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Bildquelle: Pixabay

Es ist wie mit einem Magen-Darm-Infekt am Festtagstisch zu sitzen. Zur rauschenden Ballnacht mit gebrochenem Fuß zu humpeln. Vor dem Date mit der heißesten Schönheit der Schule einen eitrigen Hautausschlag zu bekommen. So fühlt sich die Reise der Borussen zu dem Spiel an, das als einer der ganz großen Momente der Vereinsgeschichte gedacht war: Die erste Teilnahme an der KO-Phase der Champions League. Dabei zu sein bei den Besten der Besten und nicht nur Zuschauer. Es hätte Lohn und Krönung einer großen Saison sein sollen.

Dumm nur, dass im Moment niemandem der Sinn nach Feiern steht (wem dieser Text bekannt vorkommt, der möge einen Vorbericht des Kollegen Spoo aus dem Jahr 2015 mit dem Titel „Bauchweh, Fußbruch, Hautausschlag“ nachlesen: https://www.seitenwahl.de/index.php/78-news/newsartikel/6318-bauchweh-fussbruch-hautausschlag – und Danke, Claus-Dieter, für den Tipp). Woran das liegt?

Zum einen natürlich ganz abstrakt von allen Befindlichkeiten der Borussengemeinde an der Situation, in der wir alle momentan leben: Große Teile der Gesellschaft befinden sich in einem Lockdown, keiner weiß, wann dieser endet. Schon die teilweise Wiedereröffnung von Schulen und Kitas ist angesichts um sich greifender Corona-Mutanten und gerade wieder steigender Infektionszahlen hochumstritten, mancher hält die Schulöffnungen für eine Nebelfahrt mit 150 Stundenkilometern auf der Autobahn (https://www.spiegel.de/panorama/bildung/bad-ems-haelt-grundschulen-geschlossen-wie-bei-nebel-mit-150-sachen-ueber-die-autobahn-zu-rasen-a-c91d3049-715a-4d15-8f06-00ed8963f0b7). Von der Wiederaufnahme aktiven Breitensports in Vereinen sind wir offensichtlich Lichtjahre entfernt.  Angesichts dessen muten die fröhlichen Coronabeschränkungen-Umgehungs-Ausflüge der Protagonisten des Champions League-Achtelfinals mindestens merkwürdig an. Realistisch betrachtet sind sie maximal fehlplatziert, noch dazu, wenn sie in das Corona-Hochrisikogebiet des sympathischen Möchtegerndiktators Viktor Orban mit einem 7-Tage-Inzidenzwert von 161 führen. Wenn man dieses Verhalten zusammendenkt mit dem Verhalten der Verantwortlichen des FC Bayern im Zusammenhang mit der Teilnahme an der Club-WM in Katar, vergeht einem buchstäblich die Lust am Konsumieren der Droge Profifußball. Ob die Verantwortlichen von Borussia dabei eine Wahl hatten oder nicht, sei an der Stelle mal dahingestellt. Bezeichnend ist aber, dass Sportverbände einschließlich DFB sich derzeit mehr öffentliche Gedanken dazu machen, wie man wieder Großveranstaltungen von Profisportlern mit Publikum durchführen kann als dazu, wie ich als Jugendtrainer im Tischtennisverein das Training wieder aufnehmen kann. Man hofft schon fast, dass der Profisport damit massiv auf die Schnauze fliegt. Da wir es aber in Tiki-Taka-Land von A wie Infantino bis Z wie Rummenigge durchweg mit echten Schurken zu tun haben und nicht mit den dummen Piraten aus Taka-Tuka-Land, ist es eher wahrscheinlich, dass die Situation genutzt wird, um das Geschäftsmodell weiter zu optimieren.

Zum anderen vergällt natürlich die Entwicklung bei Borussia Mönchengladbach uns als Fans gehörig den Jahreshöhepunkt. Zu den charakterlichen Eigenschaften oder Defiziten von Marco aus Probstheida ist hier und anderswo genug geschrieben worden. Dass das Verhalten des Trainers kein gutes Vorbild für Spieler ist, liegt auf der Hand. Insofern mutet es alles andere als zufällig an, wenn gerade mal eine Woche seit der Abschiedsankündigung des Trainers vergeht, bis sich ein Spieler mit den Slogans „Ich will Titel gewinnen!“ und „Wie es im Sommer weitergeht, werden wir dann sehen.“ öffentlich ins Schaufenster stellt.

Neben diesen Unappetitlichkeiten ist Borussia Mönchengladbach in einer handfesten sportlichen Krise. Der unansehnliche Fußball, der sich seit Herbst beobachten lässt, schlägt in den letzten Wochen wieder voll und im Grunde genommen noch brutaler als im Herbst 2020 auf die Ergebnisse durch. Dass wir es hier nicht mit fehlendem Glück zu tun haben, zeigen zwei statistische Werte, die Anfang der Woche kursierten: Zum einen ist da eine Darstellung der sogenannten Laufleistungs- und Sprintdifferenz über die ersten 22 Spieltage, aus der hervorgeht, dass Borussia einer der Bundesligisten mit den im Vergleich zur Konkurrenz wenigsten Sprints ist (das macht für sich erstmal nichts, das war auch unter Favre so, und zwar bewusst), der dies aber anders als z.B. Union Berlin oder auch anders als die Borussia der Favrezeit nicht durch mehr absolute Laufleistung kompensiert (https://twitter.com/michael_karbach/status/1363744341991297024?s=08). Letzteres ist bedenklich, gerade dann, wenn man die Phrasen des Trainers Revue passieren lässt, in denen stets das Wort „Aktivität“ vorkommt. Tatsächlich erinnert manches momentan eher an die Aktivität eines langsam anfahrenden, vollbeladenen Güterzugs. Man mag an dieser Stelle berechtigterweise einwenden, dass Laufen und Sprinten im Fußball kein Selbstzweck sind. Dieser Einwand ignoriert aber, dass es sich nur die fußballerisch überlegenen Teams leisten können, aufgrund ihrer überragenden spielerischen Qualität auf Laufleistung zu verzichten, z.B. indem sie Ruhephasen ins Spiel einbauen, Vorsprünge verwalten. Dass Borussia gerade nicht zu diesen Teams gehört, kann man sowohl an der Tabelle als auch am Fernseher sehen. Eine andere beliebte Statistik sind die expected Goals. Nun – wie man lesen durfte, sind unter den 7 Spielen mit den niedrigsten Werten dieser Saison alle 5 letzten Spiele von Borussia Mönchengladbach enthalten (https://twitter.com/aufmplatz/status/1363745213425086469). All das zeigt, dass sich Borussia Mönchengladbach momentan in keinem guten sportlichen Zustand befindet.

Diese – gefühlt in Auflösung befindliche – Borussia trifft auf Peps Wunderelf. Die letzte Niederlage am 21. November (0:2 bei Tottenham), seither 25 Spiele ohne Niederlage, davon 22 Siege. Darunter eine extrem beeindruckende Vorstellung beim 4:1 in Liverpool. Alles in Allem kann einem beim Gedanken an das Aufeinandertreffen am Mittwoch Angst und Bange werden. Ganz offen gestanden fehlt selbst dem stets durch die Gladbachbrille schauenden, immer das Positive suchenden Betrachter unter der Prämisse, dass Manchester City nicht irgendwie plötzlich verhext wird, sondern die Form der letzten Wochen fortschreibt, jegliche Phantasie, wie man diese Spiele erfolgreich gestalten will. Damit sind auch Spekulationen zu Taktik und Aufstellungen irgendwie nutzlos, auch wenn im allerhintersten Winkel der Gedanken immer die Hoffnung bleibt, es möge ein Wunder geschehen.

 

Der Seitenwahl-Tipp

Uwe Pirl: Manchester führt nach 30 Minuten 3:0. Ob wir uns in Borussia 09 umbenennen müssen, hängt von Peps Gnade ab. 

Christian Spoo: Ich guck das nicht und will mich nicht weiter damit beschäftigen. Ich finde diese Budapest-Nummer so absurd.

Mike Lukanz: Ich werde das Spiel übrigens auch weder tippen noch gucken. 

Thomas Häcki: Gladbach verkauft sich gut, kann aber letztlich nicht der Qualität einer der derzeit besten Mannschaften der Welt standhalten. Das 1:2 bringt außer Anerkennung leider nichts ein.

Claus-Dieter Mayer: Im vorletzten Spiel der Rose-Ära lässt sich die paralysierte Borussia willenlos abschlachten, hat aber das Glück, dass Manchester City in der zweiten Halbzeit 3 Gänge zurückschaltet und sich darauf beschränkt, das 4:0 zu verwalten.