“Just a perfect day, drink sangria in the park…” Vermutlich werden die Borussenfans am Samstagabend weniger mit Sangria als mit Bier gefeiert haben, aber ansonsten passt Lou Reeds Klassiker vom 72er Album Transformer sicher gut zur Gemütslage der meisten nach dem Spiel. Besser konnte es unmöglich kommen. Aber wie in jeder guten Heldengeschichte sah es zu Beginn überhaupt nicht nach einem Happy End aus. Trotz eines furiosen Starts mit 3 Groβchancen lag die Borussia nach 20 Minuten plötzlich mit 0:1 hinten. Der durch Sperren, Verletzungen und Magen-Darm-Grippe auf einen Kader von 15 Spielern zusammengeschrumpfte Gegner aus Leverkusen hatte, obwohl schon sicher für die Champions-League qualifiziert, offensichtlich nicht die Absicht dem rheinischen Rivalen einen Sieg zu schenken, sondern war durch einen schön herauskombinierten Angriff gegen in dieser Szene viel zu passive Gladbacher zur Führung gekommen und kontrollierte in der Folgezeit zunächst auch das Spiel. Parallel führte Hertha gegen Darmstadt und Schalke hatte noch massig Zeit ein Tor gegen Augsburg zu erzielen. Es sah also düster für die Champions-League-Ambitionen des VFL aus.

 Der Ausgleich 5 Minuten vor der Pause war dementsprechend auch weniger erspielt als erkämpft, als Traore am Strafraum nachsetzte, noch zum Schuss kam und Hahn dann den Abpraller einnetzte. Überhaupt: Hahn! Sind sein Spiel und seine Tore nicht immer irgendwie Kampf? Unter den grazilen Fuβballkünstlern wie Dahoud, Raffael oder Stindl wirkt der leicht klobige Hahn immer etwas deplatziert, aber genau solch ein Spielertyp tut der Borussia manchmal sehr gut, wie die letzten Wochen zeigten. Wo Raffael und Co. den Ball ins Tor tragen, arbeitet Hahn ihn hinein, wuchtet oder hämmert das Spielgerät ins Netz. Abgesehen von seinen Toren arbeitet er auch auf dem Platz viel, hat ein gutes Stellungsspiel und hat auch mehr Talent für das Gladbacher Kombinationsspiel als man vielleicht erwarten würde. André Hahn ist die Positivüberraschung der letzten Wochen und man freut sich angesichts seiner Verletztenmisere in den Monaten zuvor besonders für ihn.

Nach der Halbzeitpause nahm das Mönchengladbacher Frühlingsmärchen dann seinen Lauf. Zwar vergab man zunächst diverse Torchancen, doch bald zeigte der Fuβballgott endlich dass er tief im Herzen doch Borusse ist: Calhanoglus Volleyschuss traf Nordtveits Arm, aber es gab keinen Elfmeterpfiff, dann gelang der Borussia das 2:1 in einer Phase, in der es nicht gerade in der Luft lag, dann ging auch noch Darmstadt in Berlin in Führung, Schalke erzielte und verspielte eine Führung in kurzer Zeit, und Martin Stranzl durfte auch noch mal für ein paar Minuten zum letzten Mal den Rasen des Borussiaparks betreten. Man war kurz davor sich zu zwicken, ob das denn alles wahr sein könne. Nach dem Spiel gab es keine Halten mehr, nun konnte man von allen Sorgen befreit die scheidenden Spieler (vor allem Stranzl, Brouwers und Nordtveit) tränenreich feiern wie auch Mannschaft und Trainer für ihren bemerkenswerten Kraftakt von Platz 18 in die CL-Play Offs den verdienten Applaus erhielten.

Hätte man mir vor einem Jahr gesagt, dass wir diese Saison als Vierter abschlieβen würden, hätte ich vermutlich nur “ja, klar!” gesagt. Nach Tabellenplätzen 4 (60 Punkte), 8 (47),  6  (55), 3 (66) passt Platz 4 mit 52 + x Punkten prima ins Bild. Vielleicht hätte ich noch hinzugefügt: “Favre ist halt ein Klassetrainer!” Nicht vorstellbar wäre es für mich aber gewesen, dass wir dieses Ergebnis ohne einen wegen Sieglosigeit aufgebenden Favre mit unserem U23-Trainer einfahren. Schuberts Bilanz ist schon eines der beeindruckendsten Bundesligadebüts die es je gab: 28 Spiele, 52 Punkte, 63:38 Tore. Selbst wenn man unfairerweise die 6 Auftaktsiege als “Anfängerglück” weglässt, bleiben 34 Punkte aus 22 Spielen, was auf eine Saison hochgerechnet genau die 52 Punkte ergibt, bei denen wir jetzt liegen. Auch in der Rückrundentabelle liegt man im oberen Drittel nur einen Punkt hinter dem VierteAndre Schubertn. Ja, es gab schlechte Spiele und Rückschläge, aber man ist nicht eingebrochen, wie einige es vorhergesagt hatten.

Trotz dieser beindruckenden Daten ist André Schubert jedoch weiterhin zumindest bei einigen umstritten und Manager Max Eberl muss sich auf Pressekonferenzen Fragen nach einem möglichen Trainerwechsel anhören. Dies mag absurd anmuten, aber es gibt gewisse Gründe dafür und die haben in meinen Augen zum Großteil wenig mit der Person Schubert und seiner Arbeit zu tun, sondern liegen eher an der ungewöhnlichen Situation in die er hineingeraten ist. Lucien Favre hat in Gladbach nicht nur gute Arbeit sondern schon diverse kleinere Wunder geleistet. So sehr man sich mehr als 4 Jahre daran freuen konnte, war da aber auch immer im Hinterkopf diese unangenehme Frage: Was ist wenn Favre irgendwann geht? Versinken wir wieder im Mittelmaß oder schaffen wir es das Niveau zu halten? Vor allem ein Profi wie Eberl wird sich darüber seine Gedanken gemacht haben. Der Trainer nach Favre – das sollte seine Meisterprüfung sein, das müsste ganz genau überlegt werden. Jeder kennt vermutlich diesen Alptraum aus der Schul- oder Studienzeit: man hat den Termin für die wichtige Klausur vergessen und muss sie auf einmal unvorbereitet schreiben. So ähnlich muss es Eberl ergangen sein, als Lucien Favre plötzlich seinen Hut nahm und ging. Statt in Ruhe zu planen, musste er improvisieren. Mit dem U23-Trainer als  Interimscoach sollte die Zeit überbrückt werden bis die “groβe Lösung“ gefunden würde. Dann gewinnt der Interimscoach ein Spiel nach dem anderen und wird letztendlich zum Chef. Eine logische, pragmatische Entscheidung, die aber skeptisch veranlagte Menschen sofort “Das soll die Lösung sein? Unser U23-Trainer?” fragen lässt. Solange Schubert gewinnt, wird diese Frage unterdrückt, aber bei den kleinsten Rückschlägen kommt sie immer wieder auf. Das mag unfair erscheinen, liegt aber einfach in der menschlichen Natur und ist angesichts dessen, was für den Verein auf dem Spiel steht (sich dauerhaft in der deutschen Fußballspitze zu etablieren!) auch nicht ganz unangebracht.

Es macht Schuberts Leistung umso beeindruckender, wie er mit der Mannschaft trotz dieser störenden Diskussionen um seine Person den vierten Platz erreicht hat. Auch wenn die Skeptiker sicher auch noch die nächste Saison abwarten wollen, bevor sie dem Braten endgültig trauen, ist das Thema Trainerwechsel damit vorerst beendet und Sportdirektor und Trainer können sich in Ruhe mit der Planung für die nächste Saison beschäftigen, die, wie jedes Jahr, die wichtigste der Vereinsgeschichte sein wird. Schuberts Erstlingswerk ist auf jeden Fall ein vollendetes und klingt verblüffend nach Champions-League Hymne.