Wer den FC Barcelona einen Fußballclub nennt, würde Lionel Messi auch als eingermaßen talentiert bezeichnen. Natürlich hat dieses Gebilde auch eine Fußballabteilung, die an Pflichtspielen teilnimmt, aber Fußball ist inzwischen nur noch eine Facette dieses politischen, kulturellen und auch sportlichen Gesamtkunstwerks. SEITENWAHL probiert eine Annäherung.

Schönes und erfolgreiches Spiel: Barcelona. Der beste Spieler der Welt, bei: Barcelona. Vier Champions League Siege in den letzten 10 Jahren, dreifacher Sieger der Fifa Club WM, sechsfacher spanischer Meister in den letzten acht Jahren und Madrids ewiger Alptraum: FC Barcelona. Der Verein ist zum Superlativ geworden, zum Maßstab dafür, wie man alles gewinnen und alle faszinieren kann. Darüber ist nichts mehr. Darüber hinaus aber soll der Verein auch noch ein Symbol katalanischer Unabhängigkeit sein, der Unterdrückung durch die Franco-Diktatur und des Madrider Zentralismus, für das Streben nach Freiheit überhaupt. Jeder Sieg gegen Real Madrid - ein Votum für ein freies Katalonien. Wie kann ein Verein so eine Überfrachtung verkraften?

Johan Cruyffs Geschöpf

Schon im sportlichen Bereich ist der FC Barcelona kaum im Ganzen zu überblicken. Die Rivalität mit Real Madrid definiert den Club und stiftet eine Identität des auf immer unterdrückten Rebellen. Es braucht ja auch etwas, wogegen man aufbegehren kann. Unter diesen Umständen war es erst recht etwas  besonderes, als Johan Cruyff 1973 zu "Barça" wechselte. Der hippe Holländer, der den Begriff "Superstar" im Fußball neu definierte, wechselte ins politisch und gesellschaftlich rückständige Spanien, damals noch eine Diktatur. Und bewusst nicht zu Real Madrid, denen man eine Bevorzugung durch Franco nachsagte, sondern nach Katalonien, dessen Bewohner ihre Muttersprache nicht sprechen durften.

Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass mit dieser Entscheidung des holländischen Megaspielers der moderne Fußball begann. Die Stadt Barcelona war damals alles andere als die pulsierende Metropole von heute, mit den Bruchbuden der Fischer statt einem Expo-Gelände und sich gar nicht der Tatsache bewusst, dass sie tatsächlich einen Strand hat. Cruyffs Ankunft wird heute noch wie eine Erweckung beschrieben. Der Verein dümpelte wenig bedeutsam vor sich hin, die letzte Meisterschaft hatte es 1960 gegeben.

In Cruyffs erster Saison wurde der FC Barcelona erneut spanischer Meister, der unbestrittene, geradezu mythisch verehrte Höhepunkt war ein 5:0 Sieg im Bernabeu bei Real Madrid. Im Vereinsmuseum ist diesem Spiel eine ganze Wand gewidmet, auf den Mannschaftsfotos sieht man auch den zeitlos frisierten Günter Netzer. Über Cruyffs Legendenstatus wird etwas vergessen, dass die nächste Meisterschaft bis 1985 auf sich warten ließ und dass der Held weniger Silberware mit seinem Verein gewann, als zum Beispiel Netzer mit Madrid. Enscheidend ist aber der Einfluss auf den Club und auf die Stadt, die der querköpfige und stolze Cruyff hatte. Und dass ihn die Erinnerung an diese Zeit dazu bewegte, noch einmal als Trainer wiederzukommen.


Es wurde eine der bedeutsamsten Trainerentscheidungen aller Zeiten; vielleicht die wichtigste im modernen Fußball. Der Fußball hatte sich in den 70er und 80er Jahre nicht groß entwickelt. Technisch virtuose Teams wie Brasiliens und Frankreichs Nationalmannschaft gewannen nichts, im Clubbereich hatten die englischen Vereine mit kraftvollem Spiel dominiert, bis sie nach Heysel nicht mehr mitspielen durften. Italienische Clubs legten das Spiel lahm. In diese Szenerie platzten Milan mit aggressivem und modernem Pressing und Barcelona mit rasanter, kompromissloser Offensive. Das Dreamteam um Romario und Stoichkov und einen jungen Mittelfeldspieler namens Guardiola war geboren.

Cruyff definierte den Verein noch mal neu, und über die Erfolge auch den Fußball. Durch seine Erfolge behielt er auch nach seinem Aus als Trainer eine gewichtige Mitsprache im Verein und setzte immer wieder seine Ansichten von offensivem und von bestechender Technik geprägtem Fußball durch. Der FC Barcelona wurde zum Maßstab für schönes Spiel und die Erfolge wurden zur Rechtfertigung dafür, dass man größte Erfolge mit Stil einfahren konnte, ohne auf Defensive und Härte angewiesen zu sein. Heutzutage kann man auf den Hype um die Superduperelf auch mal gerne verzichten; der Einfluss des Clubs auf den Fußball seit einem Vierteljahrhundert ist aber nicht wegzuverzichten und er begann mit Cruyff.

Sturm und Drang

Die furiose Offensive war wiedergeboren und sie blieb in der Welt. Am katalanischen Ort ihrer Wiedergeburt dümpelte sie nach Cruyffs Abschied als Trainer etwas vor sich hin, bis 2004 Frank Rijkaard den Trainerposten übernahm, Ronaldinho den Superstarposten und das Barça von heute auf die Bühne trat. Ultraoffensiv, mit viel Ballbesitz und 90 Minuten Belagerung des gegnerischen Strafraums, so formte Rijkaard den Stil der Mannschaft, der sich bis heute nicht verändert hat. Und als der Trainer und der Star abtraten, waren ihre Nachfolger Guardiola und Messi und setzten den Maßstab für offensive Rasanz noch mal neu fest.

Und das alles ist nur ein kurzer Abriss nur des fußballerischen Aspektes. Man könnte noch über die Elf um Laszlo Kubala sprechen, darüber, dass die Madrider Legende Alfredo di Stefano eigentlich nach Barcelona wechseln sollte, der Verein aber den Machthabern mutmaßlich nicht zu erfolgreich werden sollte, die 11:1 Niederlage bei Real unter der noch jungen Franco-Diktatur und unter massiver Einschüchterung der Spieler aus Barcelona und immer so weiter. Allein die sportliche Geschichte des Vereins ist ein dickes Buch für sich und der Club hat ja noch mehr Facetten zu bieten.

Für Fußball, Freiheit und Filz

Das gern zitierte Vereinsmotto "Més que un club" , "mehr als ein Club" ist wirklich nicht von der Hand zu weisen. Die Rivalität zu Real Madrid führte nach dem spanischen Bürgerkrieg um so mehr dazu, dass Fußball als die einzige Möglichkeit gesehen wurde, der Zentralregierung Widerstand zu leisten. Immerhin war Barcelona von Francos Truppen blutig erobert worden und die katalanische Sprache verboten, das machte jeden Sieg gegen Real zu einem trotzig bejubelten Fest.  Der tragische Höhepunkt der Erinnerungskultur besteht im Angedenken an Josep Sunyol. Der seinerzeitige Präsident des Clubs wurde von faschistischen Truppen erschossen.

In der Post-Franco Zeit wurde Verein vom Symbol des Widerstands zum Hoffnungsträger der Unabhängigkeit, all die alten, bösen Erinnerungen im Gepäck. Wenn Real-Fans die Vergangenheit und die Erinnerung an diverse Schiedsrichterbenachteiligungen zu sehr unter die Nase gerieben werden, sprechen sie vom "Victimismo" der Anhänger von Barcelona, dem institutionalisierten Opferdasein. Und sie haben nicht ganz Unrecht damit. Die Blauroten erliegen immer wieder der Versuchung, die Vergangenheit mit ihrer Unterdrückung und Verfolgung der glanzvollen und siegreichen Gegenwart gegenüberzustellen. Ein Sieg gegen Real ist erst so richtig schön, wenn er die Toten eines Krieges von vor 80 Jahren rächt, wieder und wieder. Möge die Rivalität auch für die nächste Generation vergiftet sein, voll von "morbo", von Krankheit, wie ein so unheilbarer Gegensatz genannt wird.

Auch das, die frühere Unterdrückung und die heute demonstrierte Opferexistenz gehören untrennbar zum FC Barcelona. Und so langsam versteht man, was für ein eigenes Universum dieser Verein bildet. Gelegentlich dient er auch zur Förderung der katalanischen Sprache, natürlich mit sezessionistischem Hintergrund. Und wenn der Präsident des Vereins neu gewählt wird, gibt es einen überaus farbigen Wahlkampf, komplett mit Wahl- und Schmutzkampagnen verschiedener Parteien, fantasievollen Versprechungen und illustren Kandidaten aus der sportlichen Vergangenheit. Es hat sich eingebürgert, dass der Sieger als erstes die Wirtschaftsprüfer kommen lässt und finanzielle Sünden der letzten Legislaturperiode aufdeckt. Nicht zu weit zurück, sonst könnte man selber beteiligt sein. Vor, während und nach der Wahl versorgen immer neue Vizepräsidenten die Zeitungen, namentlich "El Mundo Deportivo" mit mit neuen Skandalnachrichten. Das Benutzen der Presse ist überhaupt wieder eine Geschichte für sich.

Das alles ist der FC Barcelona. Das und noch viel mehr. Der reine Wahnsinn in blaurot, auf und neben dem Spielfeld und soviel més que un club. Schön, dass wir ihm mal in der Champions League begegnen und schön, dass die Begegnung nur auf sportlicher Ebene stattfindet.

Ach ja, sportlich - ein Spiel findet ja auch noch statt. Die Nachricht, dass Lionel Messi verletzungsbedingt nicht dabei sein wird, rief gemischte Reaktionen unter Borussias Fans hervor, zwischen "wie schade" und "ein Glück".  Früher hätte das eine größere Schwächung von Barça bedeutet, inzwischen sind Suarez und Neymar respektabler Ersatz. Das 5:0 vom Wochenende in Gijon sollte Beweis genug dafür sein.

Die Borussen ihrerseits hoffen zuerst einmal darauf, dass sie zuhause besser aussehen als in fremden Stadien und dann darauf, dass Raffael fit ist für das große Spiel. Der holprige Sieg gegen Ingolstadt, bei dem auch Hazard anfangs geschont wurde, ließ die Hoffnungen auf einen Sieg am Mittwoch nicht unbedingt aufblühen. Ohnehin wird es schwer gegen eine Mannschaft, gegen die es einfach alle schwer haben. Wie kontert man die manische Lust der Katalanen am Ballbesitz, wie entgeht man ihrer Belagerung des gegnerischen Strafraums? Am schwersten tat sich Barcelona in den letzten Jahren nicht gegen Real sondern gegen Atletico Madrid, aber dessen zweikampfbetonten und phyischen Stil können die Borussen nicht kopieren.

Machen wir uns nichts vor, alles andere als eine Niederlage gegen den spanischen Meister und Pokalsieger mit Neymar, Suarez, Iniesta, Busquets und nicht zuletzt ter Stegen wäre eine Überraschung. Also hoffen wir darauf, dass die Mannschaft sich achtbar schlägt, wie auch immer das am Ende aussieht, und durch diese besondere Champions League Erfahrung weiter wächst.

Aufstellungen:

Borussia: Sommer - Elvedi, Christensen, Jantschke; Johnson, Kramer, Dahoud, Wendt; Hazard, Stindl, Raffael

Barcelona: ter Stegen - Sergi Roberto, Piqué, Mascherano, Jordi Alba; Rakitic, Busquets, Iniesta; Arda Turan, Suarez, Neymar

SEITENWAHL-Tipps

Christian Heimanns: Das wird hart. Mit dem 0:2 bleiben die Borussen gut bedient und wahren ihre Achtung.

Christoph Clausen: Fühlt sich an wie ein Pokalspiel aus der Perspektive des unterklassigen Vereins. Spiel des Jahres, eigene Gesetze und so weiter. Meistens setzt sich aber doch die größere Klasse des Gastes durch. So auch hier. Immerhin gelingt ein vielumjubelter eigener Tor und trotz des 1:3 ein paar schöne Erinnerungsfotos fürs Familienalbum.

Christian Spoo: Mit 0:4 geht Borussia baden. Wollen wir hoffen, dass der Tiefschlag keine Auswirkungen auf das Kerngeschäft Bundesliga hat. Schalke muss fallen!

Thomas Häcki: Barca gewinnt und die Borussia muss sich damit bereits auf Platz 3 konzentrieren. Das 1:2 ist allerdings kein Selbstläufer und verschafft Respekt.

Claus-Dieter Mayer: Ein leidenschaftlicher Auftritt der Borussia wird letzendlich mit einem 3:3 nach turbulentem Spiel belohnt.

Volkhard Pattern: In einer epischen Europapokalnacht wird Borussia den Favoriten mit 3:1 besiegen.

Michael Heinen: Man muss nicht Lucien Favre heißen um erahnen zu können, dass die Aufgabe für Borussia am Mittwoch schwer wird. Borussia wird lange gut mithalten, am Ende aber doch mit 1:3 verlieren.