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 Der Wechsel von Marc-André ter Stegen, der in der vergangenen Woche amtlich verkündet wurde, gab  Grund, sich ein wenig mit seinem neuen Verein FC Barcelona zu beschäftigen und dabei Einblicke in das  hyperaktive Treiben um diesen Club, der immer mehr sein will als nur ein Club. Natürlich weiß ter Stegen, worauf er sich da sportlich einlässt. Vielleicht noch nicht, wie wenig er dort anfangs willkommen ist.

Kein Verein der Welt war seit Beginn des Internetzeitalters und der blitzschnellen Informationsverbreitung so erfolgreich, beliebt und weltweit im Gespräch wie der Vorzeigeclub aus Katalonien von der Ära Ronaldinho bis zur Epoche Messi. Nun war der Verein bereits vor 10 Jahren ein Schwergewicht der Fußballgeschichte, politisch rettungslos überfrachtet und heillos romantisiert. Doch der beispiellose Erfolg in der Zeit der Trainer Rijkaard, Guardiola und Vilanova hat das Gefühl für die eigene Wichtigkeit noch einmal in vorher ungeahnte Höhen katapultiert. Die überbordend reiche Geschichte, verbunden mit der Bedeutung als Symbol katalanischer Unabhängigkeit und kastilischer Unterdrückung, die 170.000 Mitglieder, das Diktat des schönen und gleichzeitig erfolgreichen Spiels, der immerwährende Erfolgsdruck, all das ist für den "mehr als ein Club" gelegentlich auch zuviel für einen Club. Die neue Nummer 1 dieser weltweiten Ikone ist keineswegs nur ein neuer Torwart. Sein Auftrag ist, ein Superheld zu werden.

Eine Galaxie für sich

Auch in Deutschland kennt man traditionsreiche Volksvereine, deren Mitglieder alleine eine Großstadt ausmachen können. Der eine oder andere (Gelsenkirchener) Verein weiß auch um das Chaos, das man in der schieren Größe so eines Betriebes entfachen kann. Aber von Barcelona bis hier dringt nicht oft, wie sehr sich so ein Club zu einer eigenen Galaxie erheben kann. Viel davon gilt auch für die "Galaktischen" Galaxie aus Madrid, in Barcelona kommt der Umstand der historischen und politischen Überfrachtung noch erschwerend hinzu. Da gibt es Gruppen, Fraktionen, Interessen und Oppositionen innerhalb des Vereins, die im Vergleich manches Parlament zu einer uniformen Veranstaltung werden lassen. Die Vereinsstruktur ist vergleichbar mit der eines deutschen Vereins ohne Kapitalgesellschaft, der Präsident wird also von den "Socios" , den Mitgliedern, gewählt. Auch wenn die nächste Wahl größtenteils duch den sportlichen Erfolg der vergangenen Legislaturperiode entschieden wird, so ist keine Intrige und kein Wahlkampftrick zu schmutzig, um nicht mal ausprobiert zu werden.

Die Kompetenzen der einzelnen Mitglieder der Vereinsführung werden so flexibel gehandhabt, dass das gleiche Verhalten in einem Wirtschaftsunternehmen Krisensitzungen und harte Sanktionen zur Folge hätte. Nicht in so einem gigantischen Verein, der sich wohl wirklich besser mit einer poltischen Partei oder einem Parlament vergleichen lässt, bedenkenlose Interessenvertretung inklusive. Was nicht nur beim jeweiligen Trainer, sondern auch beim Sportdirektor starke Nerven erfordert, denn die Beachtung der sportlichen Kompetenz dieser Angestellten ist keineswegs selbstverständlich.

Um das Maß vollzumachen, gibt es zwei täglich erscheinende Sportzeitungen, deren Hauptzweck die Beschäftigung mit dem FC Barcelona darstellt. Bei "Mundo Deportivo" und "Sport" arbeiten einige Dutzend Leute, die ihren Lebensunterhalt damit verdienen, Nachrichten zum Verein in die Welt zu bringen, eigenen Senf dazuzugeben und sich gelegentlich an einer Analyse zu versuchen. Dass diese Gruppe ihr Geld nicht mit der Meldung "Bei Barça nichts Neues" verdienen kann, versteht sich von selbst. Wenn es nicht genug Neues gibt, nach dem die Fangemeinde giert, wird hemmungslos spekuliert. Da verschiedene Leute die Kommentare verfassen, darf sich eine Zeitung von einem Tag auf den anderen komplett widersprechen, oder auch in der gleichen Auflage. Die Eigenwahrnehmung dieser Zeitungen ist durchaus von Wichtigkeit erfüllt. Falls gerade bei einem Trainer oder Sportdirektor eine gewisse Indifferenz gegenüber den Medien verspürt wird, kann es schon mal heißen "...ohne Ernst gegenüber den Zeitungen, die es doch sind, die seine Botschaft an die Fans weitergeben".

Zeitungen außerhalb und Interessengruppen innerhalb des Vereins ziehen sich magisch an. Wer im Verein findet, seine Meinung bräuchte Gehör, kontaktiert zuvorderst "Mundo Deportivo", in zweiter Linie "Sport" und wird seine Ansicht mit Sicherheit gedruckt finden, ohne Namensnennung.  Ideal für noch mehr Trubel und Chaos.

 

Ein neuer Held nach dem alten

In dieses bunte Leben hinein kommt die Verpflichtung eines Nachfolgers für Victor Valdés. Valdés, der seinerzeit den Vorzug vor Enke erhielt, ist untrennbarer Bestandteil der siegreichen Superelf der vergangenen Jahre. 375 Spiele von 2002 bis 2014 geben solides Zeugnis seiner Bedeutung ab; der letzte Torwart im Camp Nou, der eine dreistellige Anzahl von Auftritten hatte, war Andoni Zubizarreta selber, der heutige Sportdirektor. Von seinem letzten Spiel an in 1994 bis zu den Ersatzleuten hinter Valdés hatte Barça 16 Torhüter. Der neue Mann darf auf keinen Fall ein Fehlgriff sein. Dem Selbstverständnis im Verein zufolge sollte es wenigstens der Beste der Welt sein, wer auch immer das gerade ist. Cech, Neuer, selbst Casillas wären durchaus willkommen gewesen, nochmehr gingen die Hoffnungen in Richtung Thibaut Courtois. Der Torwart von Atletico Madrid ist mit starken Leistungen über die spanische Liga hinaus bekannt geworden; beim FC Barcelona betrachten viele seine Verpflichtung als selbstverständlich, ein Bemühen um seine Verpflichtung als noch mehr selbstverständlich, falls das geht, und ein mögliches Scheitern solcher Bemühungen als Versagen. Die Idee, sich gar nicht um seine Verpflichtung zu bemühen, ist in dieser Vorstellung absurd.

Doch Zubizarreta schlägt jeden gut gemeinten Rat in den Wind und holt einen 22jährigen Deutschen, der nie zuvor Champions League gespielt hat und in seiner Nationalelf die Nummer irgendwas hinter Neuer darstellt und schon gar nicht der Weltbeste ist. Vom Ligasechsten aus Mönchengladbach, eine Billiglösung für 12 Millionen Euro. Ist "Zubi" noch ganz bei Trost? Genau das richtige Futter für Interessen im Verein und außerhalb. In einem Kommentar "Der Hässliche, der Schlechte, und der Gemeine" (in dem Valdés, Cruyff und Zubizarreta abgewatscht werden) heisst es "Und der hässliche ist Zubizarreta. Er will Courtois nicht verpflichten, er, der früher einmal Torwart war!" Die Sprache wird schnell sehr direkt.

Zwar wird Zubizarreta zitiert, dass man ter Stegen seit 2 Jahren beobachtet, in gemäßigteren Artikeln wird erwähnt, dass 11 Scouts unabhängig von einander ter Stegens Verpflichtung befürwortet haben. Aber Courtois nicht wollen? Da hört sich doch alles auf. Ein anderer Kommentar urteilt "er vergibt eine historische Chance" und legt nahe, dass Zubizarreta nach 4 Jahren Tätigkeit langsam etwas bringen müsste. Also außer zwei Meisterschaften und einem Champions League Titel. Doch "Zubi vertraut blind auf ter Stegen".  Einen besonderen Einblick gewährt die Erwähnung, dass "Teile der sportlichen Führung" Courtois bereits kontaktiert und seine Bereitschaft für einen Wechsel in Erfahrung gebracht hätten. Großes Theater! Etwa als würde Rainer Bonhof über die "Bild" verkünden, dass Yann Sommer kein ausreichender Torwart sei und er persönlich bei Oliver Baumann einen Wechsel eingefädelt habe.
Nichts verdeutlicht die Gefühlslage besser als die Titelseite der "Mundo Deportivo" am Tag nach ter Stegens offizieller Vorstellung. Nicht "unsere neue Nummer eins" oder so etwas prangt auf der Vorderseite, sondern "El Portero de Zubi", "Zubis Torwart" ist die Schlagzeile. Mit der klaren Bedeutung "noch lange nicht unserer".

Vielleicht wird ter Stegen langsam klar, dass er nicht nur ein Tor hüten muss, sondern eine Galaxie erobern. Dass sein Auftrag  nicht nur darin besteht, Bälle zu  halten, sondern ein Symbol zu werden, ein Superheld. Und dass die Gefahr besteht, dass er gnadenlos zerrissen wird, wenn seine Mannschaft durch Abwehrfehler und unhaltbare Schüsse verloren hat, das Schicksal eines Billigeinkaufs bei einem Weltverein.

Nicht, dass das unbedingt wahrscheinlich ist. Ter Stegen ist der beste Torwart, der je das Trikot von Borussia Mönchengladbach getragen hat, in Deutschland bereits mit 22 Jahren locker die Nummer 2 hinter Manuel Neuer und bisher nur deswegen nicht bei der Weltmeisterschaft in Brasilien dabei, damit seine erfolgshungrige Präsenz Neuer nicht verunsichert. Was sich noch ändern kann, wenn der Bayerntorwart nach seiner Verletzung wieder ernsthaftes Training beginnt.

Doch der unvorstellbare Druck, der letzte Mann, manchmal die einzige Rettung eines solchen Clubs zu sein, kann erdrücken. Ronald Reng stellt in seiner bewegenden Enke-Biographie den Umstand heraus, dass die Zeit bei Barcelona dessen labiler Psyche schweren Schaden zugefügt hat. Und Enkes Besieger und ter Stegens Vorgänger Valdés traf eine merkwürdige Entscheidung.

Es war geplant, und wurde von allen als sicher angenommen, dass Valdés einen Helden- und Legendenabschied bekommt, so wie Carles Puyol, der als "großer Kapitän" mit Tränen und Emotionen in den Ruhestand verabschiedet wurde, unter vielen herrlichen Erinnerungen, unzählige Erfolge Revue passieren lassend, die Fackel an die nächste Generation weitergebend. Größe, Gefühle, Trauer und Glück. Victor Valdés hätte nichts anderes tun müssen als die Stufen empor zu gehen und sich feiern zu lassen, um mit Beifall und Jubel seine Laufbahn zu beenden.

Er wollte anders. Bereits vor einem Jahr wollte Valdés seine Laufbahn bei Barça beenden, vielleicht vom unsagbaren Druck zermürbt. Ein Jahr hängte er dann noch dran und machte die letzten Spiele wegen einer Verletzung nicht mehr mit. Dennoch wünschte sich die Galaxie den großen Abschied, den würdigen Übergang vom aktuellen Helden zur Legende von einst. Valdés schrieb einen Brief, ungefähr mit dem Inhalt "Tschüss" und war weg. Und hinterließ Sprachlosigkeit. Als die Sprache wiederkam, wies ein Kommentar auf seine Erfolge und sein Recht auf eigene Entscheidung hin.
Der Kommentar in derselben Zeitung am nächsten Tag geiferte "Parasitentum... immer nur Teil einer Supermannschaft, in der er kaum etwas halten musste... es gab immer locker sechs bessere Torhüter... wurde immer nur durch seine Presseagentur gepusht, die die Zeitungen beeinflusst hat (sic!!)... ein Parasit".

Das ist das Schicksal, das einem Torwart in Barcelona blüht, Superheld oder Parasit. Viel Glück und Erfolg, Marc-André ter Stegen.