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(Foto: Johannes Kruck) Die Saison ist gestartet, das Transferfenster seit einigen Tagen geschlossen: Zeit für das traditionelle SEITENWAHL-Interview mit Borussias Sportdirektor. Max Eberl ging in diesem Sommer zum ersten Mal als verantwortlicher Sportdirektor in eine Saison und hat in seinen ersten Monaten im Amt schon einiges erlebt und entscheiden müssen: Er holte nicht nur Michael Frontzeck als neuen Cheftrainer, sondern mit Bobadilla, Arango & Co. auch einige namhafte Neuzugänge, die bisher zu überzeugen wussten. Ganz nebenbei entwickelte Eberl eine neue Philosophie für den Verein, die Borussia langfristig zurück in die Erfolgsspur setzen soll. Viel Arbeit für den jungen Sportdirektor, der sich im ausführlichen Interview mit SEITENWAHL gelassen, aber auch ebenso ehrgeizig wie zu Spielerzeiten zeigt.

Herr Eberl, in der Presse gelten Sie als „Architekt des Erfolgs", noch vor einigen Monaten stand dem Verein das Wasser bis zum Hals. Ein weiterer Beleg, dass Fußball in der Öffentlichkeit ein Tagesgeschäft ist?

Eberl: "Ich konnte schon damals mit den vielen negativen Schlagzeilen gut umgehen. Als ich Sportdirektor wurde, hieß es ja auch, ich sei nur eine Marionette Hans Meyers. Der Verein hat diese Dinge schon seinerzeit richtig einordnen können, genau so, wie wir die nun sehr positiven Meldungen zur Kenntnis nehmen. Doch habe ich nicht umsonst immer betont, dass ich ein Teamplayer war und bin, insofern ist der aktuelle Erfolg, den es weiter zu bestätigen gilt, nicht meiner Architektur geschuldet, sondern ist das Ergebnis der Arbeit vieler Leute. Am Ende einer Kette ist es natürlich der Sportdirektor Eberl, der den Spieler verpflichtet, aber im Vorfeld gab es vor jedem Transfer Gespräche mit dem Trainer, den Scouts, dem Präsidium. Hier trifft keiner eine Entscheidung alleine. Insofern gibt es nicht den einen Architekten, weil es auch nie den einen Schuldigen gibt."

Dennoch entwickelt sich in der Öffentlichkeit ein Bild Ihrer Person, das sich, mit dem Katalysator der Medien, immer weiter manifestiert. Achten Sie auf Ihr Image und wie es sich entwickelt?

Eberl: "Die Leute, die mich noch aus meiner Zeit als aktiver Fußballer kennen, werden nicht überrascht oder irritiert sein, wenn sie mich in meiner jetzigen Position reden oder handeln sehen. Schon als Spieler war ich geradlinig, hatte ich meine eigene Meinung, die ich bei Bedarf kundgetan habe. Dennoch ist und bleibt Fußball für mich ein Mannschaftssport. So habe ich ihn als Spieler verstanden, daran hat sich bis heute nichts geändert. Daher musste ich mich nicht um- oder verstellen als Sportdirektor. Ich kann nach jeder Entscheidung in den Spiegel schauen, und zwar unabhängig davon, ob es eine gute oder schlechte Entscheidung war. Ich bin kein Glamour-Typ, der die Öffentlichkeit sucht und braucht, sondern will einfach durch gute Arbeit überzeugen."

Schmeichelt die positive Stimmung nicht doch der eigenen Arbeit? Die Transfers konnten bislang überzeugen, dazu wurde der Abstieg vermieden.

Eberl: "Natürlich freut es mich, dass der bisherige Weg der richtige zu sein scheint. Im Fußball muss man mit solchen Dingen vorsichtig sein, denn binnen weniger Wochen kann sich ein Blatt auch drehen. Wir haben eine Mannschaft, bei der gute Ansätze zu sehen sind. Das stellt mich bislang zufrieden, darauf ausruhen werden wir uns jedoch nicht."

Der Spieler Max Eberl war bekannt durch Bissigkeit, Einsatz und Willensstärke. Attribute, die auch die Arbeit in der jetzigen Tätigkeit relevant sind?

Eberl: "Ich hatte bisher ein fantastisches Leben, konnte mit dem Fußballspielen Geld verdienen und bin diesem Sport auch nach meiner Karriere treu geblieben. Dazu gehört natürlich die notwendige Portion Glück. Dennoch: Alles, was ich erreicht habe, musste ich mir sehr hart erarbeiten. Ich wurde vom lieben Gott eben nicht mit technischem Talent gesegnet, sondern musste in jedem Training 100 Prozent geben, um am Wochenende in der Bundesliga spielen zu dürfen. Dasselbe gilt für meine berufliche Entwicklung, denn Abitur und Studium liefen parallel zur Profikarriere. Auch dabei musste ich viel und hart arbeiten, doch genau das ist vielleicht mein Talent: dass ich bissig und ehrgeizig bei der Verfolgung von Zielen bin. Wenn dann ein Ziel erreicht ist, gibt dies ein gutes Gefühl. Diese Einstellung vermittel ich meinem Sohn, den jungen Spielern im Internat und selbst unseren Lizenzspielern der ersten Mannschaft. Wer fleißig ist und hart arbeitet, hat Erfolg. Nicht alle schaffen es bis ganz oben, aber jeder sollte es zumindest probiert haben."

Binnen einer Dekade wurden Sie vom außerhalb Gladbachs wenig bekannten Bundesligaspieler zum Sportdirektor eines der bekanntesten Vereine des Landes. Eine sicher nicht gewöhnliche Entwicklung.

Eberl: "Ich wusste schon zu Beginn meiner Profikarriere, dass ich früher oder später im Management eines Fußballvereins tätig sein will. Als Fußballer, speziell als junger, sollte man einen Plan B in der Tasche haben, denn dass es als Profi klappt, kann niemand garantieren. Ich wurde Profi, hatte viele gute und einige weniger gute Jahre. Doch schon als Spieler habe ich mir um den Fußball sehr viele Gedanken gemacht, habe jeden Gegenspieler im Vorfeld für mich analysiert, habe mir Videos besorgt, um besser vorbereitet zu sein. Insofern habe ich den Fußball schon immer anders gelebt und erlebt als die Spieler, die von Natur aus so talentiert waren, dass sie einfach nur auf den Platz gehen mussten und auf ihr Talent vertrauten."

Sehen Sie vor dem Hintergrund Ihrer nun sechsjährigen Tätigkeit hinter den Kulissen den Fußball dennoch anders?

Eberl: "Absolut! Als ich mit 30 das Angebot Borussias erhielt, die Nachwuchsabteilung zu leiten, haben mir viele Leute gesagt: ‚Wie kannst Du aufhören? Du hast den schönsten Job der Welt, vielleicht spielst Du noch vier oder fünf Jahre!' Doch die Garantie konnte mir keiner geben, und dieses Angebot, den Nachwuchs bei einem der größten und bekanntesten Vereine Deutschlands, der für seine Jugendarbeit seit Jahrzehnten berühmt ist, zu führen, konnte ich am Ende nicht ausschlagen. Durch mein Sportmanagement-Studium, meine Tätigkeit als Profi und dann vor sechs Jahren den Schritt hinter die Kulissen ergibt sich ein weiter gefasstes Bild auf den Fußball mit all seinen Facetten. Dennoch gilt es, sich immer wieder auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Als Sie im Sommer die neue ‚Philosophie' Borussias vorstellten, nach der ja auch Trainer Michael Frontzeck ausgewählt wurde, gab es eine große Resonanz in den Medien. Sie verwendeten das Bild einer Autobahn, bei der diese Philosophie die Leitplanken darstellt. Um in diesem Bild zu bleiben: Wie stark sind diese Planken gebaut?

Eberl: "Die Leitplanken sind so stark, dass diese Philosophie nicht gefährdet ist. Das schließt eine Flexibilität im Handeln nicht aus, denn der Fußball entwickelt sich immer weiter, so dass ein Verein flexibel bleiben muss. Doch diese Beweglichkeit sehe ich zwischen den besagten Planken. Sie müssen nicht ständig ausgebeult werden, um flexibel zu sein. Sie stellen das Gerüst dar, das fest ist. Wer zu oft gegen diese Planken fährt, verliert an Geschwindigkeit und den Weg aus den Augen."

Ist diese Autobahn das eigentliche Ziel oder ist sie das Mittel, das Borussia zum Erfolg zurückführen soll?

Eberl: "Wäre der Bau der Autobahn das Ziel, wären wir schon fertig, denn die Philosophie ist bereits entwickelt. Nein, sie ist das Fundament, auf dem wir uns alle bewegen. Der Wunsch geht dahin, dass auch ein möglicher Nachfolger auf dem Posten des Sportdirektors diesen Weg, diese Autobahn vorfindet und weiter beschreitet möchte, und wenn es nach mir geht, auch soll. Natürlich soll Borussia Mönchengladbach auf diesem Weg Ziele erreichen, aber das eine, ultimative Ziel gibt es nicht."

Was schützen diese Leitplanken?

Eberl: "Nun, das klingt alles viel theoretischer, als es wirklich ist. Wir sprechen hier unter anderem von organisatorischen Abläufen, von festen Gesprächsterminen zwischen allen Ebenen, an die sich jeder zu halten hat, ob er neu in den Verein kommt oder schon lange dabei ist. Es ist wie ein roter Faden, eine einheitliche Arbeitslinie, die sich durch alle Bereiche zieht, von der Jugend, über das Scouting bis in den Lizenzspielerbetrieb. Im Fußball ist nicht alles planbar, aber ich möchte das Drumherum, was planbar ist, auch planbar machen. Bei Fußballern selber reden wir über Menschen, das sind verschiedene Charaktere und jedes Jahr kommen neue hinzu. Du kannst den absoluten Erfolg nicht garantieren, aber die Wahrscheinlichkeit von Misserfolgen minimieren."

Nun haben Sie diese Dinge sicher nicht erst mit dem Tag Ihrer Beförderung zum Sportdirektor entwickelt ...

Eberl: "Sehr vieles von dem habe ich bereits als Leiter der Nachwuchsabteilung im Kopf gehabt, auf Papier gebracht und in meinem Bereich integriert. Als ich anfing, war vieles neu. Der Verein ist gerade in den Borussia-Park umgezogen, im Grunde hatte ich ein weißes Blatt Papier vor mir liegen. Ich ging strategisch vor und habe mich gefragt: Was kannst Du tun, um dem Verein zu helfen? Also sind mein Team und ich in den ersten Monaten sehr viel gereist, wir haben uns unzählige Leistungszentren im In- und Ausland angesehen, haben Gespräche mit Jugendkoordinatoren und vergleichbaren Personen geführt. Dazu kam die Erinnerung an meine Ausbildung beim FC Bayern München und schließlich die Frage, was im professionellen Fußball wichtig ist. Die Scouts, die Jugendtrainer und ich haben uns danach regelmäßig getroffen, für drei oder vier Stunden verbarrikadiert und gesagt: Jetzt reden wir über Fußball! Wir haben Beschreibungen und Anforderungsprofile für jede Position auf dem Feld verfasst und uns gefragt, was zur Betreuung außerhalb des Platzes wichtig ist, also schulisch und psychologisch. Dazu die organisatorischen Abläufe, die für die Geschäftsstelle und alle Mannschaften gelten. Diese Philosophie, aus der auch ein Handbuch für alle Spieler entstanden ist, zieht sich wie ein roter Faden von der U9 bis zu den Profis.

Wo liegt der praktische Mehrwert in der täglichen Arbeit?

Eberl: "Ein einfaches Beispiel aus der Jugendarbeit: Eltern oder Berater beklagen sich, dass Ihr Kind zu wenig spiele. Wir erfassen jeden einzelnen Spieler Woche für Woche, also gehe ich an meinen Computer, drucke mir die Daten für den Spieler aus und sage: ‚Sehen Sie, Ihr Kind hat von 19 möglichen Spielen 17 absolviert, ist sechsmal ausgewechselt worden und war zweimal aufgrund schwacher Trainingsleistungen nicht in der Startelf.' Es geht mir nicht darum, dem Gegenüber argumentativ überlegen zu sein, sondern Entwicklungen greifbarer zu machen. Denn am Ende, wenn der Nachwuchsspieler den Sprung zu den Profis schafft, kann ich dem Cheftrainer eine Akte in die Hand drücken, aus der er erkennt, welche Entwicklung der Spieler bisher durchgemacht hat, welche Stärke und Schwächen er hat, ob er sensibel oder robust ist, welche schulischen Leistungen er erzielte, und so weiter."

Wenn diese Professionalisierung erst durch Ihre Beförderung zum Sportdirektor Einzug gehalten hat, kann dies nicht auch als Ohrfeige für Ihre Vorgänger und die ehemaligen Trainer bewertet werden?

Eberl: "Ich bin weit davon entfernt, Vergangenes aufzuwärmen oder zu bewerten. Auf diese Ideen, die ich als Jugenddirektor hatte, muss man sich grundlegend einlassen. Es gab in bestimmten Zeiten andere Auffassungen, das habe ich akzeptiert. Christian Ziege war U17-Trainer, als er Sportdirektor wurde, insofern musste ich ihm diese Dinge nicht erklären, denn er kannte dies schon aus der täglichen Arbeit. Doch er hatte anfangs aus nachvollziehbaren Gründen andere Sorgen. Es galt, den Wiederaufstieg so schnell wie möglich zu realisieren. Zu dieser Zeit wurde ich Teil des Kompetenzteams, hatte demnach schon mehr Einfluss auf gewisse Dinge. Christian und Jos haben einen fantastischen Job gemacht, denn sie haben eine nahezu komplett neue Mannschaft auf die Beine gestellt und sind mit ihr direkt aufgestiegen. Insofern möchte ich nicht von Ohrfeigen sprechen, denn es war eine andere Zeit. Dass ich diese Dinge nun umsetzen kann, basiert eben auch auf den Erfolg, den Christian Ziege mit seiner Arbeit hatte."

Wie soll Borussias Spiel in Zukunft konkret aussehen? Viele Fans wünschen sich zwar nicht unbedingt eine Platzierung X, aber endlich wieder attraktiven Fußball. Konkret: Wenn schon verlieren, dann lieber 3:5 als 0:1.

Eberl: "Ohne Frage, das ist die große Vision. Dass Borussia wieder für einen bestimmten Fußballstil steht, und zwar dauerhaft. Die 70er schweben über dem Verein, das kann man verfluchen oder begrüßen, aber es steht fest. Ich verfluche das nicht, denn es ist eben Teil dieses Vereins. Vielleicht erreichen wir dieses Ziel nie, aber es ist einen Versuch wert. Wir müssen einen Spagat bewerkstelligen: Kurzfristigen Erfolg auf der einen Seite erzielen und gleichzeitig diese Vision vorantreiben. Es ist kompliziert, aber auch spannend. Wie komplex der moderne Fußball ist, zeigt unser erstes Spiel in Bochum. Zur Halbzeit sind wir eigentlich durch, dann haut der (Mimoun Azaouagh, Anm. d. Red.) das Ding in 48 Sekunden zweimal in den Giebel. Das ist rechnerisch so wahrscheinlich wie ein Lottogewinn, und dann verlierst Du das Spiel eigentlich, so, wie es gelaufen ist. Aber am Ende müssen wir sogar noch einen Elfmeter bekommen. Solche Sachen passieren im Fußball, aber das kannst Du wirklich nicht planen. Erfolg ist der Nektar einer Philosophie, er vereinfacht bestimmte Prozesse.

Mit Michael Frontzeck wurde ein Trainer verpflichtet, der laut Ihrer Aussage am besten in die Stellenbeschreibung passte und zudem den Arbeiter verkörpert, den Sie selber in sich sehen.

Eberl: "Hans Meyers Entscheidung, doch aufzuhören, hat mich überrascht, aber nicht aus der Bahn geworfen. Wir wussten, dass er spätestens 2010 aufhören wird. Insofern hatten wir uns schon Gedanken gemacht, welcher Trainer zukünftig am besten zu Borussia passt. Wir wollten, da wiederhole ich mich, das Risiko minimieren, einen falschen Trainer zu verpflichten oder, um es positiver auszudrücken, die Chance erhöhen, einen passenden zu finden. Also haben wir angefangen, auch Trainer zu beobachten, sozusagen zu scouten. Wir haben die Lebensläufe studiert, sie bei der Arbeit am Spielfeldrand analysiert, Aussagen bewertet. Solche Dinge ersetzen keine Gespräche, aber sie geben ein erstes Bild. Somit hatten wir schon kurz nach der Trennung von Hans einige Kandidaten auf der Liste. Dabei habe ich keine Rücksicht genommen auf Namen oder Nicht-Namen, auf Erfolge oder Misserfolge. Wir haben mit jedem Kandidaten gesprochen, der Kreis wurde kleiner. Nach Abwägung aller Faktoren und Analysen und den Eindrücken aus den Gesprächen stand Michael Frontzeck als unser Wunschkandidat fest.

Die Verpflichtung wurde verhalten optimistisch aufgenommen, große Teile der Öffentlichkeit reagierten gar mit Skepsis und Ablehnung.

Eberl: Ja, das hat mich auch geärgert. Es hieß dann: ‚Schau, da geht der Klüngel wieder los. Wahrscheinlich kennt der Eberl nur diesen einen Trainer!' Irritiert hat mich weniger die Tatsache, dass einige mit Frontzeck nicht zufrieden waren, denn bei jedem Trainer wird es Kritiker geben. Nein, negativ überrascht war ich ob des Umstandes, dass diese Leute mich tatsächlich für so naiv hielten, dass ich bei meiner ersten Trainerverpflichtung den in ihren Augen einfachsten Weg gehe. Also diesen Weg, wenn er schiefgeht, mir als ‚Nobody' in diesem Geschäft doppelt aufs Brot geschmiert wird. Diese Reaktionen musste ich respektieren, aber verstanden habe ich sie nicht. Insofern war es gut, dass wenige Tage später unsere Jahreshauptversammlung war, auf der einige Leute vielleicht doch merkten, dass wir uns die Trainersuche im Sinne des Vereins nicht sehr einfach gemacht haben. Uns vorzuwerfen, wir hätten Frontzeck geholt, weil es der einfachste Weg war, obwohl wir wussten, dass es bessere Kandidaten gab, das ist bemerkenswert."

Im Umkreis war zu hören, dass auch Armin Veh vor seinem Engagement in Wolfsburg Teil der Kandidatenliste war. Es ist sicherlich eine hypothetische Frage, aber lassen sich Trainer der Kategorie Veh überhaupt eine Vereinsphilosophie überstülpen, sofern es nicht Manchester United oder der FC Barcelona ist?

Eberl: „Es geht gar nicht darum, dass ein Trainer sich etwas überstülpen lassen muss. Wenn ein Trainer bei den Vorgesprächen die Ideen, Vorgaben oder Leitlinien des Vereins ignoriert, weil er denkt, er entscheidet sowieso alleine, dann würde dieser Mann nicht Trainer von Borussia Mönchengladbach. Ob er Mourinho, Ancelotti oder Hitzfeld hieße. Dem Verein ist nicht geholfen, wenn ein großer Name präsentiert wird, bei dem ich aber weiß, dass er nicht zur aktuellen Mannschaft passt. Es gibt Trainer, die verwalten nur und das ist noch nicht einmal despektierlich gemeint. Glauben Sie, dass Sir Alex Ferguson noch trainiert im klassischen Sinne? Oder Ottmar Hitzfeld? Das sind große Trainer bei großen Mannschaften. Manchester United ist eben anders zu führen als Borussia Mönchengladbach, dem muss ich gerecht werden."

Also gibt es für sie keine guten und schlechten Trainer, sondern nur den richtigen Trainer zur richtigen Zeit, und umgekehrt?

Eberl: „Ja, so kann man das sagen. Gleiches gilt für Spieler. Hier kommt ein Spieler nicht zurecht, nach einem Wechsel blüht er auf. Dafür gibt es in jedem Einzelfall Gründe, die es im Misserfolgsfall zu analysieren gilt, aber verhindern kannst Du es nicht. In diesem Fall ist jedoch weder der Spieler schlecht noch der Verein. Es passte einfach nicht. Auch das wollen wir durch unser systematisches und akribisches Scouting in Zukunft weitestgehend vermeiden. Einen Trainer zu holen, nur weil er woanders erfolgreich gearbeitet hat, das ist mir zu einfach."

Wenn wir über Trainer in Gladbach sprechen, fällt zwangsläufig das Wort ‚Kontinuität', das bei den Fans und im Umfeld längst zum Unwort geworden ist.

Eberl: „Das habe ich ja erlebt, als ich anfangs von Kontinuität sprach. Ich möchte diese eben auf anderem Weg erreichen, das habe ich eben dargelegt. Natürlich merke ich, dass die Kommentare in den Medien süffisant und zynisch sind aufgrund der jüngeren Vergangenheit. Doch strebte ich keine Kontinuität an, wäre ich der falsche Mann. Nur weil es zuletzt nicht wie gewünscht funktioniert hat, bleibt das grundsätzliche Ziel weiter richtig."

Der Verein dämpft aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Jahre die Erwartungen, andererseits steht Borussia seit Jahren strukturell und finanziell besser dar als eben Bochum oder Bielefeld. Ist es da so vermessen, mehr von diesem Verein zu erwarten als nur den Abstieg zu vermeiden? Transfers wie Dante, Bailly, Bobadilla oder Arango können viele Vereine, mit denen Borussia seit Jahren sportlich auf Augenhöhe ist, nicht stemmen.

Eberl: „Wir haben nicht gesagt, dass wir nicht absteigen, sondern dass wir eine ruhige Saison spielen wollen. Das ist ein anderer Ansatz. Natürlich wäre es vermessen zu sagen, wir haben mit dem Abstieg nichts mehr zu tun, das müssen und werden wir im Auge behalten. Wissen Sie, ich bin ein großer Fan von Statistiken und Fakten. In den vergangenen zehn Jahren sind 80% der Mannschaften abgestiegen, die im ersten Jahr den Klassenerhalt geschafft haben und dann direkt durchstarten wollten. Du kannst also keinen 3-Jahres-Plan erstellen, nach dem Motto: Aufsteigen, drin bleiben, oben angreifen. Die Bundesliga ist in zwei Klassen aufgeteilt, wir gehören noch zur unteren Hälfte. Schauen Sie auf Frankfurt, die spielen seit sechs Jahren dauerhaft Bundesliga und hatten vergangene Saison nur drei Punkte mehr als wir.

Neulich wurden Sie mit den Worten zitiert: ‚Wir wollen keine Marins mehr verkaufen!' Nun waren die Transfers von Marcell Jansen und Marko Marin aus betriebswirtschaftlicher Sicht lohnenswert, auch vor dem Hintergrund der investierten Mittel. Aber kann es nicht auch ein Ziel nachhaltiger Jugendarbeit sein, auch in Zukunft solche Talente zu entdecken, zu fördern und zum Profi zu formen, um sie dann für gutes Geld zu verkaufen?

Eberl: „Die Idee ist es, eine Mannschaft zu entwickeln, in die junge Talente hereinwachsen können. Wenn wir von einem 19-Jährigen abhängig sind, ob wir absteigen oder nicht, kann das nicht richtig sein. Diesem Druck sind die Jungs nicht gewachsen, das hemmt sie in ihrer Entwicklung. Wenn wir uns sportlich so entwickeln, wie wir uns das vorstellen, dann können die Jungs aus der U17 und U19 in Ruhe integriert werden. Dann kann ein Marc André ter Stegen von Logan Bailly lernen, ein Fabian Bäcker von Oliver Neuville, und so weiter. Wenn sie sich in Ruhe entwickeln können im Training mit den Profis, dann werden sie früher oder später an einen Punkt kommen, an dem sie den gestandenen Spielern auch Feuer machen, weil sie ihren Platz in der Startelf wollen. Davon profitieren dann alle."

Das hindert Talente am Wechsel, wenn größere Vereine mit Geld und internationalem Fußball locken?

Eberl: „Wenn Sie bei uns Stammspieler sind und nicht unbedingt jedes Jahr im Abstiegskampf sind, bestimmt. Es gibt wenige, die den Sprung in diesem jungen Alter schaffen, doch die meisten bleiben auf der Strecke, weil sie zu früh zu viel wollen. Ich sage den Jungs immer: Geld verdient ihr nicht mit 20 oder 21 Jahren, sondern zwischen 27 und 32. Aber nur dann, wenn Ihr vorher regelmäßig gespielt habt. Michael Ballack hat die perfekte Karriere hingelegt, hat jeden Schritt mit Bedacht gewählt, hat sich bei Bayer Leverkusen zum Nationalspieler entwickelt, ist erst dann zu den Bayern und krönt seine Karriere nun mit dem Vertrag bei Chelsea. Nicht jeder landet am Ende bei Chelsea, aber viele wechseln einfach zu früh."

Wie Marko Marin, dessen Wechsel im Sommer 2009 von langer Hand geplant war, weil alles so eingetreten ist, wie sein Berater sich das erhoffte?

Eberl: „Dass er diese Entwicklung nimmt, haben wir ihm auch prophezeit. Dass er so früh Nationalspieler wird, kam für alle überraschend. Ich wünsche ihm bei Werder Bremen alles Gute, denn wir sehen ihn immer noch als unseren Jungen, er war immerhin vier Jahre bei uns."

Das Entdecken von jungen Talenten beschränkt sich bekanntlich schon lange nicht mehr auf den lokalen Raum, sondern findet auf nationaler, europäischer bis globaler Ebene statt. Wie gut aufgestellt ist Borussia, um auf diesem Markt zu bestehen?

Eberl: „Wir haben eine objektive Bewertung, die DFL und der DFB haben alle Nachwuchsleistungszentren zertifiziert, so dass wir von Außenstehenden bescheinigt bekommen haben, hervorragende Jugendarbeit zu betreiben. Das ist ein Prädikat, das bei der Suche nach Talenten sicherlich hilfreich ist. So sehen auch die Eltern, die in diesem Alter oft die entscheidende und einzige Rolle spielen, dass ihr Kind bei Borussia gut aufgehoben ist, dass es schulische Betreuung neben der fußballerischen Ausbildung erhält. Der wichtigste Faktor ist die Realität, denn wir weisen seit Jahren nach, dass die Durchlässigkeit nach oben bei uns sehr gut funktioniert. Und die richtig starken Jahrgänge kommen erst noch. Unser Präsident Rolf Königs hat als Ziel ausgegeben, künftig ein Drittel der Lizenzmannschaft aus eigenem Nachwuchs stellen zu können. Ich behaupte frech, dass wir diese Vorgabe mit ein bisschen Glück sogar leicht übertreffen können."

Herr Eberl, vielen Dank für das ausführliche Gespräch!


Interview: Mike Lukanz
Foto: Johannes Kruck