Wenn der Verein Borussia Mönchengladbach am heutigen Dienstag, 1. August 2000, sein hundertjähriges Bestehen feiert, dann ist die große rauschende Party schon vorbei. Am vergangenen Wochenende trafen sich in Mönchengladbach Abertausende und erwiesen einem der bekanntesten Fußballvereine dieses Landes die Ehre und gratulierten zum Geburtstag. Üblicherweise ist solch eine Geburtstagsfeier im normalen Leben immer damit verbunden, dass sich Familien meist ungewollt wiedersehen und währenddessen mächtig auf den Zeiger gehen - wer kann sich Verwandtschaft schon aussuchen?

Ganz im Gegenteil aber bei diesem runden Geburtstag von Borussia. Da trafen sich die Mitglieder und die Fans, aktuelle und vergangene Protagonisten zum riesigen Stelldichein und bewiesen, dass ein Verein doch anders ist als eine große Familie; dass ein Verein mit einer Familie im üblichen Sinne rein gar nichts am Hut haben muß, trotzdem aber weithin so bekannt und beliebt ist, dass Erinnerungen gerne und zahlreich aufgefrischt werden und ohne dabei das Gefühl zu verspüren, sich gegenseitig nun eigentlich überhaupt nichts zu sagen zu haben.

Wer Borussia Mönchengladbach in diesen Tagen erlebt, der kann mit Fug und Recht behaupten, dass man sich zwar auf jenen Festakt gefreut, sich aber nicht nach ihm verzehrt hat. Und dafür gibt es auch einen triftigen Grund - nämlich die Mannschaft und den Trainer, die gemeinsam schon in den vergangenen Monaten dafür gesorgt hatten, dass die Bürde des Hundertjährigen nicht unbedingt eine Last ist, dass dieses hundertjährige Bestehen vielmehr ein Mosaiksteinchen auf dem Weg zu einer erfolgreichen und ebenso nachhaltig prägenden Zukunft sein kann, wie es jene Jahre zwischen Fritz Langner und Wolf Werner in den erfolgreichsten Jahren des Vereins waren.

Wenn heute die Sprache auf Borussia Mönchengladbach kommt, dann auch noch deswegen, weil die Grashoff-Ära zu den bedeutsamen und herausragendsten Zeiträumen deutscher Fußballhistorie zählte - mithin aber auch wieder deswegen, weil unter der sportlichen Führung eines Hans Meyer ein erfolgreicher und zugleich traditioneller Borussenball gespielt wird.

Ich habe in den letzten Tagen immer wieder irgendwelche journalistische Artikel zum hundertsten Geburtstag Borussias gelesen, habe gelesen, wie selbst sonst fußballverneinende Blätter sich aufrafften, Borussias Erfolge in politischen Hintergrund einzutauchen, habe über Günter Netzers Ferrari gelesen, seine Diskothek, Berti Vogts Trainingseifer, jenen berühmten Büchsenwurf, das legendäre Verlängerungstor, jene Schiedsrichterentscheidungen des Herren van der Kroft in Madrid 1976 und natürlich auch viel über Hennes Weisweiler & Co.

Eindeutig mit einem Nebensatz abgespeist wurden immer die durchaus erfolgreichen achtziger und neunziger Jahre der Diva Borussia. Wenn es einer Spielvereinigung aus Fürth schon nicht zu peinlich ist, einen am grünen Tisch errungenen Hallenmeistertitel als herausragenden sportlichen Erfolg zu führen, dann dürfte es doch auch für unseren Verein nicht zu peinlich sein, zum Beispiel auf den DFB-Pokalsieg unter Bernd Krauss zu verweisen oder auf jene herzzerreißenden, aber größtenteils verlorenen Spiele in den 80er Jahren. Das macht den "Mythos" auch aus und nicht zuletzt gibt es viele Borussen - so wie auch mich - die gerade in jenen Jahren ihre Affinität zur Borussia entdeckt haben.

Ich bin eindeutig zu jung, um noch Netzer persönlich im Rautentrikot erlebt zu haben, ich bin auch noch zu jung, um über den letzten UEFA-Pokalsieg Borussias 1979 schwadronieren zu können - obwohl ich immer wieder gern daran erinnere, dass ich justament 2 Tage vor jenem Titel das Licht der Welt erblickte - aber spätestens an jenen verschossenen Matthäus-Elfmeter kann ich mich auch "live" erinnern. Oder an jenes einzigartige Spiel im Jahre 1985 als eine wie entfesselt aufspielende Borussia keinem geringeren als dem spanischen Spitzenverein von Real Madrid mit 5:1 im Düsseldorfer Rheinstadion die Schranken aufwies (Jorge Valdano und Santilliana, wenn ich will, dann sehe ich Euch immer noch entgeistert und entnervt auf dem Rasen stehen). Ich erinnere mich noch an jenes UEFA-Pokalhalbfinale von 1987, als Uli Borowka mit blutverschmiertem Trikot im Tannadice Park zu Dundee mit dafür sorgte, dass man kurzzeitig hoffen konnte, den UEFA-Pokal zu erringen und auch an jenes 1:0 von Martin Dahlin im DFB-Pokalfinale 1995.

Das alles sind Ereignisse, die ich wohl so schnell nicht vergessen kann, will und werde und wenn mir dann und wann der Mai 1990 einfällt, jenes grottenschlechte Unentschiedengewürge in der Krefelder Grotenburg (Kampfbahn), dann komme ich immer zu jenen Momenten, als ich dachte, wenn Borussia aus der ersten Liga absteigt, dann sei alles vorbei. Heute mit 34 Zweitligaspielen "auf dem Buckel" weiß ich, dass man eben nicht stirbt, wenn man absteigt - Beweise gibt es dafür genug und ich bin mir sicher, bei einer Stadionkapazität, die sich im Rahmen des Münchener Olympiastadions bewegen würde, selbst dann hätte Borussia in der zweiten Liga einen Besucherschnitt von über 50% dessen.

Wenn ich nun nicht Netzer und Simonsen oder Vogts und Kleff im Borussentrikot habe spielen sehen dürfen, dann habe ich trotzdem noch die eine oder andere Erinnerung an Spieler. Wilfried Hannes? Igor Belanow? Thomas Herbst? Hans-Jörg Criens? Thomas Vogel? Jörg Jung? Hans-Günter Bruns? Eric Willarts?

Ob großer Borusse und Starspieler, Kaufhausdieb oder Stolperkönig - unzählige Spielertypen im Borussentrikot habe ich gesehen, große Talente heranreifen (Effenberg) oder zu ewigen verkommen (Marell) sehen. Selbst als Fan, der nicht in den glorreichen 70ern auswuchs oder jene miterleben durfte, selbst als solcher habe ich eine unwiederbringlichen Erinnerungsschatz, dass das einhundertjährige Jubiläum weitaus mehr ist, als ein bloßes Abfeiern einer plötzlich auftretenden Begebenheit.

Wenn wir uns heute über einen Matthias Hagner oder einen Markus Reiter aufregen, ihnen jegliche Qualität und Können absprechen, dann wissen wir auch, dass es vor ihnen bereits zigfache "Idioten", "Penner" oder einfach "Stümper" gegeben hat.

Wer wiegt zum Beispiel das vereinsschädigende Verhalten eines Igor Belanow gegen jenes auf, welches Hagner uns in zwei Jahren beschert hat? Da kann der gute Matthias noch zehn Jahre versuchen, für Borussia zu spielen, solange er nicht in die Auslage greift, solange ist auch er nur eine Episode von vielen. Andererseits hat es eben auch schon zigfache Demos, Nielsens, van Lents, Kamps und wie sie noch heißen gegeben. Immer diese Art von Spieler, immer dazu da, um uns zu Träumen hinreißen zu lassen. Wenn heute ein Ketelaer Borussia verläßt, dann ist das z.B. komparabel mit dem Verlust eines Michael Frontzeck 1989. Traurig, aber immer ein Ereignis. Es wird nicht der letzte "Ketelaer" sein, genauso wenig wie Matthias Hagner der letzte "Hagner" sein wird.

Wenn man sich ein Jubiläum betrachtet und wenn man beäugt, wer am Wochenende bei welcher Erinnerung glasige Augen bekommen hat, dann bekommt man ganz schnell mit, dass ein Verein nicht nur aus dem Erfolg besteht, dass es nicht immer danach geht, wieviele Pokale, Trophäen oder Medaillen ein Club in der Vitrine stehen hat. Es geht vielmehr auch um persönliche Sachen.

Wenn ich mich zum Beispiel an jenes Abstiegsfinale der Saison 1989/1990 erinnere, dann tue ich das nicht, weil es ein Triumph war. Nein, es war vielmehr eine Peinlichkeit, sich mit dem FC Bayer 05 Uerdingen am letzten Spieltag zu einem Unentschieden quälen zu müssen. Es war auch ungerecht dem VfL Bochum gegenüber, der anstatt Borussias in die - damals noch vorhandenen - Relegationsspiele mußte (was bin ich übrigens froh, dass die Bochumer diese Relegationsspiele erfolgreich bestritten). Es war aber etwas "besonderes" in den vergangenen Jahrzehnten, es war eben niemals 08/15-Fußball und wenn man sich vor einer Saison noch als möglicher Titelaspirant sah, dann war es eben auch möglich, erst am letzten Spieltag den Klassenerhalt feiern zu dürfen (1989/90, 1997/98). Genauso gut war es ebenso "drin", völlig ernüchtert in eine Saison zu gehen und sie fast mit 2 Titeln abzuschließen (1983/84, 1994/95).

Was will der Autor uns damit sagen? Diesen Satz in den letzten Zeilen schon einmal gedacht? Nun, ich kann es nicht verdenken. Auch ich selber muß heute immer wieder sehen, dass ich mich hier nicht in einem Detail zu verliebt zeige und dabei den Kontext vergesse. Das soll aber zeigen, dass Borussia Mönchengladbach einen immer bewegt, wenn man sich einmal auf den Verein eingelassen hat, wenn man einmal ein Tor zu heftig bejubelt hat - in diesem Sinne, Uwe Rahn, eigentlich bist Du fällig ;-) Und deshalb, genau deshalb hat sich bisher jede Sekunde gelohnt, die ich mich mit der Borussia beschäftigt habe. Ich bereue nichts und bin mir sicher, vielen geht es ebenso.

Ein Verein, der selten den richtigen Favoritenstatus genossen hat (zumindest in den meisten Jahrzehnten), der gerne als provinziell dargestellt wird und der stets mehr Augen auf finanzielle Spielräume legen musste, denn auf blankgeputzte Vitrinen - und von so einem soll man Fan sein? Ja, und zwar sehr gut sogar.

Wenn ich mich umschaue, dann sehe ich alles, bloß keine Borussenschals. Bayern, Leverkusen, Bremen, Dortmund, sogar Manchester United, Juventus Turin und selbst Wolfsburger Schals erblicke ich, wenn ich so mit meinem Auto durch die Lande fahre. Wolfsburg und Leverkusen - um nur zwei zu nennen. Was um Himmels willen treibt jemanden zu so etwas?

Weder sind beide Städte architektonisch wertvoll, noch hat der jeweilige Verein oder die Stadt eine derartige Historie. Retortenvereine nennt man so etwas, ausgehalten und gespickt von Konzernen. Erfolgreich zwar, aber kein Hauch von Tradition, Erinnerung oder Zeitgeist. Was bitte um alles in der Welt ist in Leverkusen Zeitgeist? Das Bayerwerk? Die im Stadionbereich integrierte McDonalds-Filliale? Und in Wolfsburg. Das VW-Werk? Der Bahnhof? Ich würde es wirklich gerne wissen, ich kann es nicht beantworten. Der Bökelberg hingegen ist ein Stück Zeitgeist und Zeitgeschichte - wenngleich wir alle froh wären, würden wir in einem neuen Stadion die Borussia anfeuern können.

Da frage ich mich dann, wieviel Stunden in der Woche die sich mit "ihren" Vereinen auseinandersetzen. Von Samstag 10 Uhr bis um kurz nach 23 Uhr, wenn das Sportstudio zuende ist? Macht so etwas Spaß? Bin ich nur Fan, um Erfolg zu haben? Gehört nicht auch der Mißerfolg dazu?

Ich bin schon der Meinung, dass der Mißerfolg ebenso dazugehört. Aus jedem Mißerfolg lernt man, meist mehr als aus einem Erfolg. Die Pokalschmach 1992 gegen Hannover 96, was war die peinlich und sportlich vermeidbar. Der Abstieg 1999, was war der peinlich und blamabel. Alles große Schmerzen, alles kleine Ansporne es doch zu packen - nur eben mit klareren Konzepten.

Auch so etwas prägt den Charakter. Man kann nicht immer nur gewinnen. In der Niederlage zeigt sich, welches Format man besitzt. Wie? 2 x 5,- DM in das Schwein? Provozieren und spucken? Nun, nicht jeder heißt Frank Rijkaard - aber das ist eine andere Geschichte und gehört hier nicht her :-)

Alles in allem läßt sich sicher stets eine Bilanz ziehen und Geburtstage sind wie Silvestertage - immer für so etwas gut. Wenn man mich nun heute, am hundertsten Jahrestag der Vereinsgründung fragt, ob ich das alles, wirklich alles, noch einmal genau so machen würde. Ich würde es wieder genauso machen. Würde Zeit und Muße opfern, würde letztendlich bestimmt wieder genau jetzt hier sitzen und diesen Kommentar schreiben. Erfolge kommen und gehen, die Erinnerung bleibt und Borussia Mönchengladbach wird immer eine Rolle in meinem Leben spielen. Sicher in unterschiedlicher Intensität - das mag sicher sein - aber ich werde niemals anders können als der Borussia aus Mönchengladbach die Daumen zu drücken.

Keiner weiß, was morgen ist, aber was gestern war, daran erinnere ich mich in Bezug auf Borussia Mönchengladbach gerne und das unabhängig vom Erfolg.

Alles Gute und auf viele weitere unvergessliche Spiele mit Dir, Borussia.

Maverick