Sehen wir es positiv: Das 1:6 in Dortmund war das erste Spiel, nach dem bei Borussia niemand mehr einen Versuch des Schönredens oder Relativierens unternommen hat. Kein „eigentlich haben wir es bis zum 0:1 gut gemacht“, kein „wenn wir den machen, läuft das Spiel ganz anders“. Der Auftritt der Mannschaft war trotz extrem gut aufgelegter Dortmunder indiskutabel. Sicher zu stehen schafft das Team derzeit nicht, was Trainer Dieter Hecking vor dem Spiel schon ahnte und deswegen eine andere Taktik verordnete. Ballbesitz- und Angriffsfußball klappt aber auch nicht. Nun kommt mit Hannover 96 so etwas wie die Mannschaft der Stunde in den Borussia-Park. Gegen den noch ungeschlagenen Aufsteiger muss sich Borussia sichtbar anders präsentieren, sonst wird es zweifelsohne unruhig in Gladbach.

Dass es in Hannover lange Gesichter gibt, weil der Aufsteiger gegen einen Europapokal-Teilnehmer 0:0 spielt, zeigt, wie selbstbewusst der gute Saisonstart die kindgeplagte Anhängerschaft gemacht hat. Gegen den 1.FC Köln tat sich das Team am vergangenen Sonntag etwas schwer, hatte aber auch Pech im Abschluss. Trotzdem hält sie Serie, die vor der Saison so wohl kaum einer erwartet hätte: Nach sechs Spieltagen hat Hannover 96 noch kein Spiel verloren. Trainer André Breitenreiter hat die Mannschaft gut eingestellt, das Team spielt keinen spektakulären, aber einen pragmatischen Fußball. Eine Übermannschaft ist es freilich nicht, die sich am Samstag im Borussia-Park vorstellt. Ihr bestes Spiel zeigte H96 zuhause gegen Schalke, alle anderen Punkte waren teilweise durchaus auch glücklich erkämpft, Hannover hatte bisher das Glück, gleich mehrere Krisenteams bespielen zu dürfen.

Nun hat Hannover am 07. Spieltag womöglich das Glück, erneut ein Krisenteam bespielen zu dürfen. In Gladbach scheint zur Zeit niemand das richtige Rezept zu finden, um aus dem durchaus gut bestückten Kader ein funktionierendes Gefüge zu machen. Wie eingangs bemerkt, funktioniert momentan fast nichts richtig. Die Stabilität, die Dieter Hecking der Mannschaft nach seinem Amtsantritt zurück gebracht hatte, ist verloren. Die Abwehrzentrale mit Vestergaard und Ginter hat sich noch nicht gefunden, der Rekordzugang aus Dortmund findet sich mit der ihm zugedachten Führungsrolle nicht zurecht und macht teils haarsträubende Fehler. Sein dänischer Nebenmann ist mit der Rolle als Verteidiger und Spieleröffner sichtlich überfordert. Die Probleme auf den Außenpositionen wurden an dieser Stelle schon mehrfach thematisiert, in Dortmund war es allerdings weniger der übermäßige Zug nach vorne als vielmehr individuelle Überforderung, die vor allem Nico Elvedi zum Risikofaktor machte. Nun ist die Offensive von Hannover 96 ein anderes Kaliber als der Dortmunder Angriff, weswegen die Defensivprobleme womöglich am Samstag weniger ins Gewicht fallen. Niclas Füllkrug hat noch gar nicht getroffen, wird aber spielen, weil Konkurrent Jonathas aller Voraussicht nach nicht zur Verfügung steht. Bleibt Martin Harnik als torgefährlicher Angreifer. Der norddeutsche Österreicher, der in der Vergangenheit auch in Gladbach schon Thema war, hat in dieser Spielzeit schon viermal getroffen.

Borussia selbst hat in dieser Saison mit dem Toreschießen ihre liebe Mühe. Die mangelnde Effizienz ist ein Thema, das saisonübergreifend für so manchen verlorenen Punkt verantwortlich ist. Auch in Dortmund vergaben die Gladbacher gleich mehrere Großchancen. Zwei Meister in dieser Disziplin haben sich herauskristallisiert: Thorgan Hazard und Jonas Hofmann. Letzterer wird gegen Hannover keine Chancen vergeben, er fällt verletzt aus. Hazard dagegen zeigte sich nach Dortmund kleinlaut und gelobt Besserung. Dass er die Gelegenheit zu weiteren Gelegenheiten erhält, ist angesichts mangelnder Alternativen wahrscheinlich. Fabian Johnson hat bei seinem ersten Startelfeinsatz nicht gezeigt, dass er eine Verstärkung darstellt. Vincenzo Grifo ist gerade erst wieder im Training, Ibo Traoré bis auf weiteres malad. Zusammengefasst kann man konstatieren, dass Borussia in dieser Saison bis dato einen uninspirierten Fußball spielt. Die Idee dahinter ist, wenn vorhanden, nicht zu erkennen.

Bei Hannover haben sich zum Ende der Woche bis auf Jonathas die angeschlagenen Spieler einsatzfähig gemeldet. Vor allem der Ausfall von Abwehrchef Salif Sané hätte 96 weh getan. So verteidigt der Senegalese in der bisher überzeugenden Viererkette, in der mit Julian Korb ein Spieler steht, der bis vor wenigen Wochen noch in Gladbach seinen Dienst tat.

Borussia steht gegen Hannover unter massivem Druck. Gelingt gegen den Aufsteiger kein Sieg, wird man die Saisonziele überdenken müssen. Präsentiert sich die Mannschaft erneut so uninspiriert, wie in dieser Saison schon häufiger, muss es ans Eingemachte gehen. Spätestens dann müssen sich die Verantwortlichen fragen, warum aus einem nominell guten Team keines wird, das vernünftig miteinander Fußball spielt. Inspiration muss her. Der Abwärtstrend, beginnend im Frühling dieses Jahres, sollte in absehbarer Zeit gestoppt werden.

Mögliche Aufstellungen:

Borussia: Sippel – Elvedi, Ginter, Vestergaard, Wendt – Kramer, Zakaria – Hazard, Herrmann – Stindl, Rafael

Hannover: Tschauner – Korb, Anton, Sané, Ostrzolek – Schwegler, Bakalorz – Bebou, Karaman - Harnik, Füllkrug

SEITENWAHL-Prognose:

Christian Spoo: Borussia tut sich weiter schwer, ein strukturiertes Spiel hinzulegen. Immerhin ist der Wille da, gepaart mit der besseren individuellen Klasse reicht das, um dem Aufsteiger mit 1:0 die erste Saisonniederlage beizubringen.

Michael Heinen: Hannover ist undankbar zu spielen. Mit Mühe gewinnt Borussia trotzdem 2:1.

Claus-Dieter Mayer: Mit einem 1:1 gegen den Aufsteiger, das genauso mittelmässig entsteht wie es sich anhört, arbeitet die Borussia weiterhin hart daran sich den “graue Maus”-Status in der Liga zu verdienen.

Thomas Häcki: Es ist nicht schwer vorhersehrbar, dass nur ein Sieg für Ruhe sorgen wird. Vorerst! Einerseits mangelt es der Borussia an einem Spielkonzept, mit dem man zeigt, wer Herr im Haus ist. Andererseits hat der Kader zweifelsohne Qualität - wenn er sie abruft. Zwei unterschiedliche Halbzeiten führen die Hausherren zu einen knappen 2:1. Durchatmen, aber kein Aufatmen.