AJ7X2644Seitenwahl 17Aug19

„Wer und wie auch sonst!“ mögen sich viele Gladbacher Mitte der ersten Halbzeit augenrollend gedacht haben. Thorgan Hazard schoss (wie so oft zu unplatziert), der Ball wird abgefälscht und Sommer, bislang ein Fels im Tor, rutscht der nasse Ball durch die Hände. Das Spiel schien den von vielen im Vorfeld erwarteten Verlauf zu nehmen. Zur Geschichte des Spiels gehört auch, dass der VAR Hazards Treffer nach einer Abseitsstellung von Marco Reus zurecht die Anerkennung verweigerte, aber alle drei Protagonisten - VAR, Hazard & Reus - in der zweiten Hälfte leider ein weiteres Kapitel schreiben würden.

Die guten Nachrichten vorab: Borussia bleibt auch nach der knappen 0:1-Niederlage in Dortmund vom Samstagabend Tabellenführer, da die halbe Liga den Anblick der Tabelle offenbar ähnlich wertschätzt und vorerst nichts ändern will. Die noch wichtigere Nachricht ist, dass Borussia einen weiteren Schritt Richtung Spitzenteam unternommen hat. Ein Remis wäre nicht nur im Rahmen des Möglichen gewesen, sondern sogar hochverdient. Und kein Gladbacher Fan wird nicht erleichtert reagiert haben, endlich wieder Kapitän Lars Stindl auf dem Platz zu sehen war. Die Muskelverletzung von Alassane Plea ist hingegen ein Wermutstropfen. Denn ob Stindl bereits wieder die Kraft hat, in den harten kommenden Wochen den Franzosen zu ersetzen, ist fraglich.

Marco Rose hatte kurz vor Spielbeginn etwas mit der Aufstellung überrascht. Breel Embolo, zuletzt von der Bank kommend, begann in vorderster Front, so dass Alassane Plea auf den linken Flügel weichen musste. Mit etwas Abstand gibt es nicht wenige Beobachter, die glauben, dass Plea (und wahrscheinlich auch Stindl) als Sturmspitze eine der zwei Hochkaräter genutzt hätten, die Embolo gegen Roman Bürki dann doch recht kläglich vergab. Beim Schweizer Stürmer bleibt immer dieser Funken Hoffnung, er möge sein riesiges Talent endlich deutlicher zeigen.

Doch die Borussia war gut im Spiel, hielt dagegen, ja, nervte die Gastgeber über weite Strecken und hatte zahlreiche Gelegenheiten, entweder in Führung zu gehen oder in der zweiten Halbzeit den verdienten Ausgleich zu erzielen. Wie oft ließen sich die Fohlen in Dortmund in der Vergangenheit allzu freiwillig vorführen und gingen unter. Unter Rose spielt die Mannschaft ohne Frage erwachsener und selbstbewusster und es wird Woche zu Woche besser.

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Komplett lässt sich die Offensive der Gastgeber ohnehin nicht ausschalten. Das 4:0 des BVB gegen Leverkusen oder das beeindruckende 0:0 gegen den FC Barcelona haben gezeigt, welche Wucht die Dortmunder im Spiel nach vorne entwickeln können. Genau ein Mal schlug diese Offensive dann leider zu und bei Marco Reus fällt das platte Attribut „ausgerechnet“ inzwischen weg, trifft der Kapitän des BVB, dieses Mal nach Vorlage von Hazard, doch in schöner Regelmäßigkeit gegen seinen alten Arbeitgeber. Hätte der VAR kurz vor Schluss ähnlich genau hingesehen wie bei Reus‘ Abseitsstellung in der ersten Hälfte, es hätte nach Hummels‘ Foul an Herrmann Elfmeter geben müssen. Insgesamt schien der Unparteiische Sascha Stegemann recht großzügig mit den Gastgebern umzugehen.

Und dann waren da ja noch die Duelle von Embolo mit seinem Schweizer Landsmann Bürki, von denen eine schlichtweg sitzen muss. War gegen den FC Augsburg noch jeder Schuss ein Treffer, fehlte dieser Funken Spielglück in Dortmund leider etwas. Und damit ist die Geschichte dieses Spiels auch schon erzählt.

So langsam macht sich auch unter den größeren Skeptikern das Gefühl breit, dass die Fohlen nicht ganz zu Unrecht da oben stehen. Fünf Saisonsiege kann bislang kein Klub vorweisen und auch die sogenannten Pflichtsiege gegen Teams aus der unteren Tabellenhälfte, die das bisherige Abschneiden immer etwas relativiert hatten, bekommen mit Blick auf die Ergebnisse des FC Bayern, FC Schalke oder auch Borussia Dortmund gegen ähnliche Teams einen anderen Schlag. Noch reicht es offenbar gegen die ganz starken Klubs nicht, zumindest Zählbares mitzunehmen. Aber man ist nah, sogar sehr nah dran.

Wie gut, dass in den kommenden vier Wochen ausreichend Gelegenheiten sind, diese These zu stützen.

Und das sagt die SEITENWAHL-Redaktion:

Michael Heinen: Borussia hat eine ordentliche Leistung gezeigt, die mit etwas Glück zu einem Unentschieden hätte reichen können. Das ist deutlich positiver als alles, was man in den letzten Jahren nach Spielen in Dortmund sagen konnte.

Thomas Häcki: Eine Unachtsamkeit entscheidet das Spiel. Same procedure as every year? Nein, denn die Art und Weise, wie man sich gegen die Niederlage stemmte, nötigt Respekt ab. Borussias "B" steht immer mehr für bissig statt behäbig.

Claus-Dieter Mayer: Souverän die Tabellenführung behaupten und gleichzeitig die Liga spannend halten - das ist die hohe Fußballkunst, wie sie nur die Borussia beherrscht! Dass man beim zweiten Spiel gegen einen Champions-League-Teilnehmer wieder Komplimente, aber keine Punkte einheimst, gibt auf der seinen Seite Grund zum Optimismus, deutet aber auch an, warum der momentane Tabellenplatz auf Dauer schwer zu halten sein wird. Aber bis zum 17.05.2020 sollte es gefälligst schon langen!

Christian Spoo: Gemessen an den Erwartungen war das nicht schlecht. Gemessen an dem, was in dieser Partie möglich gewesen wäre, ist die Niederlage trotzdem traurig. Schon drollig, dass die beiden besten Bundesligaspiele der Saison die beiden sind, in denen Borussia verloren hat. Was bedeutet das alles für Donnerstag? Vermutlich nichts. Donnerstags bemächtigen sich bekanntlich regelmäßig fremde Mächte der Körper unserer Spieler. Aber gegen Frankfurt könnte was gehen.