Als Borussia zu Jahresbeginn zum Rückrundenauftakt den BVB im Borussia-Park empfing, traf dort der Tabellenzweite auf den Vierten. Zum Ende des in so vielerlei Hinsicht verkorksten Jahres 2016 wird dieselbe Begegnung zu einem Krisentreffen zwischen dem 7. und 13. der aktuellen Bundesligatabelle. Beide Mannschaften benötigen dringend einen Sieg, um den Anschluss an die vorderen Plätze nicht zu verlieren. Beide müssen bei einer Niederlage damit rechnen, dass die Stimmung in der Öffentlichkeit noch weiter ins Dramatische kippt.

Da wäre zum einen der BVB, bei dem Trainer Thomas Tuchel zum ersten Mal in seiner Karriere ernsthaft unter Druck geraten ist. Ähnlich wie seinem Gegenüber werden ihm ein schwieriger Charakter und ein Drang nach zu viel Rotation und Überforderung seiner jungen Mannschaft nachgesagt. Ihm ist es aber immerhin bereits gelungen, sein Spielsystem über Jahre hinweg bei zwei Bundesliga-Klubs höchst erfolgreich zu etablieren. Der unter ihm vollzogene Aufschwung der Mainzer war eine ebenso beachtliche Leistung wie die Rückführung der Schwarz-Gelben an die Bundesligaspitze im Vorjahr.

Diesem Erfolg musste der Verein aber Tribut zollen, denn entgegen des eigenen Selbstverständnisses vieler BVB-Fans befindet sich der Klub noch lange nicht am obersten Ende der europäischen Nahrungskette. Mit Hummels, Mhikitaryan und Gündogan entschieden sich gleich drei Weltklasse-Spieler gegen die „Echte Liebe“ und für den schnöden Mammon – ein Verlust, den keine Mannschaft dieser Welt auffangen könnte. Zumal sich die Verantwortlichen bewusst dafür entschieden, das Geld vornehmlich in junge, entwicklungsfähige Talente zu investieren, die ihre beste Zeit womöglich erst in einigen Jahren vor sich haben werden. Spieler wie Dembelé, Mor oder Guerreiro haben ähnlich wie die Talent-Eigengewächse Passlack oder Pulisic schon jetzt eine beachtliche Stärke vorzuweisen. Es wäre aber zu viel, von Ihnen eine konstante Saison auf allerhöchstem europäischem Topniveau zu erwarten. Gerade auswärts stockt der Motor noch deutlich, wie zuletzt die Niederlage in Frankfurt unterstrich. Im heimischen Signal-Iduna-Park waren die letzten Auftritte beim 1:0 über Bayern München und beim 8:4 gegen Legia Warschau hingegen sehr beeindruckend. Zeigt die Mannschaft am Samstag eine ähnliche Leistung, wird es für Borussia selbst in Bestform schwer zu bestehen.

Von dieser Bestform ist die Elf vom Niederrhein derzeit aber ein gutes Stück entfernt. Seit 7 Bundesliga-Spielen wartet sie auf einen Sieg. Immerhin: Die letzten Leistungen gegen Köln, Manchester und Hoffenheim waren zumindest in je einer Halbzeit ordentlich und deuten einen Aufwärtstrend an, der im Idealfall das Ende der aktuellen Krise einleiten könnte.

Fraglich bleibt aber ob dies ausgerechnet beim BVB in das so dringend benötigte Erfolgserlebnis münden wird. Vor zwei Jahren gelang es Lucien Favre, sich mit einem kaum für möglich gehaltenen 2:1 in Dortmund aus einer ähnlichen Krise zu befreien. Es war der einzige Auswärtssieg beim BVB in den letzten 15 Begegnungen, aus denen Borussia insgesamt gerade einmal 5 Punkte holen konnte.

Der Stimmung rund um den Borussia-Park würde ein Sieg in jedem Fall zuträglich sein. Aber selbst eine weitere Niederlage sollte den Verein und seine Verantwortlichen nicht umwerfen. Wenn die Ergebnisse ausbleiben, dann ist es eine natürliche Begleiterscheinung, dass der Boulevard Geschichten erfindet oder ausschmückt, die bewusst für Unruhe sorgen sollen. Am nächsten Tag erscheint dann der Folgeartikel mit dem Dementi und schon wurde die Auflage gleich doppelt positiv beeinflusst. Dass sich einige Fans von solch unseriösen Praktiken diverser Möchtegern-Journalisten anstecken lassen und ihrem Frust in den sozialen Medien oder im Stadion auf überzogene Weise Ausdruck verleihen, ist eine weitere unschöne Konsequenz, mit der jeder Beteiligte am Fußball-Business ein Stück weit leben muss.

Es ist aber vollkommen aberwitzig, Max Eberl wegen seiner in weiten Teilen berechtigten und höchstens in der Form angreifbaren „Wutrede“ Amtsmüdigkeit vorzuwerfen oder ihn anderweitig in den Mittelpunkt der Kritik zu stellen. Man kann diverse Aspekte seiner Arbeitsweise kritisch hinterfragen. Niemand, der das Fußball-Geschehen der letzten Jahre verfolgt hat, kann aber seine überragende Bedeutung für den Verein in Abrede stellen, für die ihm auf ewige Zeiten Respekt und Dankbarkeit gebührt. Wenn er irgendwann einmal in hoffentlich sehr ferner Zukunft den Verein verlässt, so wird dies ein ähnlich großer Verlust für Borussia wie es einst das Ende von Helmut Grashoff gewesen ist.

Es wäre Eberl und dem Verein zu wünschen, dass auch bei einem weiteren Misserfolg am kommenden Samstag – fernab der üblichen unvermeidlichen Medien-Mechanismen – keine übermäßige Panik im Umfeld ausbricht, sondern in sachlich-konstruktiver Weise die potentiellen Fehlerquellen analysiert werden, die zur höchst mittelmäßigen Bilanz des Jahres 2016 beigetragen haben. Noch viel mehr zu wünschen wäre ihnen aber, dass der Verein mit seinem Manager Max Eberl und Trainer André Schubert schon beim verhinderten Spitzenspiel im Signal-Iduna-Park mit einem Sieg analog zu 2014 die Wende zum Guten einleitet.

Aufstellungen

Dortmund: Weidenfeller – Piszczek, Sokratis, Bartra, Schmelzer – Dembelé, Weigl, Castro, Götze, Reus – Aubameyang

Borussia: Sommer – Elvedi, Christensen, Vestergaard, Jantschke – Hazard, Strobl, Dahoud, Wendt – Stindl, Raffael

SEITENWAHL-Tipps

Christian Spoo: „Der Aufwärtstrend hält an. Borussia verliert 0:3.“

Thomas Häcki: „Eine kriselnde Borussia kommt der kriselnden Borussia gerade recht. Leider erweist sich die wahre als Aufbaugegner und fährt nach dem 0:4 geschockt zurück.“

Christian Heimanns: „Die richtige Borussia aus Mönchengladbach erteilt der kleinen aus Dortmund eine Lehrstunde. Eine über echte und eingebildete Krisen. 3:0 für die Hausherren.“

Michael Heinen: „Meine Redaktionskollegen sind mal wieder viel zu negativ. Borussia schlägt sich in Dortmund wackerer als es auswärts erwartet werden sollte und verliert lediglich mit 0:2.“

Uwe Pirl: „Die Dortmunder sind von Tuchels Wutrede mindestens so eingeschüchtert wie die Gladbacher Fans von Max Eberls Ausbruch. Das nutzt die richtige Borussia aus: Kämpferisch aktiv wie gegen Manchester und Barcelona gelingt es erstmals seit langem, ein Spiel ohne Slapstick zu absolvieren (obwohl: Kramer ist ja wieder dabei? Egal!). Ein unansehnliches 0:0 zweier sich neutralisierender Teams ist die Folge. Was keinen klüger macht…“

Claus-Dieter Mayer: „Da die Atmosphäre im ehemaligen Westfalenstadion so ein bisschen was von Champions-League hat, zeigt Gladbach sein Feiertagsgesicht und holt ein 1:1. Dass solch ein Achtungserfolg kein automatisches Krisenende ist, weiß aber Jupp Heynckes, der 2006 nach ebenfalls 7 sieglosen Spielen bei Bayern mit der Borussia ein 1:1 ertrotzte.“