(hjg) Über diese Saison ist nahezu alles gesagt, über diese Saison ist nahezu alles geschrieben worden. In der Spielzeit 1998/99 hat es in der 1. Bundesliga wahrlich ein Team gegeben, das aus Fußballspielern bestand, welche den Verein Borussia Mönchengladbach nicht in gewohnter Weise vertreten haben - nicht so, wie ein Verein mit der größten Tradition und den verbrieft meisten Verdiensten um den deutschen Fußball dies verdient gehabt hätte.

Viele der Spieler haben ihre Quittung für diese Tatsache bereits erhalten. Einige werden sie noch erhalten. Die besten Fans der Liga - und dieses Zeugnis wurde den Anhängern der Borussia in den letzten Wochen mehrfach ausgestellt - sind es leid, stets mehr zu geben, als jene, die das Trikot mit der Raute offiziell als Arbeitskleidung tragen dürfen.

Selbst die Medien standen der Situation mehr oder weniger hilflos gegenüber, gerade so, als ob man das, was in Mönchengladbach geschah, nicht realisieren könne. Was nicht sein darf, geschieht nicht - oder, was nicht sein soll, ist nicht. Und so hat man sich zwar in üblicher Weise am Sterben eines Patienten ergötzt und das Ableben herbei geschrieben, fand dann aber in der bittersten Stunde nur wenig Worte, um die Gefühle einer ganzen Generation von Fußballfans im In- und Ausland auszudrücken. Man trauerte still vor sich hin und war ob der eingetretenen Tatsache sichtlich bewegt.

Und aus der Hilflosigkeit heraus bediente man sich einiger Begriffe, über deren Tragweite man sich nicht bewußt war. Am 11. Mai 1999 ist keine Legende gestorben - auch hat an diesem denkwürdigen Tag kein Begräbnis stattgefunden. Denn Legenden sterben nie. Und ein Verein wurde definitiv nicht zu Grabe getragen. Zugegebenermaßen in seinen Grundfesten erschüttert, muß sich der Klub mit der Zukunft auseinandersetzen, jedoch schlägt eines der ältesten Fußballherzen der Nation jung und voller Kraft wie eh und je.

Es bedarf lediglich einer kleinen Ruhepause - und diese Pause wird es in wenigen Tagen erhalten. Doch ab Sommer diesen Jahres wird es wieder in gewohnter Manier schlagen, um sich dem zu stellen, was das Ziel der nächsten Monate sein wird - die Rückkehr an die alte Wirkungsstätte, die Rückkehr an den Borussia Mönchengladbach zustehenden Platz in der Hierarchie des deutschen Fußballs, begründet durch Männer wie Günter Netzer, Hacki Wimmer, Jupp Heynckes, Berti Vogts, Hennes Weisweiler, Helmut Beyer und Helmut Grashoff.

Sie waren es, die die Legende zum Leben erweckt haben, sie waren es, die dafür gesorgt haben, daß viele Ereignisse und Tatsachen zu Legenden wurden. Und genau aus diesem Grunde ist am 11. Mai 1999 keine Legende gestorben - denn Legenden sterben nie. Durch die Feststellung, daß die Spieler für ihren eigenen Abstieg und den Abstieg des Vereines in die Zweitklassigkeit verantwortlich sind, werden keine Erlebnisse, Ereignisse und Tatsachen, die in den Geschichtsbüchern festgehalten worden sind, ausgelöscht. Sie leben weiter - und in diesen Tagen werden sie mehr denn je beschworen.

Ein 1:7 gegen einen derart leblosen Klub wie den VfL Wolfsburg kann das 7:1 gegen Inter Mailand nicht vergessen machen; ein 2:8 gegen einen Klub ohne Tradition wie Bayer 04 Leverkusen kann die Erinnerungen an das 12:0 gegen Borussia Dortmund nicht auslöschen. Ein Spieler wie Markus Feldhoff wird nicht im geringsten dafür sorgen können, daß wir einen der genialsten Fußballer aller Zeiten, Günter Netzer, der wie Jupp Heynckes im Herzen Mönchengladbachs aufgewachsen ist, aus unserem Gedächtnis streichen. Wer wird angesichts des nun feststehenden Abstieges vergessen, wie in den siebziger Jahren in Mönchengladbach Titelgewinne gefeiert worden sind?

Legenden sterben nie - und doch werden die aktuellen Spieler ihren Nutzen aus dem Bruch ziehen können, der die hundertjährige Lebenslinie von Borussia Mönchengladbach nicht nachhaltig wird beeinflußen können. Man kann sich befreien vom jahrzehntelangen Druck, zu den Spitzenklubs der Liga zählen zu müssen, ohne diesem Anspruch noch annähernd gerecht werden zu können. Man kann sich an die Arbeit machen, etwas vollkommen Neues am Bökelberg zu schaffen - ein etwaiger direkter Wiederaufstieg kann und wird ein Erfolg sein, dem man in vielen Jahren als Meilenstein ansehen wird. Der Schlußstrich, welcher durch den Ligawechsel zwangsläufig gezogen worden ist, wird neue Perspektiven eröffnen.

Und dann werden wir zurückblicken können auf Höhen und Tiefen, die den Verein Borussia Mönchengladbach zu dem gemacht haben, was er ist, und welche anderen Klubs so fremd sind, da diese sich ausschließlich an Höhen ergötzen, ohne ihren Blick durch Tiefen relativieren zu können, um Erfolge mehr zu schätzen. Wir werden die Zeit in der 2. Liga geniessen, wir werden mit etwas Glück und fan-tastischer Unterstützung den Aufstieg angehen und nach diesem Erfolg wieder dort sein, wo wir und der Klub hingehören.

Und vollkommen gleichgültig, in welcher Phase des Wirkens wir uns befinden werden - die Erinnerungen bleiben bestehen. Denn Legenden sterben nie ...