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FC AugsburgDen Satz des Tages lieferte Max Eberl: „Momentan ist es so, dass eine Führung für uns eher kontraproduktiv ist“. Ob es produktiver wäre, nicht in Führung zu gehen, ist zwar zweifelhaft. Aber Eberl hatte schon den wunden Punkt getroffen: Die missliche Punktausbeute der Rückrunde hat weniger mit grundsätzlichem Unvermögen, sondern mit angeknackster Psyche zu tun. Die Gipfelstürmer der Hinrunde sind zu Rittern vom flatternden Nervenkostüm mutiert. Wie gewinnt man ein Flutlichtspiel gegen Gladbach? Stecker ziehen und „Buh!“ rufen.


Dass sie das Fußballspielen nicht generell verlernt haben, demonstrierten die Borussen gegen Augsburg in der ersten halben Stunde. Zwar waren sie auch hier von früherer Souveränität noch ein gutes Stück entfernt. Aber die Art und Weise, wie sie sich, insbesondere in Person von Kruse und Raffael, mehrfach in den Strafraum durch kombinierten, weckte Erinnerungen an glanzvollere Auftritte. Mit etwas mehr Konzentration im Abschluss und einem weniger stark aufgelegten Gästetorwart hätte die Borussia nach einer halben Stunde 3:0 geführt. Das wäre dann wohl eine Führung in nicht mehr kontraproduktiver Höhe gewesen. Und dann wäre nach dem Spiel darüber diskutiert worden, ob der Heimsieg gegen den direkten Konkurrenten nun eine Trendwende signalisiere oder nur ein Zwischenhoch.

Der Ausgleich aus dem Nichts zerstörte derlei Aussichten. Er fiel überdies unglücklich. Hatten in den Vorwochen Daems mit unseligem Einwurf, Stranzl mit unbedachtem Einsteigen und ter Stegen mit unglaublichem Lapsus drei absurd überflüssige Gegentore verschuldet, so konnte man diesmal niemandem so Recht einen Vorwurf machen. Auch für Alvaro Dominguez, den manche als Schuldigen ausmachen wollten, war der Treffer bei näherem Hinsehen schwer zu verteidigen. Bessere Raumaufteilung im Vorwege hätte vielleicht die Flanke verhindern können, letztlich passte es aber in die Situation, dass der Gegner mit einer bloßen Halbchance den Spielverlauf auf den Kopf stellte. Danach aber herrschte Gladbacher Ratlosigkeit. Am Ende war die Niederlage folgerichtig.

Der Spielverlauf zeigte in nuce zwei wesentliche Unterschiede zur Hinrunde. Erster Unterschied: Ein Gladbacher 1:0 heißt nicht mehr viel. In der Hinrunde hieß es eine Menge. In acht Spielen schoss die Borussia das erste Tor, alle acht gewann sie. Gegen Hannover, Bremen, Braunschweig und Frankfurt war das 1:0 nach zuvor kompliziertem Beginn gar der Türöffner zum Fußballfest. Danach beherrschten die die Gladbacher den Gegner nach Belieben und spielten sich streckenweise in einen Rausch. Gegen Stuttgart, Dortmund und Hamburg siegten sie am Ende jeweils mit 2:0, gegen Freiburg brachten sie den knappen Vorsprung über die Zeit. Anders in der Rückrunde: In den letzten vier Spielen ging die Borussia immer mit 1:0 in Führung. Zum Sieg reichte das in keinem davon.

Zweiter Unterschied: Den Borussen fehlt es aktuell an psychischen Ressourcen, um Rückschläge zu verarbeiten. In der Hinrunde hatten sie die noch. Selbst in Leverkusen, wo man Ende dann doch mit 2:4 unterlag, holte das Team von Lucien Favre zwischenzeitlich ein 0:2 auf. Gegen Nürnberg und Schalke drehte es die Partie komplett. Auch in Augsburg und gegen Wolfsburg standen die Borussen nach zwischenzeitlichem Rückstand knapp vor einem Sieg, auch wenn am Ende jeweils doch nur ein Unentschieden heraussprang. In der Rückrunde konnte die Borussia nach keinem Ausgleichstreffer erneut in Führung gehen. Ein Rückstand bedeutete am Ende immer eine Niederlage.

Woran liegt das? Offensichtlich ist, dass sich gleich mehrere Schlüsselspieler der Borussia zeitgleich ein Leistungstief leisten. Das gilt besonders für Max Kruse, auch für Patrick Herrmann, sicherlich für Juan Arango, wenn er mal nicht verletzt ist, am wenigsten für Raffael. Offensichtlich ist auch, dass es, anders als in der Defensive, in der Offensive an qualitativ gehaltvollen Alternativen fehlt, um solche Formschwankungen auszugleichen. Mit Mlapa und Hrgota im Sturmzentrum und Younes auf dem Flügel standen am Samstag alle verfügbaren offensiven Reservisten gleichzeitig auf dem Platz. So richtig Werbung in eigener Sache gelang keinem von ihnen. Hier rächt es sich, dass man nach der Ausleihe Luuk de Jongs im Winter keinen Offensivspieler mehr verpflichten wollte oder konnte.

Vor allem aber macht die psychische Verfassung der Borussia Sorgen. Möglicherweise hat der Wolfsburger Ausgleichstreffer, wenige Minuten vor Ende der Hinrunde, ja doch tiefere Spuren hinterlassen. Ohnehin spielen Schlüsselerlebnisse im Fußball vielleicht eine größere Rolle als gemeinhin angenommen. Der sensationelle 1:0-Sieg in München zum Auftakt der Saison 2011/12 könnte solch ein Schlüsselerlebnis gewesen sein, der emotional an die bewältigten und überwältigenden Relegationsspiele anknüpfte und der Mannschaft den Glauben gab, sie könne den Schwung der wundersamen Rettung in die neue Saison mitnehmen. Vielleicht wäre ohne dieses Erlebnis der 4. Platz am Saisonende nicht möglich gewesen.

Denkt man in diesen Kategorien, so wäre der Wolfsburger Ausgleich am 17. Spieltag dieser Saison ein Schlüsselerlebnis in der traumatischen Variante. Man kann es sich heute kaum noch vorstellen, aber durch einen Sieg hätte die Borussia damals einen Konkurrenten um die Champions League-Qualifikation auf sechs Punkte distanziert und wäre bis auf zwei Punkte an Platz 2 herangerückt. Bas Dosts Treffer verhinderte, dass die Gladbacher mit einem solchen Erfolgserlebnis in die Winterpause gehen konnten. Das Szenario „spätes Gegentor“ spielten die Borussen in jeder der letzten vier Partien nach. Man muss kein Psychologe sein, um zu mutmaßen, dass mit jeder Wiederholung die Angst vor der nächsten wächst. Die letzten zehn Minuten eines Spiels sind aktuell der Gladbacher Murmeltiertag, und sie erwarten ihn ähnlich gelähmt wie Phil Connors den immer gleichen Song, wenn der Radiowecker auf 6:00 springt.

Der geläuterte Connors wird am Ende, in Wagnerianisch-Hollywoodesker Verquickung, durch die Liebe einer Frau erlöst. Das ist kein Aufruf an Lucien Favre, seine weiblichen Anteile zu entdecken. Wie in Punxsutawney könnte es aber auch in Mönchengladbach einen sehr, sehr langen Atem brauchen, bis die Negativspirale durchbrochen ist. Ob Pfiffe gegen ohnehin verunsicherte Spieler dabei förderlich sind, wird das Publikum entscheiden müssen.