Der zweite Sieg in Folge nach zuvor fünf Niederlagen lässt Borussia Mönchengladbach tief durchatmen. Der Schock, den Favres Rücktritt ausgelöst hat, sitzt immer noch im Verein, die Erfolge im Tagesgeschäft entfalten aber eine beruhigende Wirkung. Und nachdem man sich vergewissern konnte, dass doch noch etwas von der letzten Saison in der Mannschaft steckt, kann die Aufgabe gegen Manchester City jetzt mutig angegangen werden.

Trotz der beiden Erfolge scheint es aber ausgeschlossen zu sein, dass die Borussen zu dem Stil zurückfinden, mit denen Lucien Favre dem Verein die erfolgreichsten Jahre seit langem bescherte. Auch mit ihm war vom flüssigen Kurzpassspiel mit seinen Positionswechseln und verwirrenden Kombination nicht mehr viel zu sehen gewesen; ohne ihn wird das kaum mehr zurückkehren. Das Team ist im Umbruch und wartet auf einen neuen Trainer, der die Richtung vorgibt. Immerhin scheinen die Spieler kurzfristig besser dran zu sein, wenn sie auf eine uninspirierte Systemspielweise verzichten und sich auf individuelle Stärken besinnen dürfen.


Denn mit System hatte der Sieg in Stuttgart nur gelegentlich etwas zu tun, ausschlaggebend waren Einsatz und Siegeswillen. Wie schon gegen Augsburg hatten die Borussen ihre fußballerischen Momente in der ersten Halbzeit, vor allem nach dem 2:0, als die Hausherren eine Zeit lang von der Rolle waren. Aber statt einer beruhigenderen Führung sahen sich die Gladbacher nach dem Gegentor wild anrennenden Stuttgartern gegenüber, die Borussias skandinavische Abwehr ein ums andere mal durchlöcherten.


Es ist sicher richtig, den Sieg angesichts der Stuttgarter Chancen in der zweiten Hälfte als glücklich einzustufen. Für ein objektives Gesamtbild darf man aber auch die positiven Seiten mitnehmen, die aufopferungsvoll geführten Zweikämpfe und den leidenschaftlichen Kampfgeist. Beides war in dieser ungemein intensiven, kampfbetonten und schnellen Partie überdurchschnittlich nötig. Diese Partie, die keine ruhigen Phasen kannte, heil zu übersehen erforderte mehr als Glück und wenn das Ergebnis schon kein Kompliment an die Spielweise ist, dann auf jeden Fall an Einsatzwillen und mannschaftliche Geschlossenheit.

Angesichts der ständig wechselnden Aufstellungen stellen sich viele Fragen zur optimalen Besetzung und dem besten System. Greifen wir zwei Punkte heraus: Die Einsätze von Mo Dahoud auf der 6er Position darf man als gut gelungen bewerten. Ein 19jähriger, der in einer so schwierigen Lage auf dieser taktisch anspruchsvollen Position zum Einsatz kommt und seine Sache bei zwei Siegen so gut macht, darf sich selber gratulieren. Dahouds Technik, Beweglichkeit und Spielfreude sind ein Genuss. Gleichzeitig sind das Begabungen, die normalerweise bei offensiveren Positionen zur Geltung kommen. Dahoud kann sich auch in defensiven Zweikämpfen behaupten; bei einem defensiven Mittelfeldspieler kommt es auf diesem Niveau aber auch darauf an, zur richtigen Zeit am Brennpunkt zu sein, Löcher zuzulaufen bevor sie kritisch werden. Um dahin zu kommen, sind Anleitung und Erfahrung nötig, vielleicht über einige Jahre.


Daher wurde Dahoud auch in der zweiten Halbzeit ausgewechselt, als er sich im Mittelfeld nicht mehr richtig behaupten konnte. Auch wenn er mit Sicherheit wieder auf dieser Position zu sehen sein wird, stellt sich die Frage, ob das gegen Manchester City und Wolfsburg auch der Fall sein wird. Dabei wäre gerade das Spiel in der Champions League eine Erfahrung, an der der junge Spieler wachsen kann. Mehr zu verlieren als in den letzten beiden Spielen der Bundesliga gibt es jedenfalls nicht.

Eine andere Frage ist die Aufstellung im Sturm. Wie schon unter Favre hat Josip Drmic auch unter Schubert weiter keinen Platz in der Startelf. Damit ist auch das Spiel mit einer "echten" Sturmspitze bei Borussia weiter nicht zu sehen. Was nichts schlechtes sein muss, wie man in den vergangenen zwei Jahren sehen konnte, als Kruse und Raffael abwechselnd auf dem Mittelfeld in den Strafraum gingen. Aber auch da hat das stürmerlose Angriffsspiel nicht immer problemlos funktioniert und endete in mangelnder Präsenz vorm gegnerischen Tor.

Der Einsatz von Stindl für Kruse führt dieses System fort. Genauer könnte man sagen, Raffael ersetzt Kruse und ist nun stärker in einer Stürmerposition zu sehen und Stindl gibt den Raffael von letztem Jahr, als torgefährlicher 10er. Dabei geht es nicht unbedingt nur um fußballerische Qualitäten.  Möglicherweise schätzen Trainer auch die Präsenz eines Spielers auf dem Feld, der sein unterlegenes Team letztes Jahr als Anführer und bester Spieler in der Liga gehalten hat. Sollte sich diese Offensiv-Variante durchsetzen, hätte Borussia allerdings nach Luuk de Jong einen weiteren Luxusersatzspieler geholt.

Immerhin geht es nun mit besserer Laune an die Aufgabe gegen Manchester City. Der Tabellenzweite der Premier League erlebt seine Saison spiegelbildlich zur Borussia: Die zweite Liganiederlage in Folge sowie eine in der Champions League nach zuvor fünf Siegen lassen auch die Engländer kräftig durchatmen. Allerdings geht es hier um andere Probleme, die Schwächephase hat bisher nur den Verlust der Tabellenführung zur Folge gehabt.

Dennoch erinnern die Pleiten die scheichfinanzierten Citizens daran, dass der Einsatz von (sehr) viel Geld nicht automatisch sehr viel Erfolg mit sich bringt. Nicht dass es daran zuletzt stark gemangelt hätte. In den letzten vier Spielzeiten wurde der Verein zwei mal Meister und zwei mal Vizemeister. Aber in der geldüberfluteten Welt der Premier League müssen schon die Spitzensummen des Transfermarktes gezahlt werden, wenn man oben sein und bleiben will. Und dazu ist die "City Football Group" aus Abu Dhabi durchaus bereit. Nicht nur Kevin de Bruyne schloß sich dem Verein für kolportierte 70 Millionen Euro an, auch Raheem Sterling kam aus Liverpool für eine ähnliche Summe. Und für den Abwehrargentinier Otamendi waren ca. 30 Millionen Euro im Gespräch. Aber auch damit lassen sich gelegentliche Niederlagen offenbar nicht völlig wegkaufen.

Was man dafür bekommt, ist jedenfalls ein erstklassig besetzter Kader. Die Namen Sterling, de Bruyne, Yaya Touré, David Silva, Samir Nasri und Sergio Agüero stehen für eine Offensivabteilung, mit der man sich jedes Ziel setzen kann. In der Abwehr verfügt Trainer Pellegrini mit Vincent Kompany über einen der wenigen Innenverteidiger mit internationaler Klasse, die überhaupt verfügbar sind, dahinter steht Englands Nationaltorwart Joe Hart. Angesichts der individuellen Klasse im Kader spricht also alles dafür, dass die erfolgreichen Zeiten weiter andauern können.

Zumal die 1:4 Niederlage bei Tottenham sicher schmerzhaft war, aber auch durch selten abstruse Tore zustande kam und nicht unbedingt einen Rückschluss auf die wahre Stärke des Teams zulässt. Eher gibt die 1:2 Heimniederlage gegen Juventus Turin zu denken. Der italienische Meister ist alles andere als in Topform und konnte City dennoch überraschen, was sich mit der Beobachtung deckt, dass englische Clubs in der Champions League taktisch gelegentlich überfordert sind.

Ob Borussia City am Mittwoch gleichfalls überfordern kann, ist eine andere Sache. Angesichts des Kontrastes von individueller Klasse bei Agüero & Co einerseits sowie der nicht standfesten Borussendefensive andererseits muss man wohl prophezeihen, dass das eher nicht so kommen wird. Sei´s drum. Betrachten wir die Champions League weniger als sportlichen Maßstab denn als einmaliges Abenteuer, bevor wir sie wieder Scheichs, Oligarchen, Autoschwindlern, Bayern und den anderen Sympathen überlassen. Borussia Mönchengladbach hat jetzt andere Sorgen.

Aufstellungen:

Borussia: Sommer - Korb, Dominguez, Christensen, Wendt; Xhaka, Dahoud; Herrmann, Stindl, Raffael, Johnson

Manchester City: Hart - Sagna, Kompany, Demichelis, Kolarov; Fernando, Fernandinho; Sterling, Touré, de Bruyne; Agüero

SEITENWAHL-Tipps:

Christoph Clausen: Borussia ist im Aufwärtstrend, in Stuttgart aber auch mit mehr als dem sprichwörtlichen Quäntchen Glück im Bunde. Ein Gegner wie Manchester nutzt trotz aller eigenen Unpässlichkeiten die Anfälligkeiten in der Gladbacher Defensive effektiver aus und gewinnt mit 2:1.

Christian Spoo: Noch vor Wochenfrist war die Aussicht auf einen imaginierten Abend mit Helene-Fischer-Dauerbeschallung und regelmäßigen Tritten ins Gemächt verheißungsvoller als die auf das Spiel Borussias gegen die Scheichtruppe aus Manchester. Jetzt ist alles anders: ich freu mich auf Mittwoch und werde auch nach der 2:3-Niederlage guten Mutes aus dem Stadion gehen.

Thomas Häcki: Respekt vor dem Comeback! Zwei Siegen zum Trotz sind aber die defensiven Unsicherheiten immer noch eklatant. Der englische Club aus dem Orient verfügt über zuviel Qualität, um dies nicht nutzen zu können. 2:4 endet die unterhaltsame Lehrstunde.

Michael Heinen: Borussia zahlt im der Champions League bitteres Lehrgeld. Trotz einer guten, engagierten Leistung geht die Partie gegen den abgezockteren Gast mit 1:2 verloren.

Christian Heimanns: Wer den Angriff aus Manchester und die Abwehr der Borussen vergleicht, möchte UNO Truppen zur Rettung anfordern. Wenn ich jetzt noch eins tun kann, dann verhindern, dass die gesamte SEITENWAHL-Redaktion beim ersten Heimspiel in der Champions League auf Niederlage setzt. Wohlan: Der überraschende Ausgleich zum 2:2 in der Nachspielzeit beschert den Borussen einen Punkt, mit dem fast keiner gerechnet hätte.