Dass sich Borussia Mönchengladbach spätestens nach der Niederlage in Stuttgart in einer handfesten Krise befindet, wird wohl kaum noch jemand bestreiten. Acht Niederlagen in den letzten elf Spielen lassen ebenso keinen anderen Schluss zu wie der Umstand, dass die Mannschaft nach Rückständen regelmäßig geradezu ratlos wirkt und derzeit weder Mittel gegen tief stehende Gegner noch Mittel gegen aggressiv pressende Kontrahenten findet. Zwar ist es beruhigend, dass aufgrund der dramatischen Schwäche einiger anderer Teams eine Verstrickung in den Abstiegskampf in dieser Saison wohl nicht mehr droht. Andererseits ist es extrem ärgerlich, dass das von Max Eberl regelmäßig verkündete Mantra, Borussia Mönchengladbach wolle dann hellwach sein, wenn die Konkurrenten ums internationale Geschäft schwächeln, in dieser Saison erneut nicht eingelöst werden kann.  

Woran liegt es also, dass die Mannschaft, deren Potential vor der Saison allgemein hoch eingeschätzt wurde, so regelmäßig versagt – zuerst, als es darum ging, sich in den Champions-League-Rängen festzusetzen, mittlerweile auch dann, wenn auch nur der Anschluss an die internationalen Plätze gehalten werden soll? 

Freunde einfacher Antworten verfallen in solchen Situationen gerne in bekannte Reflexe: Die Mannschaft ist wahlweise zu wenig kämpferisch oder nicht bundesligatauglich, der Trainer unfähig, der Sportdirektor verbraucht und der kaufmännische Leiter zu wenig risikoaffin. Köpfe müssen rollen, „…. muss weg!“, das kennen wir auch aus anderen Lebensbereichen. 

Glücklicherweise ist Borussia Mönchengladbach ein Verein, der solche einfachen Lösungen in den meisten Phasen seiner Geschichte nicht zu den bevorzugten Mitteln der Problemlösung zählte. Deshalb ist auch nicht damit zu rechnen, dass im Falle der einzukalkulierenden Niederlage gegen Borussia Dortmund am kommenden Wochenende der Verein Amok läuft und wahllos Spieler suspendiert oder Trainer und/oder Sportdirektor in die Wüste schickt. Gut so!  

Dennoch sollte man endlich aufhören, sich die aktuelle Situation schönzureden. Es geht im Moment nicht mehr darum, dass man gerade die im Verlauf einer Saison unvermeidliche Formdelle hat. Es geht auch nicht darum, dass „sich die Mannschaft für an sich gute Spiele nicht belohnt“, wie das im Borussia-Neusprech derzeit gerne heißt. Vielmehr bringt die derzeitige Situation substanzielle Defizite in allen Bereichen zum Vorschein, die bisher durch die individuelle Qualität der Mannschaft (aber möglicherweise auch durch die Schwäche der Bundesliga insgesamt) überdeckt wurden. Deshalb muss sich der Verein – aufgrund des Erfolgs und der allgemeinen Wertschätzung in den letzten Jahren möglicherweise etwas selbstzufrieden geworden – in allen Bereichen hinterfragen.  

Der Sportdirektor und die sportliche Leitung im weitesten Sinn sollten darüber nachdenken, wie sich die offensichtlich unrunde Kaderzusammenstellung dieser Saison für die Zukunft beheben lässt. Weder war es klug, ohne Alternative für Oscar Wendt zu sein, noch war es sinnvoll, erneut ohne Stürmer in die Saison zu gehen. Dass Josip Drmic bestenfalls ein Hoffnungsfaktor sein kann war für Beobachter von außen ebenso klar vorhersehbar wie die Verpflichtung von Raul Bobadilla unverständlich. Faktisch hat man also erneut auf ein 4-6-0-System gesetzt und sich darauf verlassen, dass die Genialität von Raffael in dieser Saison wieder zum Vorschein kommt. Blöd nur, dass dieser unübersehbar altert und auch in dieser Saison dauerhaft mit diversen Wehwehchen zu kämpfen hat, die es verhindern, dass Raffael in einen Flow kommt. Eine weitere Frage ist, ob Borussia Mönchengladbach im Bereich Fitness und Medizin wirklich gut aufgestellt ist. Die Häufung von Muskelverletzungen ebenso wie die stark schwankenden Laufleistungen der Mannschaft werfen in dieser Beziehung jedenfalls Fragen auf.    

An die Adresse der Mannschaft gerichtet heißt es zu hinterfragen, warum es manchmal am bedingungslosen Willen zum Erfolg und der letzten Aggressivität zu fehlen scheint. Ist die Mannschaft wirklich so von wenigen Einzelspielern mit entsprechender Ausstrahlung abhängig, wie es Martin Stranzl und Granit Xhaka waren? Herrscht da ein Hierarchievakuum oder eine zu große allgemeine Zufriedenheit?  

Bleibt der Trainer, vielleicht die in diesen Tagen am meisten polarisierende Personalie. Wollte man polemisch argumentieren: Borussia Mönchengladbach war unter Lucien Favre eine Mannschaft, an deren Spielweise man die Spielidee des Trainers genauso deutlich erkennen konnte wie die Fähigkeit des Trainers, sowohl einzelne Spieler zu entwickeln als auch der Mannschaft seinen Plan zu vermitteln. Borussia Mönchengladbach war unter André Schubert eine Mannschaft, an deren Spielweise man die Spielidee des Trainers genauso deutlich erkennen konnte, wie dessen Defizite bei der Vermittlung dieser Spielidee an die Mannschaft. Borussia Mönchengladbach ist unter Dieter Hecking eine Mannschaft, bei der weder eine Spielidee des Trainers erkennbar ist noch eine deutliche Weiterentwicklung einzelner Spieler. Wie gesagt, das ist polemisch und überspitzt. Dennoch: Will Borussia Mönchengladbach weiterhin ein Verein mit einer spielerisch klar erkennbaren DNA sein, einer der wenigen Vereine in einer pressingverseuchten Bundesliga, der versucht, konstruktiven Fußball zu spielen, muss sich der Verein die Frage stellen, ob er dieses Ziel in der aktuellen personellen Konstellation erreichen kann.  

Um auf die Frage in der Überschrift dieses Artikels zurückzukommen: Die eine einfache Antwort gibt es – wie auch in anderen Lebensbereichen – natürlich nicht. Vielmehr existiert wahrscheinlich ein komplexes Ursachenbündel für die derzeitige Misere, in der viele der vorstehend aufgezeigten Gründe eine Rolle spielen mögen. Deshalb sollten Presse und Fans der Versuchung widerstehen, überstürzte Entscheidungen zu fordern. Das gebietet unter anderem auch der Respekt vor den bisherigen Leistungen aller Beteiligten. Andererseits darf es – um mal wieder eine in der Politik gerne gebrauchte Formulierung zu gebrauchen – auch ein schlichtes Weitermachen in der Hoffnung, es möge sich alles von selbst lösen, nicht geben.