„Ungläubiges Staunen“ So lässt sich die Reaktion der Seitenwahl-Redaktion kurz zusammenfassen, als sie vernahm, wer Nachfolger von Max Eberl auf dem Posten des Sportdirektors wird. Als am vergangenen Wochenende der Name Hubert Fournier als Gerücht kursierte, hieß es von Borussia „eher kommt Joe Biden“. Nun: Wenn Fournier Biden ist, kommt statt des US-Präsidenten nun der Bezirksvorsteher von Mönchengladbach-Nord. Der neue Sportdirektor von Borussia heißt Roland Virkus.

Roland Virkus ist Borusse. Das ehrt ihn. Das macht ihn sympathisch. Seit 31 Jahren arbeitet er für den Verein, er ist eine Institution im Borussia-Park. Der Direktor des Nachwuchsleistungszentrums gehört irgendwie dazu. Borussia ist für ihn vermutlich eine Herzensangelegenheit, wie für uns alle, die wir hier schreiben und lesen. Seit 1991 war Virkus als Trainer im Jugendbereich tätig, seit 2008 als Nachwuchsdirektor. In dieser Rolle war er seinerzeit Nachfolger von Max Eberl. Offenbar versteht man es bei Borussia als Zeichen der Kontinuität, dass er ihm nun auch im nächsten Job, ganz oben also, nachfolgt. Ein grundsympathisches Vorgehen, wie es in familiären mittelständischen Unternehmen lange Jahre Gang und Gäbe war. Der einstige Geselle wird Chef der Lagerhaltung, tut dort 20 Jahre zuverlässig seinen Dienst, der Patriarch mag den verdienten Mitarbeiter und befördert ihn im Spätherbst seines Chefseins in die Geschäftsführung. So gut, so 20. Jahrhundert, so Mönchengladbach.

Aber: Das 20. Jahrhundert ist vorbei. Und das Prinzip „Hausberufung“ hat schon damals bei Borussia nur mäßig funktioniert. Man fühlt sich an die Erbfolge Heynckes – Werner – vom Bruch erinnert. Das war die Zeit, als Borussia von einem Daueranwärter für den UEFA-Cup zum Abstiegskandidaten mutierte und recht lange in dieser Position verblieb. Böse Zungen mögen sagen, dass Virkus auch optisch durchaus in diese Zeit und diese Riege passt, aber so lustig ist das alles eigentlich nicht. „Wir wollen eine Lösung, die zu uns passt“, hatten Rolf Königs, Rainer Bonhof und Stephan Schippers bei der Demission von Max Eberl gesagt. Offenbar meint man damit, eine Lösung der so viel Fohlenstallgeruch anhaftet, dass es die Nasenschleimhäute kaum aushalten. Steffen Korell, die erste Wahl, wollte nicht. Also greift man eine Schublade tiefer in die eigene Schlafzimmerkommode. Nun ist Borussia aber kein Familienbetrieb. Borussia war ein Unternehmen, das sich erst vor kurzem auf dem internationalen Markt in einer der härtesten und öffentlichsten Branchen überhaupt etablieren wollte. Offenbar ist das vorbei. Mit der Personalie Virkus macht der Verein der Welt deutlich, dass man sich das mit den Ambitionen anders überlegt hat.

Vielleicht ist es der Nach-Eberl-Schock. Man hatte einen Mann im Verein so stark werden lassen, dass dieser schalten und walten konnte, wie er mochte. Zu spät wurde deutlich, dass das ein Fehler war, der Geist ließ sich nicht zurück in die Flasche drängen und am Ende stand Borussia verlassen da und war sich ihrer selbst nicht mehr sicher. So etwas wird nicht noch einmal passieren, wenn man jetzt derart offensiv kleine Brötchen backt.

Wie klein die Brötchen sind, zeigt der Blick auf die Fakten: Borussia bringt im Nachwuchsbereich, gemessen an ihren Möglichkeiten, nicht viel zustande. Das ist kein aktuelles sondern ein dauerhaftes Phänomen. Die Durchlässigkeit von den Jugendmannschaften zu den Profis ist mit gering noch wohlwollend beschrieben. Die Zahl der Spieler, die es wirklich aus der eigenen Jugend nach oben geschafft haben, ist äußerst überschaubar. Dazu kommt, dass so mancher sein Glück erst fand, als er Gladbach den Rücken kehrte. Max Eberl setzte derart offensichtlich auf den eigenen Nachwuchs, dass er junge Spieler für die Bundesligamannschaft lieber im Ausland oder bei anderen Ausbildungsbetrieben anwarb. Der eigene Nachwuchs speiste stattdessen Borussias U23. Eine Mannschaft, die in der viertklassigen Regionalliga eine konstante mittelmäßige Rolle spielt. Was also läge näher, als den Nachwuchsdirektor zum wichtigsten Mann im Verein zu befördern?

Beim Dachdeckerbetrieb Königs und Söhne: Nichts.

Bei einem ambitionierten Bundesligisten: Alles.

 

*In einer ersten Version des Textes hatte ich den Weggang von Max Eberl mit einem Adjektiv umschrieben, das viele kritisiert haben. In dem Artikel soll es aber gar nicht um Eberl gehen, sondern um die Entscheidung des Vorstandes für Roland Virkus als seinen Nachfolger. Damit der Fokus darauf gerichtet bleibt, habe ich den Einstieg angepasst.