hertha berlin neu

Ich weiß nicht, wie es dem Leser dieser Zeilen gerade geht: Dem Autor selbst ist irgendwie gerade nicht nach Bundesliga zumute. Noch ist da dieser berauschte Zustand des Achtelfinaleinzugs der Champions League, dazu der Ausblick auf den erneuten kompletten wie leider sehr notwendigen Lockdown in diesem von Corona gebeutelten Land. Das bisschen Emotion, das noch übrig ist, beschäftigt sich dann noch mit ein paar Geschenken, Plätzchen und der Planung für recht ungewöhnliche Weihnachten. Das alles bei gefühlt konstant grauem Himmel und Temperaturen knapp über 0 Grad. Nun also die Hertha aus der Hauptstadt; ein fürwahr unangenehmer Gegner in einer insgesamt unangenehmen Zeit.

Sei's drum, wenn Borussia auch in der kommenden Saison die Champions-League-Hymne hören möchte, sollte sie schleunigst beginnen, in der Liga eine kleine Serie zu starten. Die Formkurve der vergangenen Wochen, und das hat sich in Madrid eindrucksvoll fortgesetzt, zeigt leider eindeutig nach unten. Die Mannschaft als Kollektiv sowie einzelne Spieler sind müde, überspielt und ohne Biss in den entscheidenden Momenten. In der Defensive mit individuellen wie kollektiven Aussetzern, im Mittelfeld ohne Zugriff und wenig spielerischem Glanz, das Umschaltspiel in die Offensive ist erlahmt. Von den letzten vier Pflichtspielen konnte nur eins gewonnen werden, und das war gegen Schalke, zählt also nicht. Dazu fing sich die Mannschaft in diesen vier Spielen acht Gegentore, also im Schnitt zwei pro Spiel. Das ist eindeutig zu viel. Zu allem Übel stehen bis Weihnachten neben der Partie gegen Hertha noch die gegen Frankfurt, Hoffenheim und den Regionalligisten Elversberg auf dem Programm. Vier Spiele, die Borussia in guter Verfassung allesamt gewinnen sollte. Wenn sie die Verfassung nur hätte. Es drohen tatsächlich auch sportlich ernüchternde Weihnachtstage.

Personell gab es auf der Pressekonferenz am Freitag nichts Außergewöhnliches zu melden. Ramy Bensebaini scheint heftiger an COVID-19 erkrankt zu sein als viele andere Bundesliga-Fußballer, denn der Algerier fällt weiterhin für den Spielbetrieb aus (an dieser Stelle: gute Besserung!). Die Qualität des Linksverteidigers fehlt zurzeit enorm, der gute Oscar Wendt bräuchte dringend ein Pause. Tony Jantschke wird zumindest wieder im Kader sein und könnte demnach eine Option für die Startelf zu sein, um den gleichsam überspielten (Ginter) bzw. nicht ganz fitten (Elvedi) Stamm-Innenverteidigern eine Pause zu gönnen. Ziemlich sicher wird Lazaro von Beginn an gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber auflaufen, vielleicht sogar auf der Position des linken Verteidigers, was er in Madrid zumindest zufriedenstellend gelöst hat. Im Mittelfeld deuten sich erstmal keine Wechsel an. Es ist nicht davon auszugehen, dass Rose seinen Kapitän Lars Stindl für Laszlo Benes auf die Bank setzt. Die meisten Optionen bieten sich insgesamt in der Offensive. Gut möglich, dass auch Patrick Herrmann in die Startelf rutscht und Embolo für Plea im Sturmzentrum beginnt.

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Auch der Gegner aus der Hauptstadt hat personelle Probleme, wenngleich sich das schnell auf die Einzahl "ein Problem" reduzieren lässt. Matheus Cunha wird am Samstag gelbgesperrt fehlen, was mit Blick auf die jüngsten Leistungen des Brasilianers ein Vorteil für Borussia sein müsste. Insgesamt ist die Hertha in dieser Saison eine kleine Wundertüte. Nach der, sagen wir, durchwachsenen vergangenen Saison mit einigen Skurrilitäten ("HaHoHe, Euer Jürgen!") haben sich die Berliner unter Trainer Bruno Labbadia einigermaßen stabilisiert. Und gesegnet mit vielen Millionen von Investor Windhorst begann Hertha schon in der vergangenen Spielzeit, das Geld dann auch fleißig unter die Leute und Berater zu bringen.

Zwischenzeitlich keimte bei allen möglichen Konkurrenten ein Funken Hoffnung auf, als im Sommer Namen wie Mario Götze oder Andre Schürrle an der Spree gehandelt wurden. Leider agierten die Verantwortlichen jedoch etwas geschickter und ließen sich nicht auf große Namen ein, sondern verstärkten den Kader gezielt. Torwart Schwolow aus Freiburg schloss die seit Jahren klaffende Qualitätslücke im Kasten, dazu der besagte Cunha aus Leipzig, Krzysztof Piatek aus Mailand (schon in der Winterpause 2019/2020) oder Jhon Cordoba aus Köln. Desweiteren Spieler wie Niklas Stark, ex-Nationalspieler Marvin Plattenhardt oder Kapitän Dedryck Boyata: Der Kader der Hertha hat Potenzial und viel Talent vereint. Noch ist es Labbadia nicht vollumfänglich gelungen, daraus eine Mannschaft zu formen. Beobachter und Fans in Berlin gehen davon aus, dass es noch mindestens ein Transferfenster und die entsprechende Zeit benötigt, dann könnten die Berliner tatsächlich schneller ein Konkurrent für Borussia um die internationalen Plätze werden, als vielen lieb ist. Weiterer Vorteil: Hertha gewann am vergangenen Spieltag das Stadtderby gegen bislang starke Unioner, kommt also nicht nur ausgeruht (acht Tage Pause statt drei wie Borussia), sondern auch motiviert an den Niederrhein gereist.

Die Tipps der Redaktion

Uwe Pirl: Borussia ist durch das Weiterkommen in der CL mental befreit. Die Priorität liegt wieder mehr auf der Bundesliga, was man beim sicheren 2:0-Sieg deutlich spürt.

Michael Heinen: Der Einzug ins CL-Achtelfinale sorgt für positive Stimmung. Diese kann die Mannschaft nutzen, um Berlin mit 3:1 zu besiegen.

Christian Spoo: Madrid war leider keine Momentaufnahme. Das Team ist verunsichert und viele Spieler aus der ersten Reihe bräuchten eine Pause, die zweite Reihe ersetzt sie aber nur mäßig. Gegen Berlin reicht es zu einem 1:1.

Thomas Häcki: Das Team läuft auf dem Zahnfleisch und der zweite Anzug passt noch nicht. Gegen die bislang auswärtsstarken Berliner wird der Champions League Tribut gezollt. Nach dem 1:2 wird der Kontakt nach oben erst einmal abreißen.

Claus-Dieter Mayer: Da sind sie wieder, die Dusel-Borussen! Es wird ein mauer Graus gegen die graue Maus aus der Hauptstadt, aber ein Standard kurz vor Schluss reicht dann für einen glücklichen Heimsieg.

Mike Lukanz: Die Einen können noch nicht wirklich, die Anderen wollen nicht mehr so wirklich. Vor leeren Rängen und kaltem, grauen Wetter spricht alles für ein zähes 0:0.