Wer sich nur im Kreis dreht, der wird nie ein Ende finden, so sagt man. Borussia dreht sich schon eine ganze Weile im Kreis und wiederholt ihre Fehler mit bemerkenswerter Regelmäßigkeit. Dennoch hat am vergangenen Samstagabend zumindest diese bemerkenswerte Bundesliga-Saison 2021/22 ihr für Borussia passendes Ende gefunden.

OK, es werden noch ein paar weitere Partien auszutragen sein und rechnerisch ist der Verein noch nicht einmal vor dem Abstieg sicher. Aber das sind Formalitäten. Nach dem Auftreten der Mannschaft am vergangenen Samstag zu urteilen scheint diese das sehr ähnlich zu bewerten. Die erneut demütigende Derbyschmach hat zudem endgültig besiegelt, dass diese Spielzeit als eine der schwärzesten in die Borussen-Historie eingehen wird.

Eine schwache Saison, in der die Mannschaft einmal nicht in der oberen Tabellenhälfte landet, ist für sich gesehen kein Drama. Schwerer wiegt die Perspektivlosigkeit, die entgegen der Einschätzung des neuen Sportdirektors größten Anlass zur Sorge bietet.

Dies hat nicht unwesentlich mit dem Ende seines Vorgängers zu tun. Leider vermochte es dieser nicht, seinem Nachfolger einen geordneten Übergang mit einem funktionstüchtigem Mannschaftsgebilde zu übergeben. Ganz im Gegenteil: Die persönlichen Probleme im Leben des Max Eberl und die damit verbundene Überforderung verursachten in den letzten beiden Jahren eine von ihm zuvor unbekannte Fülle an Fehlentscheidungen. Dies spiegelt sich zum einen in einem Kader wider, der seit langem einer dringenden Renovierung bedurfte. Zum anderen in den Trainerentscheidungen, von denen sich letztlich nur Lucien Favre als uneingeschränkter Erfolg entpuppte.

Die Entscheidung, den soliden, aber biederen Dieter Hecking durch den angesagtesten Trainer des Landes zu ersetzen, schien aus damaliger Sicht nachvollziehbar. Eberl wollte nach zig Jahren seines Einstelligkeits-Mantras endlich den nächsten Schritt gehen und Borussia bereit machen für etwas Blechernes. Nach einem erfolgreichen ersten Jahr entpuppte sich der Übungsleiter in Jahr zwei aber auf mehrfache Weise als ungeeignet. Ihn nach Verkündung seines Abgangs noch mehrere Monate weiter durchzuziehen, war dann ebenso verheerend wie die Wahl seines Nachfolgers.

Auch diese schien aus damaliger Sicht zwar plausibel: Ein Trainer, der auf all seinen Stationen bisher erfolgreich gewesen war und zuletzt die Frankfurter Eintracht mit beeindruckendem Offensivfußball wiedererweckt hatte. Warum für so einen Erfolgsgaranten nicht eine Ablöse von 7,5 Mio. Euro ausgeben, mag sich nicht nur Eberl damals gefragt haben.

Aus heutiger Sicht mutet diese Summe irrsinnig an, denn Adi Hütter entpuppt sich mehr und mehr als riesengroßes und teures Missverständnis. Es ist immer leicht, die Schwierigkeiten eines Vereins auf einzelne Personen zu projizieren. Die Wirklichkeit ist i. d. R. komplexer und vielschichtiger. So ist es auch mit Borussia 2022, an deren Versagen weit mehr als nur eine Person hängt.

Die privaten Dämonen des Max Eberl wurden schon benannt. Und natürlich darf auch das spielende Personal nicht aus der Verantwortung genommen werden: Es ist ein Armutszeugnis für so manchen Möchtegern-Führungsspieler, wenn es ausgerechnet der junge Manu Koné ist, der in diesen Tagen mit seinem Auftreten auf und neben dem Platz am ehesten Leaderqualitäten nachweist.

Hauptverantwortlich für die Performance auf dem Platz ist aber nun einmal der Mann an der Seitenlinie. Selbst wenn der Kader bei weitem nicht mehr so homogen aufgestellt ist wie noch vor einigen Jahren, verfügt er über hohe individuelle Qualitäten. Früher wurde Borussia dafür gerühmt, dass sie als Mannschaft weit besser funktionierte als die Summe ihrer Einzelteile. Dies hat sich inzwischen vollständig ins Gegenteil umgedreht.

In Spielen gegen limitierte Gegner reicht die individuelle Qualität von Einzelkönnern, wie insbesondere Sommer, Plea oder Hofmann, um die nötigen Punkte für den Klassenerhalt zusammenzukratzen. Selbst in den erfolgreichen letzten Wochen war aber deutlich zu erkennen, dass sich Borussia die zehn Punkte aus vier Spielen nicht wirklich aufgrund einer geschlossenen Mannschaftsleistung verdiente. Die Leistung gegen den 1. FC Köln war vermutlich gar nicht so viel schlechter als jene gegen Mainz oder Berlin. Die Mannschaft ging in Ansätzen durchaus bemüht zu Werke und spielte ihr übliches Spiel. Sie traf an diesem Abend nur auf einen Gegner, der wirklich geil auf den Derbysieg war und mit bedingungslosem Willen und Leidenschaft das geringere individuelle Talent überkompensierte.

Borussia ist von solch einer Einstellung meilenweit entfernt und spielt seit Monaten denselben uninspirierten Fußball. Sie lässt keinerlei Spielstil erkennen, der den Qualitäten ihrer Einzelspieler gerecht wird. Lucien Favre zeichnete sich einst dadurch aus, dass er beinahe jeden seiner Spieler besser machte. Diese waren noch Jahre später von seiner Akribie begeistert, mit der er ihnen marginalste Fußstellungen beibrachte, durch die sich ihr Spiel nachhaltig optimieren ließ. Bei Adi Hütter hat man nicht den Eindruck, dass er irgendwen entscheidend verbessert habe. Stattdessen wirken zahlreiche Leistungsträger der Vergangenheit zutiefst verunsichert ob der ungewohnten Spielweise, die ihnen zugemutet wird.

Embolo, Plea und Thuram sind allesamt hoch veranlage Stürmer, aber eben keine Büffelherde mit den gleichen Qualitäten wie Rebic, Jovic und Haller. Stevie Lainer kann einer Mannschaft mit seiner Kampfkraft und Kondition enorm guttun. Er kann mit seiner spielerischen Limitiertheit aber auch großen Schaden anrichten, wenn er auf der rechten Seite weitgehend alleingelassen und überfordert wird.

Ohne Zweifel ist der aktuelle Kader alles andere als optimal zusammengestellt und die ursprüngliche Planung sah vor, ihm noch mindestens 2-3 weitere Spieler hinzuzufügen. Dies wurde durch eine Verkettung unglücklicher Umstände und die fehlenden Einnahmen aus den geplanten Transfers von Zakaria und/oder Thuram zunichte gemacht. So ärgerlich das für Hütter und seine Spielidee gewesen sein mag: Es entschuldigt maximal den holprigen Saisonstart, kann aber an Spieltag 30 schon lange nicht mehr als Erklärung herhalten. Von einem guten Trainer darf erwartet werden, dass er sich solchen Umständen anpasst und aus den gegebenen Möglichkeiten das Maximum herauszuholen versucht. Ein Lerneffekt ist bei Hütter aber auch nach über 30 Pflichtspielen nicht zu erkennen.

Es ist zu allererst ihm anzulasten, wenn zurecht konstatiert wird, dass der Gegner – mal wieder – taktisch besser aufgestellt war und dass die Mannschaft – mal wieder – auf neue Spielsituationen nicht zu reagieren imstande war. Dass die Mannschaft sehr oft in der zweiten Halbzeit einbricht und trotz Einfachbelastung konditionelle Mängel offenbart, spricht ebenfalls nicht für Hütter.

Dieser Trainer passt ganz offensichtlich nicht zu dieser Mannschaft und höchstwahrscheinlich auch nicht zu diesem Verein. Borussia wird sich bei der bevorstehenden Saisonanalyse genau überlegen müssen, welche Konsequenzen sie daraus zieht. Im Grunde bleiben ihr nur zwei mögliche Entscheidungen:

Sie kann dem bislang so erfolglosen Trainer bedingungslos vertrauen und ihm beim ohnehin unumgänglichen Umbruch eine Mannschaft zusammenstellen, die vollständig auf ihn und sein bevorzugtes Spielsystem ausgerichtet ist. Konsequenz: Borussia müsste dafür den ihr so heiligen Weg der Leitplanken verlassen, denn es war nie Teil der jüngeren Fohlenphilosophie, den Verein vollständig auf die Vorstellungen eines Trainers auszurichten. Es wäre geradezu absurd, dies für einen Trainer zu tun, der sich bislang bei Borussia noch keinerlei Kredit erarbeitet hat und an dem ob seiner Entscheidungen der letzten Monate auch im Verein selbst Zweifel bestehen.

Von daher kann es spätestens zu Saisonende nur die Konsequenz geben, dass der Verein die zweite Entscheidungsmöglichkeit wählt. Die kommenden Wochen sollten genutzt werden, ein gezieltes Scouting auf der Trainerposition zu betreiben, das hoffentlich anders angegangen wird als zuletzt die Suche nach dem Sportdirektor. Interne Lösungen bieten sich nun wirklich nicht an, auch wenn Heiko Vogel bei der U23 zuletzt ähnlich erfolgreich agierte wie Roland Virkus in den vergangenen Jahren als Verantwortlicher für Borussias Jugendarbeit.

Ein ungeeigneter Trainer, ein unerfahrener und im alten Job chronisch erfolgloser Sportdirektor, eine überalterte und starre Führungsriege, ein völlig falsch zusammengestellter Kader, der zum Saisonende in sich zusammenbrechen wird. Es gibt derzeit wenig, was Hoffnung macht auf eine erfolgreiche Saison 2022/23. Die Stimmungslage erinnert eher an das Jahr 1998, als Borussia ebenfalls über qualitativ hochwertige Einzelspieler verfügte, die sich am Ende nur mit Mühe vor dem Abstieg retten konnten. Mit Effenberg, Hochstätter und Kastenmaier verließen einstige Leistungsträger den Verein. Der Umbruch wurde eingeleitet mit Transfers von Spielern wie Markus Reiter, Markus Feldhoff, Matthias Hagner, Toni Polster und einem gewissen Max Eberl. Man muss kein großer Kenner der Vereinshistorie sein, um zu wissen, welchen Ausgang dies in der kommenden Saison genommen hat.

Im Jahr 2022 steht Borussia erneut vor einer solchen Zäsur. Hoffnung bereitet einzig, dass die Scouting-Riege um Steffen Korell ein glücklicheres Händchen haben wird als Rolf Rüßmann und seine Crew damals. Dies allein wird aber nicht reichen, denn für eine Rückkehr auf einen erfolgreicheren Weg muss sich Grundlegendes ändern. Borussia benötigt einen Trainer, der das Optimum aus seinen Spielern herausholt, sie fördert und fordert und zu einer geschlossenen Mannschaftsleistung anspornt. Borussia muss mehr Freiburg, Union oder Mainz sein als Schalke oder Hamburg. Das wird mit einem bequemen „Weiter so“ nicht zu erreichen sein und es ist wenig hilfreich, wenn kritische Stimmen in und um den Verein als lästige Störungen der heilen Borussen-Welt abgekanzelt werden. Wenn z. B. verdiente und intelligente Spieler wie Christoph Kramer auf Missstände aufmerksam machen, sollten sie ernstgenommen werden, anstatt sie wochenlang mit einem Bankplatz abzustrafen.

Der Verein und auch seine Fans werden sich damit abfinden müssen, dass die goldenen Jahre vorbei sind. Zur neuen Saison wird sich ein neuer Weg finden müssen, der den seit Jahren erkennbaren Abwärtstrend stoppt und umgekehrt. Dafür bedarf es nicht nur auf der Trainerposition Änderungen. Wenn sich der Verein stattdessen weiter im Kreis dreht und glaubt, er könne mit alten Rezepten alte Zeiten heraufbeschwören, dann könnte demnächst ein noch viel bittereres Ende drohen als in dieser Saison mit all ihren 0:6-Pleiten und schmachvollen Derbyniederlagen.