In der letzten Länderspielpause beschäftigten wir uns in einem Artikel mit dem Phänomen des “Momentums” und kamen zu dem Schluss, dass dieses zumindest zum Groβteil eher Einbildung als Realität sei. Der 28. Bundesligaspieltag war wie geschaffen dafür, diese These nochmals zu unterstreichen. Da reist z.B. der langjährige Bayern-Rivale BVB mit 12 ungeschlagenen Spielen im Rücken beim gerade von Leipzig besiegten FC Bayern an. Momentumstechnisch eine Riesenchance für die Dortmunder, die dann aber schon in der ersten Halbzeit in ihre Einzelteile zerlegt werden. Ähnlich erging es dem 1. FC Köln, der nach einem starken 2:0 gegen Leverkusen auf einmal wieder zumindest am Relegatisonplatz zu schnuppern meinte,  diesen Schwung in Hoffenheim aber ebenfalls nur in ein desolates 0:6 ummünzen können. Anhänger der Momentum-Theorie werden vermutlich argumentieren, dass die vorherigen Erfolge jeweils halfen, zweistelligen Niederlagen zu verhindern aber weder am Borsigplatz nach am Heumarkt wird das als sonderlicher Trost ankommen.

Und die Borussia? Nun, die hatte ihren vermeintlichen “Brustlöser” bereits vor einigen Wochen, als man nach 4 punkt und torlosen Spielen in Hannover gewann. Wer hoffte, damit sei der/ein Bann gebrochen, musste dann aber enttäuscht feststellen, dass man auch die nächten 4 Partien sieglos blieb. Dass immerhin 3 Punkte und 5 Tore dabei herumkamen, kann man nur mit arg übertriebenen Wohlwollen als Fortschritt feiern. Dabei kam mit Leverkusen nur einer der Gegner aus dem oberen Tabellendrittel und zuletzt konnte man sogar wieder auf den vorher so arg vermissten Raffael und eine insgesamt verbesserte Personaldecke zurückgreifen. Das erklärt auch die allgemeine Enttäuschung über das 0:0 in Mainz: natürlich kann sowas passieren, auch in Mainz gewinnt man nicht von selbst, aber angesichts der vielen bereits verlorenen Punkte stellt sich die Frage, wo  denn die Borussia eigentlich steht, wenn  man noch nicht mal bei einem seit Wochen auf niedrigem Niveau herumgurkenden potentiellen Absteiger gewinnen kann? Die Antwort gibt die Rückrundentabelle: Punktgleich mit eben jener Mainzer Gurkentruppe!  Nun mag das den wahren Leistungsstand vielleicht etwas sehr negativ widerspiegeln, aber in ähnlicherweise haben die 28 Punkte der Hinrunde dem Team geschmeichelt. Realistisch ist wohl das Gesamtresultat: +/- einem Punkt steht man auf Augenhöhe mit dem VFB Stuttgart, dem FC Augsburg, Werder Bremen und Hertha BSC im Niemandsland der Liga und hat selbst mit den  Spielen um die goldene Ananas in dieser Saison wohl nichts mehr zu tun.

Auch die Hauptstädter sind nach Platz 7 und 6 in den Vorjahren nicht ganz so zufrieden mit ihrem momentanen 11. Platz, können diesen jedoch erheblich besser als “normal” akzeptieren, vor allem wenn man auf den Ligazwilling aus Köln guckt. Beide Mannschaften weisen einige Parallelen auf: Wiederaufstieg, Konsolidierung in der ersten Liga, stoische Trainer, die viel Wert auf Defensive und taktische Disziplin liegen, Platzierungen im oberen Tabellendrittel im Vorjahr… Ein gewisser Einbruch war auch bei beiden zu erwarten. Zum einen aus dem statistischen Prinzip der „Regression zur Mitte“ heraus, welches besagt, dass man halt nicht auf Dauer überdurschnittliches leisten kann, zum anderen aber auch wegen der zusätzlichen internationalen Belastung. Im Vergleich zum FC wird man in Berlin mit einer gewissen Erleichterung feststellen, dass der Rückschritt bei weitem nicht so dramatisch war. Dies liegt vor allem daran, dass der Berliner Erfolg der letzten Jahre nie nur von einer Person wie Anthony Modeste abhing, sondern man über die Jahre ein nirgendwo herausragend aber auf fast allen Positionen gut besetztes Team aufgebaut hat. Während man in Mönchengladbach seit Jahren debattiert, ob man einen klassischen „Neuner“ braucht, hat Berlin mit Selke und Ibsevic derer gleich zwei, die mit jeweils 5 bzw 4 Ligatreffern aber bislang nicht unbedingt überzeugende Werbung für ihre Position gemacht haben. Torgefährlichster Spieler ist bei der alten Dame Kalou, der eher aus dem Mittelfeld kommt und den Borussenfans aus dem Auswärtspiel in Berlin im Herbst 2016 noch in höchst unangenehmer Erinnerung haben werden. Das Rückrundentorverhältnis von 6:7 (damit hat man die wenigsten Rückrundengegentore aller 18 Teams!)  zeigt jedoch eindeutig, dass die Defensive bei der Hertha Vorrang hat; mit Plattenhardt hat man dort auch nach langer Zeit mal wieder einen deutschen Nationalspieler vorzuweisen.

Eine Parallele zu Borussia ist, dass Berlin am letzten Spieltag gegen den anderen heissen Kandidat auf den Relegationsplatz, den VFL Wolfsburg, ebenfalls nur ein maues 0:0 erzielte. Es ist sicher kein bärenstarker Gegner, der am morgigen Samstag in den Borussiapark kommt, aber ein höchst unangenehmer und die Tatsache, dass die beiden einzigen Rückrundensiege der Herthaner auswärts erfolgten (einer davon immerhin in Leverkusen!) sollten Warnung genug sein.

In einer eh schon ziemlich qualitätsfreien Liga, die im wesentlich von der Wettbewerbsspannung lebt, kann das Duell Neunter gegen Elften im Niemandsland kaum euphorische Vorfreude erzeugen, aber für die Borussia ist es wichtig, sich nicht endgültig den Kredit bei ihren Anhängern zu verspielen. Personell scheint sich die Lage in Gladbach weiter zu entspannen; man kann damit rechnen, dass der in Mainz noch geschonte Zakaria zurück ins Team kehrt. Ob das auch taktisch Konsequenzen hat, oder ob Dieter Hecking beim 3-5-2 der letzten beiden Spiele bleibt, wird sich zeigen. Da die Hoffnungen auf Europa-League-Qualifikation nur noch theorethischer Natur sind, geht es für den VFL in den letzten 6 Spielen darum, eine erneut durchwachsene Bundesliga-Saison eingermassen versöhnlich zu Ende zu bringen. Für den Fan wird in den kommenden Wochen wohl weniger der Blick auf die Tabelle entscheidend sein als die Begutachtung des Kaders und wie der sich zur nächsten Saison verändern kann und soll. Klar ist, dass die Borussia neue Impulse – und ja, eventuell auch, was die sportliche Leitung betrifft - braucht, damit die augenblickliche Mittelmäβigkeit nicht zum Dauerzustand wird.

 

Mögliche Aufstellungen:

Borussia: Sommer - Ginter, Vestergaard, Elvedi - Herrmann, Zakaria, Stindl, Kramer, Wendt - Hazard, Raffael

Hertha: Jarstein - Weiser, Stark, Rekik, Plattenhardt - Maier, Lustenberger - Lazaro, Darida, Kalou - Selke

 

Seitenwahl-Tipps:

Claus-Dieter Mayer: Mit einem 2:0 Sieg kann die Borussia endlich mal wieder eine positiven Akzent setzen und einen wichtigen Schritt auf dem Weg zum Minimalziel Einstelligkeit machen.

Christian Spoo: Drei Unentschieden sind wie ein Sieg in doof. Borussia-Hertha 2:2.

Thomas Häcki: Die Null muss stehen. Dass sie das vorne tut ist eines der Themen die in Sommer thematisiert werden sollen.