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Bis zum gestrigen Heimauftakt fiel eine Einschätzung noch schwer, wie viel die guten Ansätze aus dem Bayern-Spiel wert gewesen waren. Dort hatte Borussia nicht viel zu verlieren, was man letztlich ein wenig unglücklich, aber verdient dann doch tat. Die Stärke der Bayern zum jetzigen Zeitpunkt der Saison wurde in sämtlichen Medien rauf und runter diskutiert. Für Borussia stellte sich also die Frage, ob die Mannschaft eine ähnlich gute Leistung mit größerem Erfolg beim ersten Heimspiel der Saison gegen Hannover 96 abrufen könnte. Nach 90 beeindruckenden Minuten lautet die eindeutige Antwort: Ja, sie konnte.

Bei aller berechtigten Euphorie über die beste Borussen-Leistung seit Verlust des Rückgrats: Es wird weiterer Beweise der neuen Klasse bedürfen ehe die Zielsetzung der Saison - Mitspielen um die Europa-League-Plätze - vielleicht noch etwas forscher formuliert werden kann. Hannover 96 ist zwar beileibe kein Fallobst, wie sie u. a. beim 2:0-Sieg über Wolfsburg in der Vorwoche bewiesen haben. Die eklatante Auswärtsschwäche der Vorsaison setzte sich an diesem Samstag abend aber ebenso fort wie ihre fast schon traditionellen Abwehrschwächen.

Es ist typisch, wie sich die Medien auf das vermeintliche Problem der viersprachigen Verteidiger stürzen und daraus eine Erklärung abzuleiten suchen. Hannover hat aber in den letzten Jahren mit Spielern aller Nationalitäten - und selbst mit gestandenen deutschsprachigen Verteidigern wie Mertesacker, Schulz, Eggimann oder Pogatetz - immer wieder zu den Mannschaften mit den meisten Gegentoren der Liga gehört. Wenig hilfreich war es vermutlich, dass Mirko Slomka seine Viererkette innen mit zwei Neuzugängen besetzte und dass die beiden Außenverteidiger über weite Strecken der Vorsaison nur Ergänzungsspieler gewesen waren.

Letztlich sollte das alles aber nicht Borussias Offensivleistung schmälern. Auch Lucien Favre setzte immerhin auf drei neue Akteure, die sich in bemerkenswerter Manier bereits jetzt in die Mannschaft integriert und gleich eine führende Rolle eingenommen haben. Angefangen bei Christoph Kramer, der das gemeinsam mit Granit Xhaka auf der Doppel-6 überragend hinbekommen hat. Xhaka äußerte zwar nach der Partie, dass er sogar noch Steigerungspotential sähe. An diesem Samstag lieferte er aber seine bislang überzeugendste Vorstellung im Dress mit der Raute ab.

Im Mittelfeld bestand durchaus die Gefahr, dass die Hannoveraner mit ihrer Fünferreihe und insbesondere den starken Huszti und Andreasen den Gladbachern das Leben schwer machen könnten. Dies wussten Borussias 6er aber mit engagiertem Spiel zu verhindern. Defensiv war die Stabilität zu jederzeit gewährleistet und trotzdem blieb beiden Akteuren ausreichend Gelegenheit, sich ins Angriffspiel mit einzuschalten. Kramer nutzte dies u. a. zum 2:0, nachdem bereits kurz zuvor ein schönes Zusammenspiel mit Herrmann erst auf der Linie durch Sané geklärt werden konnte.

Die Vorlage zum 2:0 kam von einem weiteren Neuzugang, der sich schon nach zwei Saisonspielen erste Fragen anhören musste, wann er denn "endlich" sein erstes Tor für den neuen Verein schießen werde. Etwas irritiert reagierte er daher auch nach dem Hannover-Spiel auf die Frage, ob durch seinen Treffer zum 1:0 jetzt "der Knoten geplatzt" sei. Es ist noch nicht so lange her, da wurde einem Stürmer die 1000. torlose Minute vorgehalten. Die Zeit wird aber immer schnelllebiger und mittlerweile reichen offensichtlich schon knapp 200 Minuten aus, um eine Story daraus zu konzipieren.

Schon in München erhielt Kruse gute Kritiken, obwohl er dort im Abschluss noch Pech hatte. Es war so nur eine Frage der Zeit, bis der erste Treffer fallen musste. Besonders erfreulich war das Zusammenspiel mit dem zweiten Offensivneuzugang, der ihn mustergültig bediente. Die Kombination Arango auf Raffael auf Kruse ins Tor deutete an, wie Borussias Offensivspiel in dieser Saison aussehen kann. Im weiteren Verlauf der Partie wurden noch einige weitere Beispiele geboten.

Das Umschaltspiel funktionierte in einigen Situationen überragend. Endlich war zu erkennen, wieso Favre ständig sein Credo von der Schnelligkeit herunterbetet. Blitzschnelles, intelligentes Spiel ist eine Waffe, die für jeden Gegner nur sehr schwer zu kontrollieren ist. So gesehen bei Raffaels zielgenauem Rückpass in die Mitte vor dem 1:0. Bemerkenswert auch, wie geduldig und überlegt Kruse vor dem 2:0 die Situation erkannte und den Ball auf den langen Pfosten lupfte, wo Kramer - etwas glücklich, aber umso entschlossener - abstaubte.

Doch nicht nur die Neuzugänge verdienen eine positive Erwähnung. Juan Arango war an einem Großteil der gefährlichen Torszenen direkt beteiligt und widerlegte all seine Kritiker, die ihn bereits aufs Altenteil versetzen wollten. Gerade mit dem kongenialen Raffael scheint sich der Venezolaner gut zu verstehen. Was nicht überrascht, da beides tolle Fußballer mit südamerikanischem Blut sind. Patrick Herrmann war noch der unauffälligste Offensivakteur, ohne aber negativ abzufallen. Ganz im Gegenteil: In einigen Szenen deutete auch er seine Wertigkeit für das neue Offensivspiel an. Wunderbar sein Lupfer auf Kramer. In Halbzeit 1 hätte er zudem einen Elfmeter verdient gehabt.

Lucien Favre kann hoch zufrieden sein, wie seine Mannschaft bereits in so früher Saisonphase seine Ideen vom schnellen, intelligenten Offensivfußball umsetzt. Er stellt zurecht heraus, dass er auf Einzelschicksale keine allzu große Rücksicht nehmen kann und er jede Woche die elf Spieler aufstellt, denen er die größtmögliche Erfolgswahrscheinlichkeit zutraut. Diese Wahl ist ihm gegen Hannover offensichtlich gut gelungen. Bei einem inzwischen auch in der Breite gut besetzten Kader von 15-16 potentiellen Stammkräften ist es unvermeidlich, dass es Härtefälle geben muss. Aktuell sind dies besonders de Jong und Havard Nordtveit, die dazu verdammt sind auf ihre Einsatzchancen zu warten, die sich beiden im weiteren Verlauf der Saison noch garantiert bieten werden. Wenn der Verein den nächsten Schritt gehen möchte, sich mittelfristig im oberen Tabellendrittel zu etablieren, dann wird er einen Weg finden müssen, diese Schwierigkeiten zu bewältigen und die unvermeidlichen Boulevard-Artikel über (angeblich) unzufriedene, abwanderungswillige Ersatzspieler zu ignorieren. Den Fans kann nur angeraten werden, diesen Weg mitzugehen.

Das Offensivspiel Borussias musste in dieser Ausführlichkeit gewürdigt werden, weil es die sichtbarste Verbesserung gegenüber der diesbezüglich eher mauen Vorsaison darstellte. Es sollte aber keinesfalls als Selbstverständlichkeit angesehen werden, wie souverän Borussias Defensive die Gäste im Griff hatte. Dies begann schon im Mittelfeld, wo nicht nur die 6er, sondern selbst ein Juan Arango vorbildlich mit nach hinten arbeiteten. Der Venezolaner bildet mit Filip Daems die älteste linke Seite der Liga, was sich aber alles andere als negativ bemerkbar macht. Daems hatte gegenüber dem flinken Bittencourt eklatante Geschwindigkeitsdefizite, die er durch seine Erfahrung und sein Stellungsspiel ausglich, so dass vom Ex-Dortmunder keinerlei Gefahr ausging. Marc-André ter Stegen hatte nicht viel zu tun. In den wenigen brenzligen Situationen setzte er aber nahtlos da an, wo er in München aufgehört hatte. Weltklasse seine Reflexe bei der Hannoverschen Doppelchance kurz vor Spielende, die ihn im direkten Vergleich mit Nationalmannschaft-Konkurrent Ron-Robert Zieler ebenfalls zum Gewinner des Tages machten.

Leise Kritik sei abschließend geäußert: In einigen Momenten des Spiels drohte Borussia im Gefühl des sicheren Sieges und der deutlichen Überlegenheit ein wenig zu lässig zu agieren. So hätte man Hannover nach dem 2:0 und 3:0 jeweils fast den Anschluss gewährt, was für unnötige Spannung gesorgt hätte. Insgesamt war der Sieg aber selbst in dieser Höhe mehr als verdient. Bedenkt man, dass das 3:0 bereits nach 66 Minuten fiel und Gladbach danach nach Belieben dominierte, so könnte man fast schon kritisieren, nicht noch mehr Kapital aus der spielerischen Überlegenheit geschlagen zu haben. Diese kleineren Nachlässigkeiten fielen gegen die schwachen Hannoveraner nicht ins Gewicht. In der kommenden Woche, wenn die Reise zu den starken Leverkusenern ansteht, sollte man sich dies aber nicht erlauben, da sich dort vorne zwangsläufig weniger Chancen bieten und hinten selbst kleinste Fehler vom Gegner unbarmherzig ausgenutzt werden. Knüpft die Mannschaft an ihre Gesamtleistung aus dem Hannover-Spiel an, braucht sie sich aber selbst vor den Champions-League-Kickern nicht zu verstecken.

 

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