bremenDie Tabelle ausschneiden, den Moment genießen, einfach freuen. Die Welt rund um den Borussia-Park ist seit Sonntag Abend nicht mehr ausschließlich schwarz-weiß-grün, sondern auch in erheblichem Maße rosarot. In der Tat ist es schön, nach zehn Spieltagen auf Tabellenplatz zwei zu stehen, kann man amüsiert zur Kenntnis nehmen, dass der zunehmend irrlichternde Uli Hoeneß erklärt, eigentlich seien ja seine Bayern Zweiter, weil ihn das Torverhältnis nicht interessiere – und kann sich als Borusse dieser Logik folgend nachträglich zur Meisterschaft 1978 und 1984 gratulieren. Aber es gibt auch eine andere Sichtweise: Aus der sind die Niederlagen in Freiburg und Leverkusen nicht vergessen, hat Borussia sich gegen eine Düsseldorfer Mannschaft an der Grenze der Bundesligatauglichkeit lange schwer getan und brauchte ein Elfmetergeschenk, um auf die Siegerstraße einzubiegen. Zudem profitiert Borussia nach dieser Lesart von erstaunlichen Patzern der Konkurrenz, unter anderem der genannten Bayern und des nächsten Gegners Werder Bremen. In Wahrheit sind beide Perspektiven auf die aktuelle Borussen-Situation natürlich zu simpel. Es gibt keinen Grund zu Euphorie, aber auch keinen, allzu skeptisch nach vorne zu schauen. Die Saison ist erst zehn Spieltage alt und noch ist ungewiss, wo die Reise für Borussia, für Bayern, für Bremen und die meisten anderen Wettbewerber hingeht. Vielleicht sind wir nach der Partie vom Samstag Nachmittag ein Stückchen schlauer. Sollte Borussia die Kraft haben, bei Werder Bremen zu gewinnen, wird man getrost behaupten können, die Formdelle sei endgültig vorbei.

Gegen Düsseldorf konnte kein Spieler wirklich glänzen, allerdings stellte Thorgan Hazard seine Torgefahr unter Beweis und Alassane Plea seine enorme Wichtigkeit für das Offensivspiel der Mannschaft. Mit den beiden ist Borussia vorne gefährlich, deswegen sind sie zur Zeit ohne Frage gesetzt. Das gilt nicht für Raffael. Der suchte gegen Düsseldorf doch sichtbar nach Rolle und Form, was nach seiner verletzungsbedingten Auszeit kein Wunder ist. Das könnte die Chance für Lars Stindl sein, der sich in Freiburg und gegen Leverkusen zwar mit nämlichen Problemen herumschlug, aber schon deutlich länger wieder voll im Training ist. Aber auch ein Einsatz von Fabian Johnson als Teil der vorderen Dreierreihe wäre möglich – Plea würde in diesem Fall in die Mitte rücken. Im Mittelfeld haben sich Jonas Hofmann und Florian Neuhaus einen gewissen Kredit erspielt. Denis Zakaria konnte sich dagegen bisher auf den Halbpositionen nicht nachhaltig empfehlen. Die Frage, wer die Sechserposition bekleiden darf, ist eine Glaubensfrage. Und Dieter Hecking scheint sehr intensiv an Tobias Strobl zu glauben. Das ist aus SEITENWAHL-Sicht nur eingeschränkt nachvollziehbar, weil Christoph Kramer stets einen leicht besseren Eindruck machte, wenn er spielen durfte, ein Drama ist es aber auch nicht. Strobl macht seine Sache ordentlich.

In der Defensive dürfte eine Umstellung unausweichlich sein. Nico Elvedi leidet unter den Folgen einer Bänderverletzung. Ein Einsatz des Innenverteidigers in Bremen ist nicht ausgeschlossen, aber auch nicht wahrscheinlich. Ihn dürfte wie schon im zweiten Durchgang gegen Düsseldorf Tony Jantschke ersetzen. Der Anfang der Woche ebenfalls noch angeschlagene Yann Sommer kann spielen.

Werder Bremen ist eine der Mannschaften, die von vielen vor der Saison noch als Abstiegskandidat gehandelt wurden. Auch den Bremern zugeneigte Beobachter hatten angesichts der Zugänge durchaus Zweifel am eigenen Team. Davy Klaassen? In England gescheitert. Yuya Osako? Absteiger! Martin Harnik? Auch nicht mehr taufrisch. Und Claudio Pizarro? Nurmehr als Maskottchen zu brauchen. Diese Zweifel haben sich in den ersten Wochen der neuen Spielzeit verflüchtigt. Trotz zuletzt zwei Liga-Niederlagen in Folge steht Bremen besser da als erwartet und spielt vor allem deutlich besseren Fußball als erwartet. Klaassen hat sich als Glücksgriff erwiesen, bildet mit Pavlenka, Moisander und Max Kruse so etwas wie die Achse des Werder-Teams. Die anderen Neuzugänge enttäuschen nicht, spielen aber auch kaum. Stattdessen hat Trainer Florian Kohfeldt die Mannschaft, die im Vorjahr noch lange Zeit gegen den Abstieg kämpfte, stabilisiert und ihr einen vergleichsweise offensiven Stil verordnet – wie Borussia auch in einem 4-3-3-System. Mit Erfolg: Bremen hat nur drei Punkte weniger als Borussia. Trotzdem ist die Stimmung an der Weser nach der Heimklatsche gegen Leverkusen und dem Misserfolg in Mainz getrübt. Wie für Borussia gilt die Partie am Samstag auch für Werder als richtungsweisend. Mehr Konzentration und Engagement als zuletzt fordert Kohfeldt von seinen Spielern. Zwei Tugenden, die auch Borussia im Weserstadion dringend auf den Platz bringen sollte, um von dort etwas mitzunehmen.

Mögliche Aufstellungen

Bremen: Pavlenka –Gebre Selassie, Veljkovic, Moisander, Augustinsson – Bargfrede – Klaassen, Maximilian Eggestein – Kruse, Harnik, Johannes Eggestein

Borussia: Sommer – Lang, Ginter, Jantschke, Wendt – Strobl – Neuhaus, Hofmann – Hazard, Stindl, Plea

SEITENWAHL-Prognose

Christian Spoo: Wenn Borussia so spielt, wie gegen Düsseldorf, geht das Spiel in Bremen verloren. Konzentrationsmängel in Mittelfeld und Abwehr darf man sich gegen eine Mannschaft wie Werder nicht leisten. Weil Dieter Hecking das weiß und seinen Spielern auch vermittelt, gelingt ein Punktgewinn. Die Partie endet 2:2.

Thomas Häcki: Bremen gibt Rätsel auf. Ist man so stark wie zu Saisonbeginn oder so grün wie bei den letzten Auftritten? Ich entscheide mich für die Mitte und tippe ein 2:2.

Uwe Pirl: Beide Mannschaften sind offensiv ausgerichtet. Beide Mannschaften bekamen von Leverkusen ordentlich eingeschenkt, was defensive Defizite offenlegte. Diese Kombination beschert uns ein 3:3, das am Bratwurststand unterschiedlich bewertet wird, je nachdem, ob man die Freunde vieler Tore oder die eines gepflegten 1:0-Egalwiehauptsachegewonnen-Sieges anspricht.

Claus-Dieter Mayer: Die schwächelnde Borussia kommt bei den noch mehr schwächelnden Bremern irgendwie zu einem 3:1-Sieg und bleibt völlig unverdient Tabellenzweiter.

Michael Heinen: Lange war für Borussia in Bremen nichts zu holen. Dies hat sich in den letzten Jahren aber deutlich geändert. Zu einem Auswärtssieg reicht es dieses Jahr leider nicht. Mit dem 1:1 kann man aber trotzdem zufrieden sein.