl-Tipps:

Christian Spoo: Die Mannschaft der Stunde beim Tabellenschlusslicht - das sieht nach einer klaren Angelegenheit aus. Borussia tut sich aber dennoch schwer, zumal das Spiel vom Mittwoch noch in den Knochen steckt. Trotzdem steht am Ende ein 2:1-Sieg.

Christian Heimanns: Vom andalusischen Rausch in den nordbadischen Winter. Wer diesen Realitätscrash aushält, der muss sich vor nichts fürchten und holt einen 1:0 Sieg.

Michael Heinen: Es wird schwer, sich nach dem euphorischen Champions-League-Abend wieder auf den tristen Bundesliga-Alltag zu konzentrieren. Auswärts könnte es dieser Tage gegen Teams wie Hoffenheim sogar leichter sein als daheim, so dass ein 3:1-Sieg der Fohlenelf möglich erscheint.

Christoph Clausen: Zähes Spiel, Arbeitssieg, Schwamm drüber. Borussia erledigt die Pflichtaufgabe freudlos, aber hinreichend effektiv mit 2:0.