Darmstadt 98Der Meister ist gekürt, die direkten Champions League-Plätze sind vergeben, nach menschlichem Ermessen auch die Hintertür in die Königsklasse. Die Europa League-Starter stehen fest, ein direkter Absteiger sicher, ein zweiter mit einiger Wahrscheinlichkeit. Nur in der Partie Frankfurt gegen Bremen steckt noch richtig Brisanz. Die beliebten Konferenzschaltungen könnten sich weitestgehend erübrigen. Kurz gesagt: Der Bundesliga steht ein entspannter Saisonabschluss bevor.

Das gilt auch für die Borussia. Eine höchst aufregende Saison klingt unaufgeregt aus. Damit vor noch vor wenigen Wochen kaum zu rechnen. Oder höchstens in der unerfreulichen Spielart: weil nämlich die Borussia die letzte Chance auf die Champions League verspielt hätte, die Konkurrenz uneinholbar enteilt wäre. Zu schwer schien die Auswärtstristesse zu wiegen: Wer in Ingolstadt und Hannover verliert, noch dazu auf solch deprimierende Weise, wie will der von Barcelona träumen, von Madrid oder Manchester? Zumal dann, wenn das Restprogramm ganz andere Kaliber bereit hielt als den Absteiger aus Hannover: neu belebte Hoffenheimer, meisterliche Bayern, formstarke Leverkusener. Und dann eine Reise zu – so musste man annehmen – mutigen Klassenkämpfern, die wild entschlossen sein würden, ihre letzte Chance mit beiden Fäusten fest zu packen. Die sich einer Spielweise bedienen würden, wie sie den Borussen gerade in der Fremde in dieser Saison so oft so sauer geschmeckt hatte. Alles keine Aussichten, die zu größerem Optimismus berechtigten.

Drei Wochen später aber hat Sepp Herberger mal wieder Recht behalten: Die Leute gehen zum Fußball, weil man vorher nicht weiß, wie es ausgehen wird. Die in dieser Saison so zweigesichtigen Borussen zeigten sich gegen Hoffenheim, Bayern und Leverkusen wieder von ihrer schokoladigsten Seite, während die Konkurrenz nur ein dünnes Stillstand-Süppchen zustande brachte. Und damit wäre schon vor dem Saisonfinale eine Platzierung erreicht, die man mindestens als kleine Meisterschaft bezeichnen darf. Man erinnere sich: fünf Niederlagen zu Saisonbeginn mit anschließender Trainerflucht. Wer zu diesem Zeitpunkt eine Saison vielleicht gar im Abstiegskampf befürchtete, musste sich keine übertriebene Schwarzseherei vorwerfen lassen.

Am Saisonende aber steht die sichere erneute Europacup-Teilnahme und vielleicht gar die Champions League. Weil die Entscheidung darüber aber erst nach der Sommerpause fällt, bleibt Zeit, sich den Abschieden zuzuwenden: Roel Brouwers geht, ein Mann, der wie kaum ein anderer im Kader alle Tiefen und Höhen der jüngeren Vereinsgeschichte mitgemacht hat und darin den treuen Fans besonders nahe ist – Zweitklassigkeit, Aufstieg, Konsolidierung, beinahe der erneute Absturz, Relegationskrimi mit Happy End, der Aufstieg zur Spitzenmannschaft, die Champions League. Roel war dabei und wird am Samstag hoffentlich wenigstens zu einem Kurzeinsatz kommen. Wir werden ihn vermissen. Ihn und Martin Stranzl, den lebenden Gegenentwurf zu Hans Meyers berühmtem Wort von jenen Fußballern, die unter Brücken schlafen müssten, wenn sie nicht kicken könnten. Stranzl war nicht nur Leistungsträger, er war und ist eine Persönlichkeit, auf die man als Gladbach-Fan stolz sein konnte, einer, der etwas zu sagen hatte, in mehr als einem Wortsinn.

Verlassen, die Anzeichen verdichten sich, wird die Borussia wohl auch Granit Xhaka. Arsenals Interesse ist offenbar lebhaft und die kolportierten Summen von einer Dimension, dass alles andere als eine Einigung eine Überraschung wäre. Dagegen stehen beim Trainer die Zeichen auf Kontinuität: Eberls letzte Äußerungen zu den nicht verstummenden Gerüchten um André Schubert waren von einer Eindeutigkeit, die ein Zurückrudern kaum noch erlauben würden.

Keine Gerüchte ranken sich um Schuberts samstägliches Pendant auf der anderen Trainerbank. Warum auch? Was Dirk Schuster mit Darmstadt 98 in dieser Spielzeit geleistet hat, kann kaum laut genug gepriesen werden. In Zeiten, in denen ein Konzern als Werbemaßnahme einen Fußballverein gründet, Namen und Logo des Konzerns nur geringfügig verschleiert in Namen und Wappen des Vereins unterbringt, sich mittels undemokratischer Vereinsstruktur volle Kontrolle sichert, den Verein mit riesigen Investitionen im Eiltempo in die Erstklassigkeit hievt und dafür deprimierenderweise selbst von der Qualitätspresse weitgehend unkritisch gefeiert wird, in solchen Zeiten also ist es ein Trost, dass es Darmstadt 98 gibt. Ein Traditionsverein (den Rangnicks und seines Geistes Brüdern schon fast ein Schimpfwort, für andere ein Ehrentitel) mausert sich mit einem Etat, den man in Leipzig nicht mal der Jugendabteilung zumuten würde, in Rekordzeit vom Fast-Absteiger aus der dritten Liga zum Erstligisten – und hält, allen Experten zum Trotz, die Klasse. Was in Darmstadt erreicht wurde, wird europaweit nur noch von der Meisterschaft von Leicester City getoppt.

So gesehen wäre den Darmstädtern ein Heimsieg zum Saisonausklang beinahe zu gönnen, zumal es ja auch für die Borussia nach vernünftigen Maßstäben um nichts mehr geht. Oder vielleicht doch: Ein Auswärtssieg zum Saisonende wäre nicht nur eine nette Abwechslung. Er würde einem in der neuen Spielzeit auch Presseberichte ersparen, die den Borussen die Anzahl der sieglosen Spiele in der Fremde vorrechnen. Eine kleine psychologische Hilfe also, und die nimmt man in einer ansonsten spannungsreduzierten Situation doch gerne mit.

Ohnehin betonten beide Trainer vor der Partie, dass man das Spiel trotz tabellarisch geklärter Verhältnisse sehr ernst zu nehmen gedenke und mit Macht einen Sieg anstrebe. Nun ja, was sollen sie auch anderes sagen. Wie viel Entschlossenheit auf dem Platz steht und wie viel freundlicher Sommerkick, wird der Samstag erweisen. Sicher ist, dass beide Teams kräftig umbauen müssen. Bei Darmstadt ist mit Sandro Wagner der treffsicherste Torschütze gesperrt, bei der Borussia Oscar Wendt. Verletzt fehlen auf Seiten der Gastgeber Torwart Mathenia und wahrscheinlich Innenverteidiger Rajkovic, bei den Gladbachern Schulz, Domiguez, Hinteregger und wohl auch Johnson und Stranzl. Der privat belastete Stindl darf aus Gründen der Fürsorge pausieren. Die dadurch erforderliche Rotation hat in Sachen Seelenpflege des Kaders Vorteile: Insbesondere Korb, Herr- und Hofmann dürften vernehmlich an den Ersatzbankketten rasseln.

Aufstellungen:

Darmstadt 98: Zaluska – Garics, Sulu, Caldirola, Holland – Niemeyer, Gondorf – Heller, Rausch – Vrancic, Stroh-Engel.

Borussia Mönchengladbach: Sommer – Korb, Christensen, Nordtveit – Xhaka, Dahoud – Hermann, Hofmann – Hazard, Raffael – Hahn.

Schiedsrichter: Peter Sippel.
Assistenten: Christian Leicher, Benjamin Cortus.
Vierter Offizieller: Robert Schröder.

SEITENWAHL-Meinung:

Christoph Clausen: Ach, was soll’s. Ein Auswärtssieg wäre ein passender Abschluss für eine unter dem Strich sehr erfolgreichen Saison. Also sei er getippt: Wackere Darmstädter verlangen der Borussia zwar vieles ab, müssen sich der größeren spielerischen Klasse des Champions League-Aspiranten aber am Ende doch geschlagen geben. Borussia siegt mit 2:1. Ja, auswärts.

Christian Spoo: Wer hätte gedacht, dass es im vermeintlichen Endspiel um Abstieg und Europa um nichts mehr geht? Entsprechend schwer ist es, vorherzusagen, was am Böllenfalltor passiert. Ich stochere im Nebel und prognostiziere ein freundschaftliches 2:2 zweier Mannschaften, denen man anmerkt, dass die Saison eigentlich jetzt vorbei ist.

Michael Heinen: Zum Saisonausklang gibt es tatsächlich noch einmal einen Auswärtssieg für die Fohlenelf. Nach hartem Kampf ist das 2:1 am langen Ende ein Stück weit glücklich.

Claus-Dieter Mayer: Da beide Mannschaften noch im Rennen um die goldene Ananas sind, gibt es ein unterhaltsames Spiel, das 3:3 endet, womit die Borussia ihre Auswärts(mi)serie in die nächste Saison nimmt.

Uwe Pirl: Am Samstag gewinnt die Mannschaft, die weniger gefeiert hat und bei der deshalb ein bisschen weniger die Luft raus ist. Das ist Borussia, weil das erneute Erreichen der Qualifikation zur Champions League deutlich weniger sensationell ist als der Klassenerhalt von Darmstadt 98. Wir gewinnen 2:0.