Wenn er doch geschwiegen hätte! Seit Beginn der Diskussionen um Clemens Tönnies‘ rassistischen Ausfall beim Tag des Handwerks in Paderborn hoffe ich jeden Tag, dass niemand Max Eberl nach einer Bewertung fragt. Zu spät. Es ist passiert und es ist genau das geschehen, was mich seit Tagen „bitte nicht“ denken lässt: Borussias Sportdirektor redet wachsweiches Zeug und gibt sich alle Mühe, es sich mit niemandem zu verscherzen. Mit niemanden im Big Business Fußball wohlgemerkt. Der Borussen-Sportdirektor bleibt sich da treu: Als jemand, der auch mal gegen den Strich bürstet, fällt er nicht auf. Dahin, wo's weh tut, ging Eberl nur als Spieler. Als Sportdirektor ist er eher ein Meister des Lavierens. Das ist nachvollziehbar, geschäftsklug – und schade. Im aktuellen Fall allemale.

Es gibt keine Hetzjagd. Dass ich jemals ein  Zitat frei nach Hans-Georg Maaßen bemühen würde, hätte ich mir nicht träumen lassen. Auf meiner nach unten offenen Antipathie-Skala sitzt der Rheindahlener mit der absurden Brille im Basement, gemeinsam mit Boris Johnson, Heinz-Christian Strache und anderen Tunichtguten der jüngeren Geschichte. Aber es hilft nichts. Denn wie schon seinerzeit, als Maaßen zum Namensgeber einer Causa wurde, ist auch in diesen Tagen wieder von einer Hetzjagd die Rede. Im aktuellen Fall – ohne weiter auf Chemnitz einzugehen, um nicht endgültig den Bezug zum Fußball zu verlieren (wobei Chemnitz, Fußball, Nummer 11...) – gibt es tatsächlich keine Hetzjagd, mögen Tönnies gewogene Fußball-Funktionäre auch noch so viel davon salbadern.

Was im Fall Tönnies im Moment passiert, ist vielmehr die klassische Täter-Opfer-Umkehr. Nach allem, was in den letzten Tagen gesagt bzw. nicht gesagt wurde, tatsächlich jetzt diejenigen anzugreifen, die Tönnies kritisieren, daran ist alles falsch. Clemens Tönnies ist alles, aber kein Opfer. Er ist ein mächtiger Mann, der einen Blick in sein Bewusstsein, meinethalben in sein Unterbewusstsein, gewährt hat. Einen Spruch wie Tönnies in Paderborn haut man nicht raus, weil die Zunge plötzlich von einem fremden Wesen ferngesteuert wird. Den macht man, weil das Über-Ich Kaffeepause macht. Der Mann ist für seine Äußerung ganz alleine verantwortlich. Dass der Satz von den zeugungswütigen Afrikanern von einem Mann kommt, der auf dem derart herabgewürdigten Kontinent als Jäger wilder Tiere auffällig geworden ist, verleiht dem ganzen noch einen zusätzlichen unangenehmen Beigeschmack.

Tönnies für seine Äußerungen zu kritisieren, ist mithin nicht nur gerechtfertigt, es ist bitter nötig. Und auch das, was nach Paderborn geschehen ist, macht mehr als deutlich, wie wenig Opfer der Schalker Aufsichtsratsvorsitzende ist. Die Aufarbeitung auf der halben Gesäßbacke offenbart, wie sehr die Anti-Rassismus und Anti-Diskriminierungs-Kampagnen im Fußball den Charakter von Lippenbekenntnissen haben. Was die Tönnies-Verteidiger nicht sehen oder nicht sehen wollen: Rassismus ist eben nicht nur „Husch husch husch...“ oder Bananenwerfen. Die Feststellung, Tönnies sei kein Rassist, ist dabei unnötig. Der Fall belegt doch gerade den Alltagsrassismus, belegt, wie sehr stereotype Bilder von ganzen Menschengruppen stellenweise noch unser Denken und Sagen beeinflussen. Davon können sich vermutlich viele von uns (mich eingeschlossen) nicht zu hundert Prozent freimachen. Allein: Die meisten schämen sich, wenn sie solcher Muster bei sich selbst gewahr werden. Sie stellen sich nicht auf die Bühne und reißen Zoten damit. Bekleidet man öffentliche oder halböffentliche Ämter wie Tönnies, sollte man sich der Wirkung seiner Worte sehr bewusst sein. Steht man dann noch einem Verein vor, der sich den Kampf gegen Rassismus selbst auf die Fahne geschrieben hat, dann sollte es nur eine Konsequenz nach einer Entgleisung wie dieser geben: den Rücktritt. Als Zeichen, dass man verstanden hat, was da los ist und vor allem, um das Ansehen des Clubs, dem man eigentlich dienen sollte, nicht zu besudeln. Im Fall Tönnies gibt es stattdessen: eine lauwarme Entschuldigung bei einigen, aber nicht bei denen, die er mit seinem Spruch gemeint hat und ein Urteil, dass der allmächtige Schalke-Boss sich offenbar selbst auferlegt hat. Drei Monate „Auszeit“, danach möge die Angelegenheit bitte vergessen sein. Dazu eilen nun allerlei mehr oder weniger prominente Fußball-Köpfe herbei, versichern „dem Clemens“ ihre Solidarität, reden die Bedeutsamkeit des ganzen Falles herunter und werfen ihrerseits allen, die mit dem Konsequenzchen nicht einverstanden sind vor, sich an der erwähnten Hetzjagd zu erfreuen. Dabei verläuft die Debatte, gemessen an dem, was wir in Zeiten der Social-Media-Hysterie gewohnt sind, bisher angenehm sachlich. Kaum jemand hat Tönnies nach seinen Äußerungen in die rechte Ecke gestellt oder ihm eine völkische Agenda unterstellt. Es werden keine strafrechtlichen Konsequenzen gefordert, es gibt keine Graffiti an Tönnies Haus, keine Forderung nach Stadionverbot, Anti-Rassismus Training oder Sozialstunden in einer Asylbewerber-Unterkunft. Es gibt nicht einmal Demonstrationen vor der Vereinsgaststätte. Es sind lediglich nicht wenige, auch und gerade in Reihen der Schalker Anhänger, der Ansicht, dass der Mann in diesem einen speziellen Amt nicht mehr tragbar ist.

Und damit kommen wir zur Runde der Tönnies-Verteidiger bei der Rheinischen Post, zu der leider auch Borussias Sportdirektor gehörte. Schon das vermutlich gar nicht intendierte Framing (um ein Modewort zu bemühen) spricht Bände: Problematisiert wurde in der Runde nicht der Umgang mit Rassismus, sondern der Umgang mit Clemens Tönnies. Max Eberl war dabei nicht der lauteste Vertreter, das sei ihm zu Gute gehalten. Meinungsstärker waren Armin Veh und Friedhelm Funkel unterwegs. Letzterer sah Tönnies gleichermaßen als Opfer einer Hexenjagd als auch auf der Schlachtbank. Veh behauptete, die Kritiker Tönnies‘ würden dessen Leben kaputt machen und er könne nicht mehr öffentlich auftreten. Davon abgesehen, dass ein öffentlicher Auftritt mit einer aufrichtigen Bitte um Entschuldigung an die richtige Adresse womöglich der ganzen Angelegenheit die Schärfe genommen hätte, ist diese These doch recht steil. Max Eberl und Simon Rolfes waren weniger eilfertig in ihrer Verteidigungshaltung. Man müsse Tönnies die Möglichkeit geben, wieder aufzustehen, sagte Borussias Sportdirektor. Da wird niemand widersprechen. Lebenslanges Schämen und Bußetun hat von Tönnies meines Wissens niemand verlangt. Jemand, der dem sogenannten Ehrenrat seines Vereins mehr oder weniger diktieren kann, wie man ihn sanktionieren möge, liegt allerdings vermutlich gar nicht wirklich so flach am Boden, wie Eberl uns glauben machen will. Der Tenor, den er und Simon Rolfes angestimmt haben, ist „Schwamm drüber“. Die Diskussion ist lästig, die Fragen, die das Verhalten Tönnies‘ aufwirft, intensiv zu diskutieren wäre anstrengend und würde vermutlich allerlei weitere Verwerfungen auslösen. Das Bemühen, zur Tagesordnung überzugehen, ist so verständlich wie falsch. „Die Empörung war auch bei uns da“, sagt Max Eberl und ist damit noch der expliziteste Kritiker Tönnies‘ in der Kuschelrunde der rheinischen Fußballgrößen. Aber jetzt ist auch mal gut, sagt der Gladbacher.

Chance vertan, sage ich. Eberl hatte in dieser Runde nicht mehr die Möglichkeit, den Mund zu halten, wie er es bis dahin öffentlich wohlweislich getan hat. Also hat er sich positioniert wie oben gesagt: wachsweich. Max Eberl musste sich entscheiden: stellt er sich an die Seite derer, die Tönnies verächtlich gemacht hat, oder an die Seite der Fußball-Business-Buddys landauf landab? Ich bin mir sicher, dass Max Eberl mit Rassismus wirklich gar nichts an der Mütze hat und dass ihm ein Spruch wie der von Tönnies im Leben nicht über die Lippen käme, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Über Konsequenzen für Tönnies hätte er gar nicht sprechen müssen, der Hinweis, dass das nicht seine Sache sei, wäre vollständig ausreichend gewesen. Aber wäre ein bisschen Relativierung des Hexenjagd-Gelabers seiner Kollegen wirklich zu viel verlangt gewesen? Der Hinweis, dass Tönnies eben kein Opfer ist?

Eberl will es sich vermutlich mit keinem seiner Kollegen verderben, niemandem in den Rücken fallen. Kontroversen scheut Eberl seit jeher, unpopuläre Meinungen vertritt er öffentlich so gut wie nie – der Mann will schließlich noch was werden im Fußball. Da ist Solidarität mit einem der Mächtigen im Geschäft sicher hilfreicher als Solidarität mit den Bewohnern eines großenteils unterprivilegierten Kontinents. Möglicherweise sieht Eberl aber auch vor lauter Bällen den Platz nicht mehr – will sagen: Vielleicht versteht man, wenn man „drin“ ist im erlauchten Kreise der Fußball-Bosse, die Relevanz der Debatte nicht, die Auswirkung, die das Abräumen und Weglächeln der Tönnies‘schen Aussage hat: Wenn der Fußball diese Nummer nicht ernst nimmt, ist die Glaubwürdigkeit aller Anti-Rassismus-Beteuerungen dahin. „Gegen Rassismus“ steht auf den Tribünendächern des Borussia-Parks. Von meinem Platz im Stadion schaue ich direkt darauf. Vorerst werde ich das nicht mehr lesen können, ohne an den in Haltungsfragen schwachen Mann auf der Bank ein paar Meter tiefer zu denken.