Ausrufezeichen offensiv, Fragezeichen defensiv. So stellte sich Borussias Situation über beträchtliche Strecken der vergangenen Saison dar, so auch vor Beginn der neuen Spielzeit. Im Spiel nach vorne ist Borussia qualitativ weiterhin überragend bestückt: Der Verbleib des von hochkarätiger Konkurrenz heftigst umworbenen Raffael war eine Eberlsche Großtat. Ein Abgang des Brasilianers hätte eine klaffende Lücke gerissen und das Prunkstück Offensivspiel in eine Problemzone verwandeln können. Steht zu hoffen, dass Raffael gesund bleibt. Einen längeren Ausfall dieses Schlüsselspielers könnte Borussia, zumal nach dem Abgang des kongenialen Taktgebers Xhaka, nur sehr schwer verkraften. Aus demselben Grund war es wichtig, den millionenschweren Verlockungen für den umworbenen Mo Dahoud zu widerstehen. Dies wahrscheinlich noch viel mehr für den Spieler selbst als für Borussia, denn es wäre ein allzu gewagter Schritt, nach der ersten starken, aber auch wechselhaften Saison direkt zu einem internationalen Großklub zu wechseln.

Zwei bis drei weitere Jahre in der sicheren Umgebung des Borussia-Parks zu reifen, um dann mit 23 oder 24 Jahren immer noch relativ jung ggf. den nächsten großen Sprung zu wagen – so sieht eine zielführende Karriereplanung aus. Der Deutsch-Syrer frage nach bei seinem bisherigen Mittelfeldkollegen, der in Gladbach zum hochkarätigen Führungsspieler gereift und jetzt mit guten Aussichten beim FC Arsenal seine Karriere noch weiter krönen kann.

Trotz des Abgangs von Xhaka wird André Schubert ohne allzu große Verletzungssorgen gerade mit Blick auf die hochkarätige Offensivabteilung regelmäßig vor der vergleichsweise angenehmen Qual der Personalwahl stehen. Zumindest in der Hinrunde sollte die Mehrfachbelastung hinreichend Rotationsanlässe schaffen, um allzu großer Unzufriedenheit bei einzelnen Spielern vorzubeugen. Nach den Eindrücken der Vorbereitung könnten Traoré und Hazard eine noch gewichtigere Rolle spielen als in der letzten Spielzeit, in geringerem Maße gilt das auch für Jonas Hofmann.

Größere Ungewissheit herrscht in der Defensive. Eine bessere Balance zwischen ungestümem Offensivdrang und kompakter Absicherung ist erklärtes Borussenziel vor der neuen Saison. Seiner Erreichung steht die nicht enden wollende Unpässlichkeit von Alvaro Dominguez entgegen. Die Rückkehr des Spaniers in Bestform könnte der Defensivabteilung einen ganz wichtigen Qualitätsschub verleihen. Mit einem Duo Christensen-Dominguez wäre die Borussia auch auf Champions League-Niveau sehr anständig aufgestellt. Dagegen hat Jannik Vestergaard in der Vorbereitung zwar die Gladbacher Präsenz bei hohen Bällen verbessert, ansonsten aber Anpassungsschwierigkeiten offenbart. Jantschke meldet wieder größere Ansprüche auf einen Stammplatz an, bleibt aber nur ein Kopfballmönsterchen. Spannend wird sein, wie schnell der so hochgelobte Doucouré für höchste Aufgaben in Frage kommen wird.

Im defensiven Mittelfeld hat Borussia mit Chris Kramer richtig Qualität verpflichtet. Mit ihm in einer defensiv betonten Variante und Dahoud mit vielen Freiheiten nach vorne könnte der Verlust von Xhaka im besten Fall einigermaßen aufgefangen werden. Zudem deutete Strobl in der Vorbereitung an, dass er als weitere defensivbetonte Option eine wichtigere Rolle spielen könnte als ihm manch ein Borussenfan zugetraut haben mag. Im ungünstigeren Fall lässt sich Mo Dahoud vom Buhlen anderer Vereine leistungsmindernd ablenken.

Die Prognosen der Seitenwahl-Redaktion:

Christoph Clausen: „In der Summe gilt wie jedes Jahr: Zu viele der offenen Fragen, als dass eine seriöse Prognose über Borussias Abschlussplatzierung möglich wäre. Die Qualität, um sich erneut für einen europäischen Wettbewerb zu qualifizieren, ist zweifellos vorhanden. Borussia bleibt aber gut beraten, nicht so riskant zu planen, dass man von diesem Best Case finanziell abhängig wird.“

Thomas Häcki: „Die Abgänge von Xhaka, Nordtveit und Stranzl wurden zumindest auf dem Papier sinnvoll kompensiert. Nahezu alle Positionen sind doppelt besetzt, taktisch sind Variationen denkbar, was das Team etwas unberechenbarer machen. Bleibt man von Verletzungen verschont, werden die Fohlen auch in dieser Saison wieder zu den sechs besten Teams in der Bundesliga gehören, wobei Bayern, Dortmund und Leverkusen qualitativ stärker einzuschätzen sind. Unruhe könnte bei der Trainerfrage aufkommen. Zwischen Platz 3 und 7 ist alles möglich, Platz 5 daher ein gutes Ergebnis.“

Christian Heimanns: „Den Abgang von Xhaka kann die Borussia weitestgehend wegstecken und eine absolut zufriedenstellende Saison spielen. Platz 5 zwischen den Finanzschwergewichten wäre ein Erfolg, keine Selbstverständlichkeit. Die Champions League wird gegen YB Bern erreicht, aber ganz schön knapp, danach blühen uns dort Platz 3 oder 4. Für den Pokal treffe ich keine Vorhersagen, das geht noch mehr daneben als der Rest.“

Uwe Pirl: „Natürlich wird es wie in jedem Jahr unnötige Gegentore, vermeidbare Niederlagen, vielleicht sogar eine längere Phase ohne Sieg und jede Menge Diskussionen darüber geben, welches Risiko man taktisch eingehen sollte. Dennoch ist Optimismus angebracht: Die Neuzugänge und die vorhandene Substanz sollten qualitativ und quantitativ ausreichen, um das Niveau des Vorjahres zu halten und die Abgänge zu kompensieren. Wenn es gelingt, Defensive und Offensive noch etwas besser miteinander in Einklang zu bringen und wenn die zuletzt wieder aufgetretene Auswärtsschwäche abgestellt wird, steht einer erneuten Qualifikation für die Champions League nichts im Wege.“

Michael Heinen: „Es ist jedes Jahr aufs Neue schwer für Borussia, das hohe Niveau konstant aufrecht zu erhalten und sich im Kreis der weit finanzkräftigeren Topklubs zu behaupten. Die Mannschaft ist inzwischen aber in Spitze und Breite so gut aufgestellt, dass zumindest ein Verbleib im oberen Tabellendrittel realistisch erscheint. Bayern, BVB und Leverkusen sind besser besetzt. Mit Schalke und Wolfsburg befindet sich Borussia aber auf Augenhöhe, so dass viel für eine Endplatzierung zwischen 4 und 6 spricht. Ich befürchte, die Champions League wird diese Saison knapp verfehlt. Auch deshalb, weil die Mannschaft international überwintert.“

Christian Spoo: „Trotz des Weggangs von Granit Xhaka hat Borussia ein konkurrenzfähiges Team beisammen, das wieder um den Einzug ins internationale Geschäft spielen wird. Der Verlust des Spielmachers wird dennoch immer mal wieder schmerzlich zu spüren sein. In der Defensive hat Borussia den Verlust von Brouwers, Stranzl und womöglich auch Dominguez einigermaßen kompensiert. Dass es diesmal nur die Euro-League wird, liegt aber nicht allein an der in Summe minimal gesunkenen Qualität des eigenen Kaders als an der Stärke der Konkurrenz. Dortmund ist eine Wundertüte, wird aber am Ende deutlich vor der richtigen Borussia landen. Leverkusen ist in diesem Jahr deutlich stärker einzuschätzen. Dazu kommen beruhigte und damit verbesserte Schalker. Borussia landet auf Platz fünf, was bitteschön niemand als Misserfolg begreifen sollte.“

Claus-Dieter Mayer: „Nach 50 Gegentoren in der Vorsaison und den Abgängen von Xhaka, Nordtveit, Stranzl und Brouwers lag der Fokus bei den Transfers wie zu erwarten im Defensivbereich und mit Kramer, Strobl und Vestergaard konnte man erfahrenen Ersatz verpflichten. Dazu noch die Eberl-typische Mischung aus jungen Talenten für die Zukunft (Benes, Docouré) und fertig ist ein sehr breiter variabler Kader. Weil die Mannschaft sich jedoch erst finden muss und wegen der Dreifach-Belastung bis ins Frühjahr 2017 reicht es diesmal „nur“ zu einem fünften Platz.“