Sage noch einer, man sei nicht lernfähig in Mönchengladbach. Entgegen allen Wahrscheinlichkeiten sprach nach dem Spiel weder Aushilfstrainer Christian Peintinger noch ein einziger der interviewten Spieler von umgestoßenen Böcken, gelösten Brüsten oder geplatzten Knoten. Das Wort „Trendwende“ war nicht zu hören, genausowenig wie das von einer „Serie“, die man jetzt zu starten gedenkt. Sie wussten ihn einzuordnen, diesen Sieg gegen Hertha BSC. Gegen eine Berliner Mannschaft, die vermutlich die schwächste war, die man in dieser Saison im Borussia-Park wird bewundern können.

Und trotzdem, obwohl Hertha spielerische und taktische Schwächen ohne Ende offenbarte und bei den Berlinern im Abstiegskampf nötige Tugenden wie Willen oder Kampfgeist nur sporadisch aufblinkten, war es ein Spiel, das an einigen Stellen durchaus hätte kippen können. Zunächst sahen die knapp 30.700 Zuschauerinnen und Zuschauer eine von Borussia souverän geführte erste Halbzeit, an deren Ende Marcus Thuram oder der Schiedsrichter für das 2:0 hätten sorgen müssen Thuram meinte, Berlins Schlussmann Lotka ausspielen zu müssen, statt einfach zu vollenden, die folgende Rettungsaktion von Kempf hätten Schiedsrichter Badstübner oder der VAR gerne monieren dürfen.

In der Pause hatte der damalige Hertha-Trainer Tayfun Korkut offenbar keine allzu motivierenden Worte gefunden, denn Berlin war nicht wirklich stärker. Umso erstaunlicher, dass Borussia das Spiel in der Anfangsviertelstunde zu entgleiten schien. Riesige Lücken klafften zwischen Defensive und Offensive, der Zugriff im Mittelfeld fehlte in dieser Phase komplett. Einmal holte sich der sehr engagierte Breel Embolo den Ball tief in der eigenen Hälfte, um überhaupt mal so etwas wie Entlastung zu schaffen. Auf der anderen Seite parierte Yann Sommer gewohnt stark einen Kopfball von Kempf. Berlin begann gerade wirklich Oberwasser zu bekommen – da fiel die vermeintliche Entscheidung auf der Gegenseite. Ein mächtiger Antritt von Thuram plus scharfen Zuspiels auf den in der Mitte wartenden Scally brachte Lotkaseidank nur einen Eckstoß. Den aber zirkelte Luca Netz geradezu unborussisch präzise an den Fünfmeterraum, wo der von der Hertha-Abwehr vergessene Ginter einköpfen konnte. War damit der sprichwörtliche Sack zu? Naja. Zwei große Chancen hatte Hertha noch, und Borussia wirkte nicht so stabil, dass man bei einem ersten Gegentor darauf hätte wetten wollen, dass die Defensive standhält. Das eben beschriebene Niemandsland im Mittelfeld aber, das sei positiv angemerkt, war wieder bevölkert, nachdem der offiziell nicht straf- aber auf jeden Fall auf die Bank versetzte Christoph Kramer für den verletzten Alassane Plea ins Spiel kam. Neuhaus rückte dafür weiter nach vorne. Auffällig: Hofmann und jetzt auch Plea fallen mit Muskelverletzungen aus, im Spiel wurden mit Netz und Koné zwei weitere Spieler ganz offensichtlich von Krämpfen geplagt. Und das in einem Spiel, in dem man zu keinem Zeitpunkt den Eindruck hatte, die Spieler müssten ans Limit ihrer Kräfte gehen.

So groß die Erleichterung über drei gewonnene Punkte ist, so wenig kann der Sieg gegen Hertha als Wegweiser für die kommenden Wochen dienen. Um eine derartige Kombination aus Unzulänglichkeit und Verunsicherung, wie die Berliner sie zeigten, noch einmal zu sehen, muss Borussia schon in den Spiegel schauen. Anderswo wird sie nicht zu finden sein. Ja, die Abwehr stand besser als zuletzt – in Dreierketten-Formation wohlgemerkt. Aber ein gutes Spiel lieferte die Mannschaft trotzdem nicht. Wirklich positiv ist, und das ist nicht sarkastisch gemeint, dass das nach dem Schlusspfiff auch niemand laut behauptete.

Dabei hatte Borussia erst vor dem Spiel – aber nach dem Erscheinen der SEITENWAHL-Vorschau – ein bemerkenswertes Exempel für Realitätsleugnung und Beschwichtigungsrhetorik geliefert. Über die Spieltags-Pressekonferenz der Herren Virkus und "Peinti" ist andernorts alles gesagt worden. Die (zugegeben nicht ganz unwitzige) Boulevard-Schlagzeile vor dem Spiel lautete wegen der vermeintlich prekären Situation beider Trainer „Der Entlassico“, man hätte nach dem Auftritt des auf eine wenig sympathische Weise unbedarft wirkenden Gespanns auch „Borussia Cringengladbach“ texten können. Belassen wir es bei der Erkenntnis: Unser Verein macht sich mit seiner früher schon fast antiseptisch professionellen Außendarstellung zurzeit bundesweit zum Gespött vieler Menschen, die sich für Fußball interessieren.

Zurück in die Zukunft: Mit Alassane Plea fällt der beste Feldspieler der vergangenen Partien erst einmal verletzungsbedingt aus. Dafür sind Lars Stindl und Stefan Lainer wieder dabei. Womöglich können die beiden Routiniers etwas zur Stabilisierung beitragen. Jordan Beyer machte seine Sache nach Zwangspause gut. Zudem kehrt Ramy Benesbaini nach abgesessener Gelbsperre zurück. Ob das ausreicht, um beim VfL Bochum zu bestehen? Der hat eine Mannschaft, die zwar auf dem Papier nur mäßig besetzt ist, die aber vieles von aufweist, was Hertha BSC fehlte und was Borussia in dieser Saison auch nur sporadisch zu bieten hat. Aber das ist eine andere Geschichte, und soll ein andermal erzählt werden.