KölnLars Stindl schlug entsetzt die Hände zusammen. Wie so oft in dieser Partie war Oscar Wendt weit aufgerückt, hatte Stindl bedient und war hoffnungsfroh Richtung gegnerische Grundlinie vorgestoßen. Stindl aber vertändelte den Ball. Dem schnellen Kölner Gegenstoß über Borussias linke Abwehrseite bot sich dort gähnende Leere. Es war Mo Dahoud, der dem Spuk ein Ende setzen sollte. Aufmerksam war der Torschütze des Tages für Wendt eingesprungen, hatte die Lücke geschlossen und unterband den Kölner Angriff mit energischem Körpereinsatz.

Es war eine unspektakuläre Szene, aber in ihr kristallisierte sich viel von dem, was eine Stunde lang typisch war für Borussias erfolgreiches Spiel. Erstens, trotz der (nicht grundlos) geharnischten Kritik, die zuletzt an der taktischen Ausrichtung der Schubert-Elf laut geworden war, wich diese vom Mut zum Risiko nicht prinzipiell ab. Das galt besonders für beide Außenverteidiger, die oft sehr hoch standen, die immer wieder den Weg weit nach vorne suchten und oft selbst bei stockenden Angriffswellen vorne blieben, um auf den zweiten Ball zu lauern. Zweitens, als logische Konsequenz dieser Spielweise ergaben sich ab und an Räume für Tempogegenstöße des Gegners.

Drittens, und hier lag einer der zentralen Unterschiede etwa zur Niederlage in Hamburg, diese Räume ergaben sich nur selten: Borussias Spiel behielt eine gute Prise Risiko, aber es war klüger dosiert. Öfter als in anderen Partien variierten die Gladbacher das Tempo und entschieden situativ zwischen dem explosiven Spiel nach vorn und der beruhigenden Ballzirkulation. Auch Granit Xhaka agierte zwar noch nicht wieder in glanzvoller Form und leistete sich gleich mehrfach ungewohnte technische Unzulänglichkeiten. Auf überhebliche Harakiri-Dribblings im eigenen Strafraum wie in Hamburg verzichtete der Schweizer diesmal aber.

Viertens, und auch das ist ein wesentlicher Unterschied, dort wo ein Offensivvorstoß nebst Ballverlust doch einmal Lücken in die eigene defensive Ordnung riss, sprangen die Borussen einander mit einer Konsequenz zur Seite, wie man sie zuletzt schmerzlich vermisst hatte. In dieser 18. Minute war es Dahoud, der für Wendt absicherte. In anderen Szenen rettete Wendt seinerseits für Nordtveit oder Xhaka für Dahoud. Besonders eindrucksvoll auch die rechte Seite, wo Elvedi als Zweikämpfer wie Offensivantreiber seine bis dato stärkste Partie im Borussendress zeigte. Sondern wo auch Hazard die Kölner Abwehr immer wieder beschäftigte und sich zugleich als Balleroberer ganz bemerkenswert fleißig und durchsetzungsstark präsentierte. In dieser Fassung ist der Belgier ein großer Gewinn das Gladbacher Team.

Es war also vieles gut im Borussenspiel und dies gut eine Stunde lang. Einzig den fahrlässigen Umgang mit den zahlreichen vielversprechenden Angriffen musste man der Schubert-Elf ankreiden. Bei mehr Effektivität im Ausspielen solcher Szenen hätte Max Eberl hinterher Grund gehabt, ganz ernsthaft von einem „auch in dieser Höhe“ verdienten Sieg zu sprechen. So tat er es mit ironischem Unterton.

Und mit erleichtertem. Denn sein Team hatte den Nerven ihres Sportdirektors am Ende doch sehr viel mehr zugemutet, als man nach einer Stunde hatte erwarten können. Ob es nachlassende Kräfte waren, ob man sich von der eigenen Überlegenheit doch hatte einlullen lassen oder man von den taktischen Umstellungen der Gäste überrascht war, in der letzten halben Stunde drohte die schon scheinbar souverän gewonnene Partie zu kippen. Die Borussen wurden fahrig, dass Passspiel immer hektischer und ungenau, immer mehr Lücken taten sich auf und wurden immer zögerlicher geschlossen. Hätte Yann Sommer nicht einen starken Tag erwischt, man hätte hinterher nur im wehmütigen Konjunktiv davon gesprochen, wie befreiend ein Derbysieg ist und dass es nun eine Serie zu starten galt. In solchen Phasen fällt auf, wie sehr dem Kader eine defensive Mittelfeldoption der Kategorie Galasek, Nielsen oder auch nur Marx fehlt. Kein hochkarätiger, aber unfertiges Talent, das man in geschäftstüchtiger Fohlentradition in vier Jahren teuer nach England zu veräußern gedenkt. Sondern ein erfahrener, besonnener defensiver Mittelfeldstabilisator, der in solchen Phasen, und sei es als Einwechselspieler, eine aus den Fugen geratene Partie beruhigen und wieder in geordnete Bahnen bewegen könnte. Kein Zeremonienmeister des Spektakels also, aber einer jener immens wichtigen Stabilisatoren, die in ihren Reihen zu haben der Balance eines jeden Teams gut tut.

Ein solcher fehlt der Borussia. Und weil das so ist und solange das Team die Souveranität der ersten Stunde des Derbys nicht über neunzig Minuten durchhält, gibt es nur zwei Wege zum Sieg: Entweder die Gladbacher schießen sich während der souveränen Phase der Partie schon so uneinholbar in Front, dass spätere Gegentore nur noch ärgerliche Ergebniskorrektur sind. So war es in der Hinrunde beim 4:2 gegen Augsburg, dem Gegner des kommenden Wochenendes. Oder sie muss den Abpfiff herbeizittern. So war es am Samstag.