Bild: Christian Verheyen/Borussia

Nun sitzt Du also da auf diesem Podium, weinst und sagst, dass Du einfach nicht mehr willst und nicht mehr kannst. Für Dich beginnt nun ein neuer Lebensabschnitt, der Dir von Herzen gegönnt sei. Ich kam nicht umher, an die Momente zu denken, die wir alle schon erlebt haben am Ende einer langen Beziehung. Wenn man merkt, dass es einfach nicht mehr geht, es aber dennoch sehr wehtut. Jeder Mensch hat das Recht, seiner eigenen seelischen Gesundheit den Vorrang zu geben. 

Als ich mich auf diesen Text vorbereitet habe, tat ich, was viele Journalisten dann tun: Ich habe mir alte Artikel durchgelesen, Interviews und Notizen durchforstet. Nun habe ich selbst schon seit Jahren nichts mehr mit Journalismus – und damit auch mit Dir - zu tun und meine letzten Notizen zu Dir und über Dich waren und sind tief versteckt oder alt. 

Da gab es dieses Interview, das ich 2009 für SEITENWAHL mit Dir geführt habe. Du warst erst wenige Monate im Amt, der Rauswurf Frontzecks stand Dir noch bevor, aber das wusstest Du damals natürlich noch nicht. Das Interview fühlt sich beim Lesen an wie das gemeinsame Blättern in alten Fotoalben. Du sprachst von den Leitplanken, die Du installieren wolltest, von Kontinuität. Du warst voller Feuer, Optimismus und Überzeugung. Niemand, auch wir notorischen Optimisten bei SEITENWAHL, hätten damals je davon geträumt, dass diese Leitplanken uns in die Champions League führen würden. 

Zwei Dinge habe ich schon damals bei unserem ersten Gespräch und vielen weiteren in den Jahren danach bemerkt: Du warst in jedem Gespräch perfekt vorbereitet. Kaum ein Argument oder eine kritische Frage, die Du nicht sofort mit Statistiken, Gegenargumenten oder einer alternativen Sichtweise zumindest in einen anderen Kontext setzen konntest. Dazu hatte ich den Eindruck, dass Du mitunter zu vehement Dinge erklärt und relativiert hast, selbst die, die Dein Gegenüber gar nicht infrage gestellt hatte. Ich lernte einen Mann kennen, der oft zu glauben schien, immer mehr liefern zu müssen als notwendig. Weil Du dies als Profi auch stets tun musstest und damit Erfolg hattest. 

Wenige Monate später erhielt ich die Gelegenheit, für die Kollegen vom SPIEGEL ein Porträt über Dich zu schreiben. Dafür recherchierte ich in Deiner alten Heimat München, traf Deinen einstigen Jugendtrainer und auch Dich mehrmals zum Gespräch. Ich lernte, dass Du Dich als der erste Spieler überhaupt in der Geschichte des FC Bayern von der E-Jugend bis zu Profis hochgearbeitet hattest – trotz der Tatsache, dass der liebe Gott Dir etwas zu wenig Zidane-und zu viel Vogts-Gene mitgegeben hatte. „Manager Unbeugsam“, diese Überschrift kam damals vom SPIEGEL, nicht von mir. Ich mochte sie nicht besonders, und doch schien sie mir über die Jahre immer treffender. Und sie ist es bis heute. 

Dann war da dieses Wintertrainingslager in der Saison 2011/2012 in Belek. Kurz zuvor hatte Marco Reus bekanntgegeben, nach der Saison nach Dortmund zu wechseln. Ein Tiefschlag für Dich. Der erste Trainingstag vor Ort hatte die Atmosphäre einer Beerdigung, es goss in Strömen, Lucien Favre wirkte wie versteinert. Am Ende dieses Trainingslagers konnte ich ein Abschlussinterview mit Dir führen. Du hast gewettert gegen die „Untergangsstimmung in den Medien“, dass man „den Jungen“ bitte in Ruhe lassen solle jetzt und dass Ihr bei Borussia Euch „davon nicht aus der Bahn werfen lassen“ würdet. Es war das erste Mal, dass Dir vor Augen geführt wurde, dass andere Vereine in der Nahrungskette über Borussia standen. Dass diese sich einfach etwas nehmen, das Du gefunden und aufgebaut hast. Aber Du hattest schon lange wieder auf Angriff geschaltet. 

Zum Rückrundenauftakt gewann Borussia 3:1 gegen den FC Bayern, Reus schoss ein Tor und bereitete ein weiteres vor. Am Ende der Saison zog Borussia als Vierter in die Qualifikation zur Champions League ein. 

Bild: Christian Verheyen/Borussia

Ich kann mich an die Interviews erinnern, die wir im Borussia-Park geführt haben. Wie Du bei jedem zweiten Satz vorgeschoben hast, dass ich das „jetzt aber nicht aufschreiben“ solle. Du hast über die Jahre gelernt, mit dem Business und dem medialen Gewitter umzugehen, einen Schirm dagegen hast Du jedoch selten aufgespannt. Und wenn, dann nur über den Verein oder die Spieler. Ich bekam oft den Eindruck, dass Du noch viel öfter einfach sagen wolltest, was Du dachtest und nicht das, was ein Manager aus der Fußball-Bundesliga halt so sagt. Dazu passt, dass Du in manchen dieser Gespräche mich nach einer „Kippe“ gefragt hast, dann aber mit mir um die Ecke gegangen bist, weil Dich niemand der Zuschauer, Besucher oder Spieler rauchend sehen sollte. Das Rauchen hast Du Dir wie ich dann glücklicherweise irgendwann abgewöhnt. 

Der Erfolg zog ein am Niederrhein, Dein glückliches Händchen schien keine Pause zu haben. Das Glück ist mit den Tüchtigen, hättest Du wahrscheinlich geantwortet. Ob Granit Xhaka, Max Kruse, Raffael, Lars Stindl, Christoph Kramer … fast jeder Transfer war ein Volltreffer. Weißt Du noch, als der große FC Barcelona im September 2016 in der Gruppenphase zu Gast war und Borussia in der ersten Halbzeit dieses Feuerwerk entfachte? Dieser Angriff zum 1:0 durch Hazard, ein Konter aus dem Lehrbuch, die Explosion im Stadion? Für diesen Moment und viele weitere in diesen Jahren werden Dir sehr viele Menschen noch sehr lange dankbar sein. Dein Name und Dein Wirken werden immer mit dieser Phase verbunden bleiben.  

Als Lucien Favre 2015 das Handtuch schmiss, saßt Du schon einmal tief geknickt auf dem besagten Podium. Auch wenn Du Favre, wie Du mal erzähltest, einmal monatlich vom Hinschmeißen abhalten musstest, dieser Rücktritt hatte Dich doch kalt erwischt, das war nicht Teil Deines Plans. Und vielleicht, auch wenn es eine steile These ist, begann damals schon etwas, das Du nie mochtest: Du wurdest getrieben. Andre Schubert, so viel wusste man, war nie Deine Wahl für einen Cheftrainer, höchstens übergangsweise. Du wusstest, dass es nicht funktioniert, doch die Ergebnisse ließen Dir keine Wahl. Du hast gegen Deinen Instinkt und Deine Überzeugung gearbeitet. Irgendwann musstest Du ihn entlassen, Du hattest wieder einmal Recht behalten, musstest dann Dieter Hecking holen, der sonst in Deiner idealen Welt wohl auch nie den Weg in den Borussia-Park gefunden hätte, aber er war der richtige Mann für die Zeit. Dein Move, den zwar spröden, aber letztlich irgendwie doch halbwegs erfolgreichen Hecking durch Marco Rose zu ersetzen, war dann Dein Versuch, wieder die Kontrolle zu gewinnen. 

Es ist eine dieser Wendungen, dass ausgerechnet Rose dazu beitrug, dass die Kontrolle vollends verloren ging. 

Du hast gerne in Bildern gesprochen. Einiges ist bei mir hängengeblieben. So hast Du oft gesagt, dass man „Erfolg nicht garantieren, aber Misserfolg minimieren“ könne. Ein sehr kluger Satz, tatsächlich. Er spiegelt Dein Verständnis wider. Du warst auf dem Feld kein Zidane, als Funktionär auch kein Netzer oder Beckenbauer. Keine Lichtgestalt, die allein durch ihre Aura etwas möglich zu machen schien, und das war Dir auch fremd. Harte Arbeit, Fleiß, Beständigkeit und der unbändige Glaube an Deine Ideen haben Dich ausgemacht. Es war für Dich auch der einzige Weg, denn auf diesem fühltest Du Dich sicher. 

Mit der Zeit ging Dir dann etwas die Leichtigkeit verloren, schon vor Marco Rose. Das ewige Mantra des „Wir dürfen nicht vergessen, woher wir kommen“ ist schon ein Klassiker geworden, ebenso die über die Jahre etwas überstrapazierte Metapher des „gallischen Dorfes“ Borussia Mönchengladbach, so inhaltlich richtig sie auch sein mag. Aber so ein wenig schwang da immer – und nimm mir das bitte nicht übel – eine Mischung aus Frustration und Aufmerksamkeitsgehasche mit, so als ob die Öffentlichkeit nicht ausreichend zu würdigen wisse (oder es zu vergessen drohte), was Du da aufgebaut hast. Expectation Management sagt man dazu neudeutsch in der Branche, in der ich mittlerweile tätig bin: „Seht her, was ich hier aufgebaut habe!“. Aber die Branche Fußball vergisst schnell und ist in ihrer Absolutheit gnadenlos. Deinem immerwährenden Versuch, dem wider besseres Wissen zu entkommen, haben Dir viele immer hoch angerechnet. Und trotzdem über Dich geschimpft, wenn irgendwas nicht lief. 

Das Schwarz-Weiß-Denken von Fans und Medien hast Du stets verteufelt, für Dich waren die Dinge immer vielschichtiger, komplexer. Du hattest doch immer eine Erklärung. In Deiner Welt, in Deiner Vision gab es ja immer einen Plan, Du warst immer vorbereitet. So, wie Du es mir damals erzählt hast, wie Du es zum Profi geschafft hattest: Akribische Vorbereitung auf jeden Gegner. Wenn dieser einen Plan B hatte, hattest Du Plan C. 

Und dennoch, mit der Zeit ist dann das passiert, was nur Menschen wie Dir passiert. Du hast vieles, nicht alles, was heute da ist, allein aufgebaut. Du hast Dich jahrelang gegen Widerstände und Skeptiker durchgesetzt und damit lange, sehr lange Zeit Recht bekommen.  Du hattest lange mehr Erfolg als viele der sogenannten Großen der Branche, all die Lichtgestalten, Heuchler, Blender. Das macht was mit einem Menschen wie Dir. Das Gefühl, es am Ende doch am besten allein zu wissen, allein zu entscheiden. Zu oft hattest Du damit Erfolg. Doch Überheblichkeit stand Dir nie, sie hatte Dich nicht dahin gebracht, wo Du heute bist. Im besagten SEITENWAHL-Interview von 2009 sagtest Du noch: „Hier trifft keiner eine Entscheidung allein. Insofern gibt es nicht den einen Architekten, weil es auch nie den einen Schuldigen gibt."

Natürlich hättest Du Rose sofort entlassen müssen. Jeder zweitklassige Bank-Direktor einer Dorffiliale würde sofort freigestellt, wenn er nur in einem Halbsatz erwähnen würde, zur Konkurrenzfiliale wechseln zu wollen. Doch Du hattest da längst diese Trutzburg entwickelt, aus Überzeugung wolltest Du diesen Schritt nicht gehen. Als wenn das reine Festhalten an einem Prinzip schon ein Wert an sich wäre. Du hattest Dich in Rose getäuscht, wurdest einmal mehr von der harten Welt des „Groß frisst Klein“ abgewatscht. Als Du merktest, dass die Öffentlichkeit diese Treue zum Trainer nicht goutierte, wurdest Du nicht nachdenklich oder korrigiertest es (wie damals bei Frontzeck), sondern wurdest zickig, schmallippig. Du hattest das Gespür verloren. Dein Gespür hörte nur noch auf Dich selbst. Und hast am Ende leider versucht, Feuer mit Feuer zu bekämpfen und Hütter aus Frankfurt losgeeist. 

Ein Architekt des Erfolgs eines Fußballvereins zu sein heißt eben auch, der Architekt der Hoffnungen, Ängste, Tränen und Freude von Hunderttausenden zu sein. Das allein würde viele seelisch erdrücken, doch Du hast Dein Gesicht immer in den Wind gehalten. Aber das Haus Borussia, das Du maßgeblich mitgebaut hast, hatte zuletzt Risse bekommen. Risse, von denen Du nun glaubst, sie mangels Kraft nicht mehr kitten zu können. Du hast beim Abschied gesagt, dass Borussia für Dich „wie ein Kind“ war. Vielleicht merkst Du mit ein bisschen Abstand, dass in diesem Satz auch ein Teil des Problems liegt, das Dich nun zu diesem Schritt bewogen hat. 

Du hast in den vergangenen 13 Jahren gegnerische Trainer und Manager lautstark und nicht immer jugendfrei beschimpft, die Schiedsrichter sowieso und sogar die eigenen Zuschauer auf den Rängen. Du hast über Journalisten geschimpft, und das häufig zurecht. Du hast Dich in Menschen getäuscht und bist verletzt worden. Du hast auch Fehler gemacht, warst uneinsichtig und bockig. Du hast eine Scheidung durchgemacht, Dich neu verliebt und jetzt hast Du keine Kraft und keine Lust mehr auf Deinen Job. Das alles ist menschlich, nahbar und damit irgendwie auch so sehr Borussia Mönchengladbach. Das wird bleiben. So wie das, was Du hier erschaffen hast.

Bild: Christian Verheyen/Borussia

Ich wünsche Dir für die kommenden Wochen und Monate viel Abstand, Ruhe und Erholung. Dass Du ausreichend Zeit für Reflexion bekommst. Du wirst am besten wissen, wie und wie lange Du jetzt "einfach mal raus" sein musst. Und ich wünsche Dir, dass Du Dir Deinen nächsten beruflichen Schritt so gut überlegst, wie Du es früher immer getan hast. 

Mit dem richtigen Gespür.