Bielefeld neu

Nach dem starken Auftritt gegen den neuen Trainer am Samstag fällt Borussia mit der ärgerlichen Pleite in Hoffenheim wieder in einen Trott zurück, der die Gutmütigkeit selbst der treuesten Anhänger arg auf die Probe stellt. Die Chancen, aus dieser merkwürdigen Saison noch etwas Positives mitzunehmen, werden weniger.

Eigentlich zeigte die Formkurve in den vergangenen Wochen konstant nach oben. Die zweite Hälfte gegen Freiburg, der Punkt in Unterzahl bei der Hertha und eine durch die Bank erfreuliche Leistung gegen Frankfurt – besonders das 4:0 über die Truppe von Adi Hütter schien die Initialzündung für einen guten Saisonendspurt zu sein.


Glückliche Führung...

Im Nachhinein könnte man man fragen, wie sehr dieses „Vorspielen“ beim zukünftigen Übungsleiter ein Hauptgrund für eine der vielleicht besten Saisonleistungen war. Denn in Hoffenheim war von dieser Borussia von Beginn an wenig zu sehen: Das Anlaufverhalten wirkte halbherzig, man überließ dem Gegner weitgehend das Feld, spielte eigene Umschaltsituationen schlampig aus oder verzögerte das Spiel unnötig. Viele Ballverluste und ein insgesamt zähes Spiel waren die Folge, fehlte es denn auch den kriselnden Gastgebern am nötigen Selbstvertrauen, um eine passive Borussia ernsthaft in Gefahr zu bringen. Und dennoch sollten die Chancen für Bebou und Skov die besten des ersten Durchgangs sein, beide bedingt durch leichtfertige Ballverluste der Gladbacher. Dass Borussia trotzdem in Führung ging und unmittelbar vor der Pause sogar noch erhöhte, war in erster Linie zweier toller Aktionen Marcus Thurams zu verdanken. Sein Lauf in die Tiefe vor dem 1:0 ermöglichte Plea (mit Hilfe eines Hoffenheimer Beins) dessen fünften Saisontreffer, das 2:0 resultierte aus der schönsten (und leider auch einzig durchweg gelungenen) Kombination in 90 Minuten: Von Bensebaini geschickt eingeleitet, passte Plea aus zentraler Position nach links, wo sich Thuram mit einem beherzten Antritt im Eins-gegen-Eins durchsetzte und in der Mitte den stark eingelaufenen Lazaro fand. Blitzsauber, eiskalt, zur Pause schienen trotz einer insgesamt mäßigen Leistung die Weichen für den fünften Auswärtssieg gestellt.


...keine Reaktion

Doch anstatt gestärkt aus der Kabine zu kommen und die Probleme des ersten Durchgangs abzustellen, blieb Borussia im gleichen Trott – und half bei den Hoffenheimer Toren noch kräftig mit. Thuram legte nach einer Ecke den Anschlusstreffer unfreiwillig vor, bei den beiden folgenden Treffern geriet man jeweils auf der linken Abwehrseite in Unterzahl und ließ die gegnerischen Angreifer im Zentrum aus den Augen. Versuchte man in der Phase nach dem 1:2 noch kurz wieder selbst die Initiative zu ergreifen, so erloschen nach dem Ausgleich jegliche Hoffnung auf ein Comeback. Von Borussia kam nichts mehr, die Wechsel verpufften wirkungslos und das Spiel plätscherte bis zum Abpfiff dahin. Und damit wohl auch die kleine Resthoffnung, sich doch noch für die Europa League zu qualifizieren.

Dabei hatte der scheidende Trainer überraschend Kramer für den formstarken Zakaria nominiert, ansonsten aber die gleiche Elf aufgeboten, die noch gegen die Eintracht überzeugt hatte. Doch nicht nur erwischte Kramer einen schwachen Tag, auch von seinem hochgehandelten Mittelfeldpartner Neuhaus war nahezu gar nichts zu sehen. Plea wirkte wie der Großteil der Offensivbemühungen fahrig und konnte das Fehlen von Kapitän Stindl diesmal nicht auffangen. Mit dieser Schwäche im Zentrum, gepaart mit dem akuten Verdacht, dass es sich die Mannschaft in bestimmten Phasen einfach zu leicht macht, baute man selbst den formschwachen Gegner mit zunehmender Spieldauer immer weiter auf. Auch von der Bank kam wenig Hilfe: Die Wechsel sowie die Umstellung auf eine Dreierkette blieben ebenso wirkungslos wie die zweite Angriffsreihe, die beim Gegner keinerlei Sorgenfalten verursachte. Irgendwie passte das Spiel somit ganz in diese seltsame, von Nebenkriegsschauplätzen dominierte Saison der Borussia.


Borussia 2020/21 – ein Rätsel

Es bleibt also weiterhin schwer, aus diesem eigentlich so hochtalentierten und (in den meisten Mannschaftsteilen) auch breit aufstellten Kader schlau zu werden – die grundsätzliche Qualität ist vorhanden und wurde bereits mehrfach unter Beweis gestellt. Gleichzeitig scheint aber immer wieder eine gewisse Leichtfertigkeit und Selbstüberschätzung durch, die besonders in Phasen, in denen ein Gegner taktisch oder kämpferisch einen Gang hochschaltet, in eine große Hilflosigkeit mündet,  auf die veränderte Spielsituation adäquat zu reagieren. Zugleich sind Zweifel an Flexibilität und Varianz in Bezug auf die eigene Spielweise angebracht – funktioniert das laufintensive und kräftezehrende Mannschaftspressing einmal nicht, tun sich gleich erhebliche Lücken im Defensivkonstrukt auf und das Umschaltspiel leidet an fehlender Präzision. In einer Saison, in der Borussia recht lang in drei Wettbewerben vertreten war und der Trainer immer wieder – auch am Mittwoch – von einer Mannschaft „am Limit“ spricht, muss man die Frage stellen, ob es in Bezug auf die Kräfteaufteilung keinen ökonomischeren Weg gibt – Teams wie Wolfsburg, BVB oder Leipzig (wenn wir Bayern hier einmal außen vor lassen) scheinen diese Herausforderungen besser zu verkraften. Oder deutet der Neu-Dortmunder etwas anderes an, das weniger mit der physischen, als mit der mentalen Verfassung des Teams zu tun hat...? Insgesamt betrachtet ist die Spielzeit, trotz des Erreichens des CL-Achtelfinales, vor allem deshalb enttäuschend, weil die Mannschaft nahezu komplett zusammengehalten werden konnte – aber anstatt an die gute Vorsaison anzuknüpfen, sich in keinem Bereich sichtbar verbessern hat – eher im Gegenteil.


Bielefeld kommt

Was heißt das nun für die Partie gegen Bielefeld? Kann die Mannschaft noch einmal die nötige Energie und Lust aufbringen, um im Schneckenrennen um den kleinen, sehr kleinen Trostpreis Conference League die Nase vorn zu behalten? Es ist immerhin ein Wettbewerb, in dem man sich etwas „Blechernes“ zum Ziel setzen und einem hoffentlich starken Kader die Möglichkeit zur Rotation geben könnte.

Der Gegner jedenfalls wird sicherlich „alles reinhauen“. Mit den wuchtigen Stürmern Klos und Voglsammer, dem quirligen Doan sowie einer kompakten Defensive um Keeper Stefan Ortega, der zu den stärksten dieser Bundesligasaison gehört, hat Trainer Frank Kramer die Arminia in den letzten Wochen stabilisieren können. Der Aufsteiger versucht weniger mitzuspielen als noch unter Aufstiegscoach Neuhaus und beruft sich recht erfolgreich auf die vielzitierten fußballerischen Grundtugenden, um mit dem spielerisch limitierten Kader das große Ziel Klassenerhalt zu erreichen. Trotzdem ist eine !konzentrierte! Borussia am Sonntag klarer Favorit, mit einem Auftritt wie gegen Hoffenheim ist ein Heimsieg allerdings alles andere als selbstverständlich. Schon gegen Köln und Mainz, aber auch beim knappen 1:0 Bremen hatte man den – vom Papier und Einzelspielern her – deutlich unterlegenen Gegner kaum im Griff.


Mögliche Aufstellungen:

Borussia: Sommer – Lainer, Ginter, Elvedi, Bensebaini – Zakaria, Neuhaus – Lazaro, Hofmann –

Embolo, Thuram

Bielefeld: Ortega - de Medina, Pieper, Nilsson, Lucoqui - Prietl, Maier - Okugawa - Doan, Voglsammer - Klos


SEITENWAHL-Tipps:

Christian Grünewald: Man möchte Mannschaft und Trainerteam zurufen: Reißt euch nochmal zusammen! Dann wird es am Ende ein 2:0.

Mike Lukanz: Das trostlose 1:1 gegen Bielefeld wird reichen, um endlich die emotionale Herdenimmunität unter Borussias Anhängern zu erreichen.

Christian Spoo: Der einigermaßen erbärmliche Auftritt von Hoffenheim wiederholt sich nicht. Borussia geht gegen Bielefeld konzentrierter an die Sache ran und gewinnt ungefährdet mit 3:0.

Thomas Häcki: Nach der Nicht-Leistung von Mittwoch wurde ein Einstellungsdefizit klar aus der Mannschaft benannt. Diese muß nun die Charakterfrage beantworten. Und das tut sie beim 3:1 auch.

Uwe Pirl: Borussia möchte jede Wettbewerbsverzerrung im Abstiegskampf vermeiden. Deshalb schenkt man auch das Spiel gegen Bielefeld her: 1:2.

Michael Heinen: In dieser Saison hat Borussia noch gegen fast jeden Abstiegskandidaten verlieren können. Statt z. B. den Kölnern oder Hoffenheimern die Punkte zu überlassen, wären diese den tapferen Arminen weit mehr zu gönnen gewesen. Gegen die hält sich Borussia aber schadlos und gewinnt auch das Rückspiel mit 2:0.