Es dauerte länger, als es hätte dauern müssen. Aber als Joe Scally sich in der letzten Minute der Nachspielzeit per Kopf zunächst den Assist verdiente und dann selbst entschlossen den Ball an Koen Casteels vorbei ins Tor drosch, war klar: Borussia hat die Auftaktkrise überstanden und hat es zum zweiten Mal in Folge geschafft, eine Spitzenmannschaft mit einer gesunden Mischung aus Kampf und Spiel in die Knie zu zwingen. Der Sieg in Wolfsburg war fraglos verdient, auch wenn es etwas weniger Spannung zum Ende hin gerne hätte sein dürfen.

Was hat sich verändert, im Spiel der Borussia? Der Auftakt der Partie in Wolfsburg gibt einen Fingerzeig: Breel Embolo und Jonas Hofmann bereiteten wechselseitig vor und trafen. In Anbetracht des ungewohnt wenig präsenten und fahrigen Lars Stindl sah es so aus, als sei Hofmann/Embolo das neue Offensivduo. Tatsächlich hatte Embolo zum einen einen Sahnetag, an dem ihm, dem oft in letzter Konsequenz Unglücklichen, fast alles gelang. Er ist aber von der Tagesform unabhängig genau der Stürmertyp, der zum Spiel der Hütter-Mannschaft passt: Ein Stürmer der die gegnerische Abwehr permanent beschäftigt, der in vorderster Front früh draufgeht und der im Zweikampf nicht nachlässt, das erscheint zielführender als das häufig eher unsichtbare Spiel eines Alassane Plea, der über enorme Abschlussqualitäten verfügt, aber kein Kämpfer und Wühler ist. Die Rolle Embolos könnte nach Genesung eher Marcus Thuram kopieren oder sogar noch anreichern, so dass es nach Weihnachten womöglich mehr Optionen im Spiel nach vorne gibt. Jonas Hofmann seinerseits spielte gar nicht im Sturm, war aber an vielen Angriffen mittelbar oder unmittelbar beteiligt. Dabei legt der Mittelfeldmann eine bemerkenswerte Galligkeit an den Tag. Hofmann verkörpert das Wesen der neuen Spielanlage unter Adi Hütter dadurch exemplarisch: Das Spielerische und das Kämpferische in Kombination. Robustheit heißt das Wort, dass einem angesichts des Auftretens der Mannschaft gegen Dortmund und in Wolfsburg in den Sinn kommt. Fürs Erste scheint Hütter seinen Spielern das Schwiegersohnhaftige tatsächlich ausgetrieben zu haben. Kaum einmal geht einer einem Zweikampf aus dem Weg. Das Spiel nach vorne ist wieder vertikal und die Bälle kommen auch häufig an. Das Gefühl, dass bei einem Steilpass der Gegner in 80 Prozent der Fälle einfach schneller am Ball weil aufmerksamer ist, hat sich zunächst einmal verflüchtigt. Für Robustheit steht die neue Doppelsechs Zakaria/Koné, auch wenn dem Franzosen bei seinem zweiten Auftritt weniger gelang als gegen Dortmund. Und – siehe da – auch Christoph Kramer hat die Zeichen der Zeit erkannt und fügte sich nach seiner Einwechslung nahtlos ein. Es scheint bei allen „klick“ gemacht zu haben. Ein Sonderlob verdient sich Joe Scally, nicht nur wegen seines erlösenden Tores in der 95. Minute, sondern weil der 18-Jährige wirkt, wie ein 28-Jähriger mit mehr als 200 Bundesligaspielen auf dem Konto. Mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit spielt er bisher jede Position, auf die Hütter ihn beordert. Aufmerksam nach hinten, zielstrebig nach vorne, abgeklärt in den Zweikämpfen. Der US-Amerikaner ist bislang die Entdeckung der Saison. Auch auf den Außenpositionen macht der Blick ins Lazarett Hoffnung, alldieweil dort mit Lainer und Bensebaini zwei Spieler irgendwann wiederkehren, denen man das Dagegenhalten nicht mehr beibringen muss, mit diesen beiden, Scally und dem ebenfalls bisher positiv auffallenden Luca Netz ist Borussia da wirklich überdurchschnittlich gut besetzt.

Genug der Lobhudelei – es tut sehr gut, nach einem solchen Spieltag einfach mal ein bisschen schwärmen zu können – natürlich läuft noch lange nicht alles rund. Wie eingangs erwähnt, hätte das Spiel in Wolfsburg früher entschieden sein können. Die Chancenverwertung ist nach wie vor suboptimal. Dass die Niedersachsen in Unterzahl noch diverse Chancen zum Ausgleich hatten, ist natürlich der Qualität dieser Mannschaft geschuldet, aber Borussias Hintermannschaft wirkte da nicht so souverän, dass man als Zuschauer das aus Favre-Zeiten noch erinnerliche „Ach, da passiert schon nix“ hätte denken können. Angesichts der immer noch zahlreichen Ausfälle ist die Bank außerdem derzeit noch nicht so besetzt, dass Hütter von der Bank noch wirkliche Impulse bringen könnte. Die zweite Reihe ist aktuell genau das: Die zweite Reihe.

Unter dem Strich aber steht ein verdienter Sieg in Wolfsburg, was alleine schon eine erfreuliche Nachricht ist. Es steht aber auch die Erkenntnis, dass sich etwas verändert zu haben scheint, dass Borussia schon gelernt haben könnte, „Hütter-Fußball“ zu spielen. Es steht zu hoffen, dass das beeindruckende Auftreten gegen Dortmund und Wolfsburg nichts damit zu tun hatte, es mit „großen“ Gegnern zu tun zu haben und auch nicht bloß eine kurzzeitige Reaktion auf die aufkommende Unruhe nach dem Stotterstart in die Saison war. In den nominell deutlich einfacheren Spielen gegen Stuttgart, in Berlin und gegen Bochum kann die Mannschaft ihren Charakter unter Beweis stellen und zeigen, dass sie Geist und Körper auch gegen solche Gegner auf den Platz bringen kann.