Als ich gefragt wurde, ob ich Lust hätte, für Seitenwahl den Spielbericht Hertha-Borussia zu übernehmen, fühlte ich mich natürlich gebauchpinselt (und ja, da gibt’s ne Menge zu pinseln!) aber andererseits ein wenig mulmig. Es war doch gerade erst 40 Jahre her, dass schon mal eine Riesenserie der  Borussia im  Berliner Olympiastadion endete. Am 19. April 1975 war der VFL mit 17 ungeschlagenen Spielen als Spitzenreiter bei der Hertha zu Besuch, aber trotz Stielikes Führung gab es durch 2 Tore Kurt Müllers für das Team Georg Kesslers die erste Niederlage seit dem 18. Oktober 1974 (ein 3:4 in Offenbach, das waren noch Zeiten!). Ein halbes Jahr sind im Leben eines Grundschülers eine endlose Zeit, so dass mich diese urplötzlich Niederlage, auch wenn sie die souveräne Meisterschaft kaum gefährdete, doch tief erschütterte. Seitdem sind mir Auswärtsspiele in Berlin leicht suspekt, zuweilen mit Grund (man denke an das 0:6 unter Advocaat), aber in den letzten Jahren eher aus purem Aberglauben.

Die Aufstellung der Borussia gab zunächst einmal Grund zum Optimismus. Abgesehen vom Fehlen des zuletzt so starken Korbs, der durch Nordveit auf der rechten Aussenverteidigerposition ersetzt wurde, brachte Andre Schubert die Elf, die in den letzten Wochen so überragt hatte, d.h.  Dahoud, Raffael, Johnson und Dominguez waren zurück im Team. Die Elf vom Niederrhein war von Beginn an das dominante Team. Die Berliner überließen dem Gast, abgesehen von einer Ecke nach 5 Minuten, die Kalou ohne Druck in die Arme Sommers köpfte, die Initiative und warteten auf Konter. Es ist bezeichnend und für manchen über viele düstere Jahre traumatisierten Gladbach-Fan immer noch gewöhnungsbedürftig, dass der Tabellen-Fünfte der Liga in einem Heimspiel gegen unser Team zunächst auf Nummer Sicher geht und sich hinten reinstellt. So groß ist der Respekt vor der Fohlenelf mittlerweile. Die Borussia zeigte, dass dieser Respekt auch gerechtfertigt ist und ließ den Ball wie gewohnt gut laufen, abermals organisiert durch die Schaltzentrale Xhaka-Dahoud auf der Doppel-Sechs. Außer einer Halbchance von Stindl in der 12. Minute und einem eher harmlosen Schuss Raffaels von der Strafraumgrenze in der 18. Minute gab es aber keine klaren Chancen für die Fohlenelf. Hertha andererseits kam nur ein einziges Mal auf der rechten Seite bei einem Konter durch, doch die folgende Flanke konnte Kalou nicht aufs Tor platzieren.

Trotz des Chancenmangels hatte man schon in dieser Frühphase das Gefühl, dass Borussia nur einmal richtig durch die anfangs gut organisierte Berliner Abwehr durchkombinieren müsse, damit es klingeln würde und genau so kam es auch: In der 26. Minute spielte Xhaka einen schönen, harten Flachpass auf Johnson, der damit im Strafraum der Berliner in aussichtsreiche Position kam. Der US-Nationalspieler schien den Ball schon fast verstolpert zu haben, konnte aber noch Wendt einsetzen, der von links angerauscht kam und den Ball aus halblinker Position mit Wucht ins obere rechte Eck des Berliner Tores zimmerte. Nun war der Bann gebrochen: nur knapp 2 Minuten später nahm sich Raffael ein Herz und setzte zum Alleingang an. Er hatte Glück, dass der Ball von einem Berliner Bein wieder genau in seinen Laufweg zurückprallte und er so kurz vom dem Strafraum frei zum Schuss kam, den er wuchtig in den rechten Winkel von Jarsteins Tor versenkte.

Damit war das Spiel im Prinzip entschieden. Hertha wirkte geschockt und die Borussia beherrschte Ball und Gegner, auch wenn es keine ganz klare Chance mehr vor der Pause gab. Die Berliner mussten kurz vor dem Halbzeitpfiff dann auch noch erleben, dass Nordveit ihrem besten Angreifer Kalou unabsichtlich mit ziemlicher Wucht an den Kopf schoss; der Ivorer musste zur Halbzeit gegen Baumjohann ausgewechselt werden.

Nach der Halbzeit wirkten die Krapfenstädter zunächst bemüht die Spielkontrolle zu übernehmen, aber jegliche Hoffnung, das Spiel könne eine ernsthafte Wende erfahren, waren nach nur 8 Minuten in der zweiten Hälfte hinüber. Traoré wurde von Stindl schön in den Strafraum geschickt, schaffte es auf Grund seines hohen Tempos an Langkamp vorbeizukommen, gelangte dabei aber doch ziemlich in einen spitzen Winkel, so dass die höchste Gefahr für die Berliner schon vorüber schien, als Langkamp sich dafür entschied den Gladbacher Außenstürmer sicherheitshalber noch ein bisschen am Trikot zu zupfen. Es wird niemand erstaunen, dass Traore sofort zu Boden fiel und die Borussia einen Elfmeter erhielt. Diesen verwandelte Xhaka hart und trocken relativ zentral nach Neeskens-Manier zum 3:0. Damit war die Messe endgültig gelesen. In der 59. Minute hatten die Berliner noch mal eine Chance, als Weiser sich rechts schön durchgesetzt hatte und seine flache Hereingabe den Ex-Borussen Baumjohann am linken 5-Meter-Eck freistehend fand. Dieser zeigte jedoch, dass er seinen linken Fuß wohl im wesentlichen für das Besorgen alkoholischer Getränke benutzt und legte sich den Ball zunächst noch mal auf rechts. Zeit genug für Sommer sich zu positionieren und den anschließenden Schuss zu parieren. Auf der anderen Seite war Traoré 2 Minuten später zu eigensinnig und verdaddelte eine eigentlich sehr aussichtsreiche Kontersituation.

Danach verwaltete die Borussia souverän das Spiel, die zahlreichen Gladbach-Fans konnten sich in ihren Gesängen entspannt dem Erzrivalen aus der Dummstadt widmen. Trainer Schubert nutzte die klare Führung um Dahoud und Raffael zu schonen, für die Marvin Schulz und Thorgan Hazard ins Spiel kamen. Hazard war es dann auch der dem Spiel überraschend noch mal etwas Leben einhauchte, als er in der 81. Minute Baumjohann im Mönchengladbacher Strafraum sehr ungeschickt attackierte und den Berlinern damit einen Elfmeter schenkte, den der Gefoulte selbst klar verwandelte. Auch wenn Baumjohann kurz danach nochmals eine gute Schusschance hatte, war es für ein Comeback der Berliner jedoch zu spät und die Borussia einfach zu gut an diesem Tag, um so etwas zuzulassen. Im Gegenteil - in der Nachspielzeit passte Traore nochmals schön flach in den Strafraum, wo Schulz den Ball perfekt auf den heranstürmenden Nordveit abprallen ließ, der das Leder aus vollem Lauf mit dem rechten Fuß flach in die lange Ecke drosch. Dies war der Schlusspunkt unter eine aus Borussen-Sicht perfekt verlaufene Partie.

Insgesamt war es eine beeindruckende Vorstellung. Wenn nicht gar das beste Spiel der Ära Schubert, so war es mit Sicherheit das souveränste. Die heim- und defensiv-starke Hertha wurde auf eigenem Platz klar im Stile einer Spitzenmannschaft beherrscht. Die Borussia steht nun erstmals tabellarisch da, wo man sie vor Saisonbeginn erwartet hätte: mit einem fünften Platz und Kontakt auf die Champions-League-Plätze kann man zufrieden sein, zumal man nun gegen Ingolstadt und Hannover zwei „machbare“ Heimspiele vor sich hat. Andre Schubert hat dann die Gelegenheit Willi Entenmanns Rekord von 6 Startsiegen noch zu überbieten. Wie auch immer die Zukunft des Mannes mit dem grünen Kapuzenpulli aussieht, ist er bereits jetzt ein fester Teil der Borussen-Historie. Dieser Umschwung von der desolaten Truppe des Saisonbeginns zum augenblicklichen Spitzenteam kann sich jetzt schon als Legende irgendwo zwischen Favres Rettung 2011, Heynckes 10 Schlusssiegen 1987, Pfostenbruch und Büchsenwurf einreihen lassen.

Allzuviel Zeit haben die Borussen allerdings nicht sich über den eindrucksvollen Sieg zu freuen, denn schon am Dienstag kommt es zum Besuch der (anderen) alten Dame im Borussia-Park. Anders als in Dürrenmatts Theaterstück werden die Turiner aber nicht mit dubiosen Geschenken aufwarten, sondern versuchen mit einem Sieg die Qualifikation für die KO-Phase der Champions-League endgültig sicher zu stellen. Juventus versucht in der Serie A zur Zeit genau das zu tun, was Borussia bereits gelungen ist: einen verkorksten Saisonstart wieder auszubügeln. Der Last-Minute Derby-Sieg gegen den Stadtrivalen AC Turin durch das späte Tor Cuadrados am gestrigen Abend ist ein wichtiger Schritt dabei, auch wenn man auf dem 10. Tabellenplatz immer noch weit hinter den Erwartungen rangiert. Den deutschen Nationalspieler Sami Khedira werden die Gladbacher Zuschauer am Dienstag aller Voraussicht nach nicht auf dem Platz sehen. Der Neuzugang, der bereits in den ersten Spielen dieser Saison verletzungsbedingt fehlte und als Schaltzentrale im zentralen Mittelfeld schmerzlich vermisst wurde, musste früh im Spiel wegen muskulärer Probleme ausgetauscht werden. Allerdings wird Juventus auch ohne den Weltmeister eine hochkarätige Truppe aufzubieten haben und man sollte sich keineswegs vom mittelmäßigem Tabellenplatz der Norditaliener täuschen lassen: wie die Borussia im Hinspiel spürte, ist dies eine europäische Top-Mannschaft, gegen die der VFL am oberen Limit spielen muss um eine Chance zu haben. Im Hinspiel gelang dies zumindest defensiv; vor heimischen Publikum erhofft man sich für Dienstag etwas mehr Mut in der Offensive. In der momentanen Verfassung ist die Borussia zwar immer noch Außenseiter gegen den letztjährigen CL-Finalisten aber keineswegs chancenlos.

Borussia: Sommer - Korb, Christensen, Dominguez, Wendt - Traoré, Xhaka, Dahoud, Johnson - Stindl, Raffael 

Juventus: Buffon - Padoin, Barzagli, Bonucci, Evra - Pogba, Marchisio, Cuadrado, Hernanes - Dybala, Morata

Seitenwahl-Tipps

Claus-Dieter Mayer: Auch im vierten Anlauf kein CL-Sieg für Borussia, aber das 1:1 nach hochklassigem Spiel erhält immerhin die Chance auf Platz 3 in der Gruppe.

Michael Heinen: Die Champions League ist leider ein anderer Wettbewerb als die Bundesliga, und noch stärker an den Regeln der Großfinanz ausgerichtet. Am langen Ende setzen sich dort fast immer die Topklubs durch, wie Borussia bereits beim letzten Heimspiel bitter erfahren musste und weshalb es für Platz 2 nicht mehr reichen wird. In einer Partie ist aber alles möglich und es ist Zeit, dass Borussia jetzt auch in dieser europäischen Königsklasse ihre Spuren hinterlässt. Nachdem selbst Juventus mit 2:0 abgefertigt worden ist, kennt die Euphorie rund um den Borussia-Park überhaupt keine Grenzen mehr.

Christian Spoo: Borussia beißt sich an Juventus´ Defensive die Zähne aus. Hinten hält es, aber nicht ganz so gut wie in Turin. Durch die 0:1-Niederlage ist die Chance auf ein Überwintern im internationalen Geschäft auf ein Minimum gesunken.

Christian Heimanns: Das Selbstvertrauen der Borussen ist enorm, die Verteidigung von Juventus allerdings auch. Das 0:0 ist für die Borussia ein respektables Ergebnis.

Christoph Clausen: Es ist geschafft! Borussia belohnt sich für eine spielfreudige und engagierte Leistung und feiert den ersten Sieg in der Champions League. Gegen den Vorjahresfinalisten aus Turin siegen die Fohlen knapp, aber verdient mit 1:0.

Thomas Häcki: Juve zeigt seine Überlegenheit und kontert die Borussen gnadenlos aus. Das 1:3 ist aber kein Beinbruch.