Zum zehnten Mal in Folge schließt Borussia die Saison auf einem einstelligen Tabellenplatz ab. Wer sich weiterhin daran orientiert, wo der Verein vor 2011 stand - wo er also vermeintlich herkommt - der wird auch die gerade abgelaufene Spielzeit als Erfolg werten. Allerdings tut das außerhalb der Geschäftsstelle im Borussia-Park vermutlich kaum jemand mehr und auch in den Büros von Max Eberl und Konsorten denkt man möglicherweise inzwischen anders, auch wenn man das nach wie vor nach außen anders kommuniziert. Für den überwiegenden Teil der Anhänger dürfte die Saison 2020/21, das zweite und letzte Rose-Jahr, unter dem Strich eine herbe Enttäuschung gewesen sein. Und das sicher nicht nur, weil die Fans kein einziges Spiel live im Stadion sehen konnten. Die Seitenwahl-Redaktion guckt kollektiv zurück auf wenig inspirierende zwölf Monate:

 Christian Spoo

Selten habe ich das Ende einer Saison so herbeigesehnt, selten war ich nach einer Saison so abgetörnt, nicht nur vom Fußball im Allgemeinen sondern von meinem Verein im Besonderen. Warum das so ist? Wo fange ich an? Zum einen natürlich an enttäuschten Erwartungen. Vor der Saison wähnte ich Borussia auf einem guten Weg. Mit einem Kader, der gegenüber dem erfolgreichen der Vorsaison noch leicht verstärkt worden zu sein schien. Mit einem Trainergespann, dass in seiner ersten Saison zumindest erahnen ließ, warum man es installiert hatte und das angetreten war, in Mönchengladbach etwas zu schaffen. Was daraus wurde, muss ich niemandem erzählen. Es gab vermutlich keine einzige Erwartung, die erfüllt wurde, es sei denn man zieht sich am Einzug ins Champions-League-Achtelfinale hoch oder hatte schon vor der Saison die Ahnung, dass Castle Rose ein Luftschloss sein könnte.

Neben den Enttäuschungen sportlicher Natur tritt die Desillusionierung in Sachen nachhaltige Planung, tritt das Gefühl, summa summarum in den beiden Rose-Jahren eher Rück- als Fortschritte gemacht zu haben und tritt in meinem Fall ein erstes leises Fremdeln mit der Haltung ein, die die Vereinsführung an den Tag legt. Nach der Demission von Marco Rose hat die Außendarstellung nicht gestimmt. Max Eberl hat sich deutlich zu einem Trainer bekannt, der sich seinerseits nicht zu Borussia bekennen wollte. Gleichzeitig hat er sich zum wiederholten Mal gegen die eigenen Anhänger gestellt und ich möchte nicht wissen, wie sich unser Sportdirektor beispielsweise zur Superleague positioniert hätte, wenn Bayern München und der Ballspielverein Dortmund dieses Konstrukt leidenschaftlicher mitbetrieben hätten. Das ist nach der internen Logik des modernen Fußballs alles irgendwo nachzuvollziehen. Borussia darf aber nicht vergessen, dass sie nach wie vor zum Großteil von der Sorte Anhänger lebt, die mit diesen Entwicklungen genauso fremdeln wie ich das tue. Borussias Kernanhängerschaft ist eher alt. Für junge Menschen außerhalb des eher kleinen regionalen Einzugsgebiets ist der Verein nicht sexy und wird es vermutlich auch nicht mehr werden.

Freue ich mich auf die neue Saison? Im Moment nicht. Mir fehlt die Phantasie, wie man den Kader ohne personellen Cut und ohne große Investitionen so umstrukturieren kann, dass die zuletzt augenfälligen Probleme (die großenteils gar nicht neu sind) abgestellt werden. Ob der neue Trainer für einen „Mentalitätswechsel“ der richtige ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Grund zur Hoffnung macht die größere Erfahrung, die Adi Hütter im Vergleich zu Marco Rose mitbringt. Weniger gehypt, nicht der ganz „heiße Scheiß“, der den ganzen Markt wuschig macht - dafür vielleicht aber mehr Substanz als Blendwerk.

 Christian Grünewald

Ja, es mag vorstellbar sein, dass Borussia mit den schmerzlich vermissten Fans den ein oder anderen Heimpunkt mehr geholt und erneut das internationale Geschäft erreicht hätte. Die Saison ist aber vor allem deshalb enttäuschend, weil eine individuell starke Mannschaft, die zum Vorjahr komplett zusammenblieb und sogar um zwei Wunschspieler des Trainers ergänzt wurde, sich in keinem Bereich weiterentwickeln konnte – im Gegenteil. In der Champions League und den Heimspielen gegen Bayern und den BVB zeigte sich zwar die vorhandene Qualität, konnte aber offenbar nur im Rahmen „großer“ Spiele abgerufen werden. So bleibt der Verdacht, dass der nun Ex-Trainer und seine hochgelobten Spielern das eigentliche Tagesgeschäft Bundesliga einigen effektreichen Highlights unterordneten. Dies lässt sich auch an der fehlenden „Griffigkeit“ nach Führungen und z.T. übertriebener Rotation festmachen. Der Leipziger war vornehmlich mit dem Ziel angetreten, mehr Aggressivität und Intensität einzubringen. Da davon auf dem Platz zuletzt nur noch sehr wenig zu sehen war, beginnt im Sommer nun ein erneuter Anlauf, Borussia eine neue fußballerische Identität zu verschaffen.

Uwe Pirl

Als ich im letzten Sommer meinen Teil des Borussenchecks geschrieben habe, sah ich für Borussia Mönchengladbach eine Platzierung zwischen 1 und 3 vorher, begründet aus der gut verlaufenen Vorsaison, dem gut performenden Trainerteam, der komplett zusammengehaltenen Mannschaft und aus den Entwicklungen bei der Konkurrenz. Ein wenig Euphorie war sicher auch dabei. Dass es anders kam, wissen wir nach dem Ende dieser ernüchternden Saison 2020/21 alle.

Warum lag ich dermaßen falsch? Ein von mir wie vermutlich vielen anderen auch unterschätzter Punkt war, wieviel Kraft, Substanz, Aufmerksamkeit und Konzentration die Teilnahme an der Champions League kostet. Die Teilnahme an diesem Wettbewerb mit der erstmaligen Teilnahme am Achtelfinale hat wahrscheinlich jedem Gladbachfan unendlich Freude bereitet. Sie hat aber eine Kehrseite: Schon im Herbst litt darunter das Kerngeschäft Bundesliga, wurden Vorsprünge hergegeben und gab es unbefriedigende Unentschieden. Zu diesem Zeitpunkt war das aber mit der Dreifachbelastung sowohl erklärbar als auch entschuldbar. Am Ende der Hinrunde stand zwar nur Platz 7, der Rückstand auf Platz 4 betrug aber nur einen Punkt, damit konnte man leben.

Danach offenbarten sich jedoch drei Dinge:

Das Trainerteam hatte taktisch keinerlei Plan B. Funktionierten Wucht und Pressing nicht, funktionierte gar nichts. Wucht und Pressing kamen aber im Lauf der Saison nahezu komplett abhanden, die dafür erforderlichen Sprints und intensiven Läufe konnte die Mannschaft (vermutlich mangels Fitness) nicht mehr leisten. In der Defensive war kein Konzept mehr erkennbar. Im Grunde genommen hat das Trainerteam damit belegt, dass die bei der Vertriebsabteilung eines Brauseimperiums favorisierte Spielanlage ohne spielerische Weiterentwicklung eine fußballerische Sackgasse ist. Für ein Trainerteam mit den Ambitionen der Herren Rose, Maric und Zickler ist das allerdings ein Armutszeugnis.

Damit blieben als Motor für Erfolg nur noch die Motivationskünste der zukünftigen Dortmunder. Mit denen war es aber vorbei, als der Wechsel feststand. Der Bruch im Verhältnis zwischen Trainer und Mannschaft war nach der Bekanntgabe des Wechsels nach Dortmund unübersehbar, egal wie sehr sich die Beteiligten darum bemühten, diesen Aspekt kleinzureden. Der Trainer hat diesen Effekt meiner Meinung nach durch seine provokant lustlosen und patzigen Auftritte in Pressekonferenzen und vor diversen anderen Mikrofonen deutlich verstärkt. Das mag cool und lässig aussehen – jedoch sahen vermutlich auch die Spieler, welche Null-Bock-Haltung ihr Vorgesetzter da zelebrierte. Dass so etwas nicht leistungsfördernd war, liegt auf der Hand.

Drittens hat auch das Team einen gewaltigen Anteil am Misserfolg. Auftritte wie die Heimspiele gegen Mainz, Köln und Stuttgart sowie die Spiele in Augsburg, Hoffenheim und München lassen sich nicht allein mit der Unfähigkeit oder der Unmotiviertheit des Trainerteams erklären. Hier hat auch das Team versagt. Jeder Einzelne muss sich fragen lassen, warum diese Ansammlung Hochbegabter es nicht schafft, in entscheidenden Situationen als motivierte Einheit aufzutreten.

Alles in Allem bleibt vielleicht zum ersten Mal seit der Rettung vor 10 Jahren ein extrem enttäuschender Beigeschmack. Borussia Mönchengladbach hat sowohl in Bezug auf die harten Ergebnisse als auch in Bezug auf das Auftreten alle Ziele verfehlt. Das schmerzt.

 

Claus-Dieter Mayer

Dass dies eine sehr enttäuschende Saison für die Borussia war, ist eine wohl kaum umstrittene Feststellung. Aber ab wann es so richtig enttäuschend wurde, darüber lässt sich diskutieren. Denn auch schon vor der Bekanntgabe des Rose-Wechsels konnte die Borussia vor allem in der Liga oft nicht überzeugen. Man war weit entfernt von der Dynamik, die das Team vor allem im Herbst 2019 noch entfaltete (nur das lahme Werder Bremen hat in dieser Saison weniger Sprints zu verzeichnen als die Gladbacher) und verschenkte immer wieder Führungen. Aber zumindest konnte man noch gewisse Gründe dafür finden. Die psychische wie physische Zusatzbelastung durch die Champions-League, die damit verbundene Rotation und verringerte Anzahl an Trainingsmöglichkeiten schienen der Preis für einige spektakuläre internationale Auftritte und den erstmaligen Einzug in die KO-Runde der Champions-League zu sein. Und als nach kurzer Weihnachts-Pause und zunächst ohne CL-Zusatzbelastung der Spielbetrieb wiederaufgenommen wurde, schien die Borussia wirklich aufzudrehen. Bayern und Dortmund konnten in furiosen Spielen daheim besiegt werden und ohne den nicht regel-konformen VAR-Eingriff durch Bibiana Steinhaus in Stuttgart hätte man im Januar mit 5 Siegen in 5 Spielen eine makellose Bilanz aufweisen können. So lag man nach 19 Spieltagen punktgleich mit dem BVB mit lediglich 3 Saisonniederlagen nur einen einzigen Punkt hinter Platz 4. Alles schien drin zu sein für die Fohlen, doch dann folgten 9 Pflichtspiele in Folge mit nur einem Unentschieden und 8 Niederlagen und die Saison war quasi gestorben (auch wenn es noch Möglichkeiten gab sie wiederzubeleben, die aber in Hoffenheim und gegen Stuttgart leichtfertig verschenkt wurden…natürlich wieder nach eigener Führung). Was ergibt nun das Post Mortem?

Korrelation sei nicht gleichbedeutend mit Kausalität predigen Statistiker wie ich gern, aber das die Bekanntgabe des Trainerwechsels eine bedeutende Rolle gespielt haben wird, lässt sich vor allem mit Blick auf die ähnlichen Entwicklungen in Frankfurt und auch zum Teil in Leipzig kaum von der Hand weisen. Einzig und allein die böse Probstheider Ich-AG für das schwache Abschneiden verantwortlich zu machen, greift jedoch etwas kurz. Den fabelhaften Kapitän Lars Stindl mal ausgenommen (seine 14 Tore wurden zuletzt von Raffael 2014 übertroffen), konnte kaum ein Spieler über die gesamte Saison hinweg überzeugen. Gerade bei Florian Neuhaus schwankte es sehr zwischen Weltklasse und ganz schwach, Denis Zakaria blieb meist weit unter dem Niveau, dass er vor seiner Verletzung im letzten Frühjahr hatte, Alassane Plea (6 Tore in 29 Spielen) stand vielfach komplett neben sich, die nominell eigentlich gut besetzte Abwehr war nach Gegentoren gemessen die viertschlechteste der Liga. Am auffälligsten war jedoch, dass es mit der vor der Saison noch oft angesprochenen Breite im Kader nicht weit her war. Bei jeder Einwechslung von Hermann oder Wolff wäre ein kollektives Aufstöhnen durch die Ränge gegangen, wären denn Zuschauer erlaubt gewesen. Andere Spieler (Traore, Beyer, Reitz, Lang etc) wurden offensichtlich für noch schwächer eingestuft und durften noch nicht mal für Aufstöhnen sorgen.

Die Saison wird Konsequenzen haben. Ein Bundesliga-Achter ist kein so attraktiver Arbeitgeber wie ein Champions League Teilnehmer, was sowohl für vermehrte Abgänge als auch Schwierigkeiten beim Anwerben Spieler sorgen wird. Gleichzeitig sind aber die Spieler eines Bundesliga-Achten auch nicht mehr so begehrenswert wie sie es noch im letzten Sommer zu sein schienen, sodass gerade in der Pandemiezeit der Geldsegen durch Verkäufe ein gutes Stück geringer sein könnte als man so erhofft. Einiges zu tun im Sommer also für die Herren Hütter und Eberl.

 

Michael Heinen

Es wäre nicht fair, die Bewertung der Gladbacher Saisonleistung allein davon abhängig zu machen, dass Union Berlin in der allerletzten Saisonminute noch einen glücklichen Treffer erzielt hat. Die Bewertung muss völlig unabhängig von dieser Aktion erfolgen und hätte somit in gleicher Weise gegolten, wenn Borussia als Tabellen-7. in den neugestalteten UI-Cup eingezogen wäre: Am langen Ende war diese Spielzeit mehr als nur ein Stück weit eine große Enttäuschung - und das in vielerlei Hinsicht.

Ja, es gab die beeindruckenden Gala-Vorstellungen gegen Donezk. Zumindest die Hinspiele gegen Real und Inter sowie der Einzug ins Achtelfinale der Champions League fanden zurecht international Beachtung. Selbst in der Bundesliga gab es eine Handvoll toller Spiele, wie z. B. die Heimsiege über Dortmund und Bayern. Das alles wird aber überschattet davon, dass die Mannschaft über weite Strecken der Saison deutlich unter ihren Möglichkeiten geblieben und im Alltagsgeschäft gescheitert ist.

Konnte man dem Team in den vergangenen Jahren zumeist einen starken Charakter unterstellen, so wirkten die Auftritte in diesem Jahr oft seltsam uninspiriert. Besonders in der Rückrunde war nichts mehr zu sehen von irgendwelchen taktischen Finessen, die dem hochgelobten Trainer und seinem Team in der Vergangenheit nachgesagt worden waren. Der neue Dortmunder Coach war nicht erst nach Verkündung seines Abschieds kaum noch in der Lage, seiner Mannschaft irgendeine nachvollziehbare oder gar durchdachte Spielidee zu vermitteln.

Doch es wäre zu einfach, alles nur an dieser einen Person festzumachen - so unerfreulich die Umstände seines Wechsels gewesen sein mögen. Die Mannschaft hatte das viel größere Interesse, die Saison auf einem ihr angemessenen Platz zu beenden. 11 Borussen werden an der diesjährigen Europameisterschaft beteiligt sein - allein drei davon im deutschen Team. Die Qualität im Kader hätte mindestens für einen Platz in der Europa League ausreichen müssen - dazu hätte es nicht einmal eines guten Trainers bedurft. Die Chance darauf verspielte die Mannschaft in vielen Partien höchst fahrlässig. Die zwischenzeitlichen Skandale um Breel Embolo und Marcus Thuram rundeten dieses Bild ab von einer Mannschaft, die jegliche Verheißungen nach der erfolgreichen Vorsaison enttäuschte. Nicht nur Corona sorgte dafür, dass sich viele treue Fans in diesem Jahr von ihrem Team entfremdeten und dieses eine Menge Kredit verspielt hat.