Warnung
  • JUser: :_load: Fehler beim Laden des Benutzers mit der ID: 76

Es liegt in der Natur des Menschen, dass er Erklärungen sucht für all das, was er nicht vollumfänglich versteht. So entstand einst die Religion ebenso wie die Wissenschaft. Vielfach sind die Erklärungsansätze aber zu komplex als dass sie der Mensch auf Anhieb nachvollziehen könnte. Um dieser Überforderung zu entgehen, hat die Natur ihm die Gabe des Vorurteils und des Schubladendenkens verliehen. Durch die vorzeitige Festlegung von Stereotypen lassen sich die in Überfluss vorhandenen Informationen filtern und Entscheidungen schneller treffen. Insbesondere in Zeiten großer Frustration führt dieser natürliche Prozess aber dazu, dass sich die Aggression der Menschen auf einzelne Personen oder Personengruppen richtet, denen die unglückselige Lage am leichtesten zuzuordnen ist. Schon in der Bibel wurde der Begriff des Sündenbocks geprägt, als die Sünden des jüdischen Volkes auf einen Geißbock übertragen und dieser anschließend in die Wüste verjagt wurde.

Im Fußball wird meist vom "schwächsten Glied in der Kette" gesprochen, das gemeinhin der Trainer darstellt, manchmal aber auch den Manager oder einzelne Spieler treffen kann. Nun steckt in vielen Vorurteilen oftmals das berüchtigte Körnchen Wahrheit. Da sie die Realität aber nur sehr stark vereinfacht abbilden, und zur Lösung der wahren Probleme in aller Regel nicht beitragen, sollte besser der komplexeren Wirklichkeit auf den Grund gegangen werden, um daraus vielversprechendere Lösungsansätze abzuleiten. Die aktuell so bittere Fohlenseuche, die Deutschlands Vorzeige-Klub der letzten Jahre in wenigen Wochen wieder zum notorischen Abstiegsanwärter aus längst vergessen geglaubten Zeiten transformiert zu haben scheint, ist die Verkettung einer ganzen Reihe von teils unglücklichen, teils fahrlässig herbeigeführten Umständen.

1.) Abgänge wurden nicht kompensiert

Da sich Borussia leider weit vom obersten Ende der Nahrungskette entfernt befindet, muss sich der Verein speziell bei anhaltendem Erfolg damit abfinden, nach jeder Saison seine besten Spieler an die zahlungskräftigere Konkurrenz zu verlieren. Der Erfolg der vergangenen Jahre begründete sich in großem Maße darauf, dass es Max Eberl und seinem Team stets gelang, für diese regelmäßigen Abgänge adäquaten Ersatz zu verpflichten. Selbst wenn der nicht immer direkt auf Anhieb einschlug, so dauerte es nie lange bis Lucien Favre aus dem neugestalteten Spielerteig die richtige Mischung hervorzauberte. Mit Spielern wie Reus, Kruse, Kramer oder Hahn verdiente sich Max Eberl zuletzt zweimal in Folge des Titel des "Einkaufsmeisters" und stieg zu einem der gefragtesten Fußball-Manager des Landes auf.

In dieser Spielzeit schien der Ex-Bayer erneut ein glückliches Händchen zu beweisen, als er frühzeitig Lars Stindl für kleines Geld verpflichtete. Jenen Spieler also, der in Hannover als Kapitän zur Führungspersönlichkeit gereift und zuletzt die beste Saison seiner Karriere gespielt hatte. Obwohl Stindl dies vornehmlich im offensiven Mittelfeld bewerkstelligt hatte, wurde er in den Planungen primär als Ersatz des abwandernden Christoph Kramer vorgesehen, der allerdings eine gänzlich andere Spielweise und weit größere Stärken in der Defensive vorzuweisen hatte. Für den zweiten Nationalspieler, der dem Ruf des Geldes folgte, wurde Josip Drmic als Nachfolger auserkoren. Ein Spieler, den Eberl bereits vor seiner überragenden Saison 2013/14 auf dem Zettel hatte und dem er trotz gegenteiliger Erfahrungen in Leverkusen den großen Durchbruch in Gladbach zutraute. Aber auch der Schweizer Nationalspieler, der seine Torgefährlichkeit zuletzt mit seinen zwei wichtigen Toren gegen Slowenien einmal mehr unter Beweis gestellt hat, ist ganz offensichtlich kein adäquater Kruse-Ersatz.

Die beiden Hauptverpflichtungen des Sommers passten demnach nicht in das zuletzt so erfolgreiche System der Fohlenelf und hätten somit idealiter einer Anpassung bedurft, die aber weder in der Vorbereitung konsequent eingeübt wurde noch in den ersten Wochen der neuen Saison im Try & Error-Verfahren zu gelingen scheint (siehe Punkt 4).

2.) Verletzungen und unnötige Sperren

In den vergangenen vier Jahren leistete Borussias medizinische Abteilung nachweislich hervorragende Arbeit. Im Gegensatz zu fast allen anderen Bundesligisten hatte der Verein kaum nennenswerte Verletzungspausen zu beklagen. Dass Martin Stranzl bereits seit März ausgefallen war, konnte in der Sommerpause noch seinem fortgeschrittenen Alter zugeschrieben und als erklärliche Ausnahme entschuldigt werden. Schon die parallel auftretenden Probleme des zweiten gestandenen Innenverteidigers hätten aber aufhorchen lassen müssen. Alvaro Dominguez behindern ebenfalls seit Monaten Schmerzen in der Bandscheibe und es erscheint reichlich ungewiss, ob die aktuell fortschreitende Genesung tatsächlich von Dauer sein wird. Borussia sah sich mit den gestandenen Innenverteidigern Jantschke, Brouwers und ggf. Nordtveit sowie mit den hoffnungsvollen Talenten Schulz und Christensen trotzdem gut genug aufgestellt. Ein allzu optimistischer Trugschluss, wie sich nicht erst mit der neuerlichen Verletzung des österreichischen Abwehrchefs herausstellte.

Darüber hinaus schmerzen die Ausfälle von Herrmann und Johnson, also den beiden Offensiv-Außen mit dem besten Defensivverhalten im Kader. Insbesondere Oscar Wendt benötigt die defensive Absicherung durch einen Vordermann, wie sie ihm offensichtlich nur Fabian Johnson in ausreichendem Maße gewähren kann. Ein Ibrahima Traoré mag zwar offensiv spektakulärer agieren als der US-Amerikaner. Seine defensiven Schwächen sind aber unübersehbar. Mit Herrmann, der unter Favre in der Defensive enorm dazugelernt hat, fehlt zudem ein ganz wesentlicher offensiver Impuls, den Spieler wie Traoré, Hazard oder Hahn nicht in der gleichhohen Qualität aufbieten können.

In den beiden grausamen Partien der vergangenen Woche fehlte zusätzlich mit Granit Xhaka der Antreiber des Borussen-Spiels, der derzeit als einziger noch so etwas wie Führungsverantwortung zu zeigen imstande scheint (siehe Punkt 5). Seine Unbeherrschtheit, die ihn bei den Schiedsrichtern in Verruf gebracht hat und bei diesen teils überzogene Entscheidungen hervorruft, brachte ihm ausgerechnet in dieser wichtigen Phase zwei Spielsperren ein und zwang Favre zu neuerlichen Umstellungen.

3.) Fehlende Stabilität

Zusammen mit Kramer fehlten dem Trainer somit zuletzt die sechs wichtigsten Stützen seines Stabilitäts-Gerüsts aus der vergangenen Saison. Gerade Lucien Favre hebt stets hervor, dass Stabilität die Grundvoraussetzung für erfolgreiches Spiel darstellt. Eine Voraussetzung, die aktuell fehlt und so den gesamten Prozess des einstigen Erfolgssystems zum Stillstand bringt. Da die langwierigen und ungewissen Verletzungen der beiden Innenverteidiger im Sommer ebenso lange bekannt waren wie die Abgänge der beiden Leistungsträger, überrascht umso mehr, dass der Verein nicht dringlicher auf die Situation reagiert hat. Es scheint, als habe man speziell die Bedeutung der Doppel-6 unterschätzt, die im modernen Fußball als zentrale Schaltposition die einstigen Rollen von Spielmacher und Libero federführend übernimmt. Ein Granit Xhaka hat sich hier in den letzten Jahren zu einem internationalen Topspieler entwickelt, der aber nur dann funktionieren kann, wenn die Balance stimmt. Seine defensiven Schwächen konnte er zwar zum Teil ablegen. Sein mutiges Spiel ist aber weiterhin risikobehaftet und führt ganz automatisch zu Ballverlusten, die von seinen Nebenleuten abgesichert werden müssen. Christoph Kramer war mit seiner Laufstärke und Unermüdlichkeit der ideale Partner an der Seite des Schweizers. Ein Havard Nordtveit hatte schon in den vergangenen Jahren mehrfach nachgewiesen, dass er diese anspruchsvolle Rolle nur mit deutlichen Qualitätseinbußen auszufüllen in der Lage ist. Lars Stindl ist (bislang) erst recht nicht der Spielertyp, den Xhaka neben sich verträgt. Die Hoffnung, mit diesen beiden Topspielern eine neue Qualitätsstufe im Offensivspiel zu erreichen, konnte nur schwer gutgehen. Es sollte der nächste Schritt auf der Leiter getätigt werden, der allerdings die vorherigen Stufen in sich zusammenbrechen ließ, so dass Borussia Sisyphos auf seinem Weg an den Gipfel der Boden unter den Füßen weggezogen wurde.

Nach dem misslungenen Experiment mit Tony Jantschke aus der Vorwoche durfte gegen den 1. FC Köln nunmehr Mo Dahoud sein Glück versuchen. Sein engagierter, unbekümmerter Auftritt machte zumindest Lust auf mehr. Ob er allerdings der ideale Partner für Xhaka ist, wird sich erst in den kommenden Wochen zeigen, wenn stärkere Gegner als der 1.FC Köln das weiterhin fragile Defensivkonstrukt der Borussia belasten werden.

4.) Fehlende Eingespieltheit

Lucien Favre hat für seine Arbeitsweise die gelungene Metapher des Kuchens gewählt, der nur in der richtigen Zusammensetzung schmeckt. Wie oben dargestellt fehlen ihm derzeit gleich 6-7 ganz wesentliche Zutaten, so dass die einstige Erfolgsmischung gehörig durcheinandergewirbelt wurde. Zumindest in der Defensive sind die meisten Ausfälle bereits seit Monaten bekannt, so dass grundsätzlich schon ausreichend Gelegenheit hätte bestehen sollen, aus den vorhandenen Zutaten eine neue Mischung zu finden. Die gesamte Vorbereitung nutzte Favre für zahlreiche Tests, die ihn aber der Entscheidungsfindung nicht nennenswert voranbrachten. Auch in den ersten 7 Saisonspielen wurde der Aufstellungskuchen auf vielfältigste Weise zusammengesetzt - so trat Borussia in jedem Pflichtspiel mit einer neuen Viererkette an. In den vergangenen Jahren war es Favre auf diese Weise stets gelungen, innerhalb kurzer Zeit auf veränderte Situationen mit der bestmöglichen Lösung zu reagieren. Als ihm 2012 das Rückgrat erstmalig entzogen wurde, benötigte er gleichfalls einige Wochen ehe es ihm gelang. Damals war der Einbau des bereits als ausgemustert geltenden Thorben Marx der geniale Schachzug, der die verloren gegangene Stabilität wiederherstellte und Borussia auf die Erfolgsspur zurückführte. Die aktuelle Herausforderung scheint sich ganz offensichtlich noch einmal eine Spur schwieriger zu gestalten und Favre tüftelt weiter Woche für Woche auf der Suche nach dem goldenen Rezept.

Die trübe Situation hat die Mannschaft mittlerweile so verunsichert, dass sie keine Einheit mehr auf dem Platz darstellt. Dies ist u. a. die folgerichtige Konsequenz aus den vielfältigen Änderungen im Zuge des Favreschen Trial & Error-Verfahrens und der ungewohnten Verletzungen, die jegliche Eingespieltheit unterbinden.

5.) Verschobene Hierarchien

Eine Einheit auf dem Platz kommt ganz wesentlich auch durch bestehende Hierarchien zustande. Mit Sommer, Stranzl, Kramer, Xhaka und Kruse verfügte Borussia im Vorjahr über eine zentrale Achse gestandener Leistungsträger, die der Mannschaft auch in schwierigen Zeiten den nötigen Halt gaben. Von diesen sind aktuell nur noch die beiden Schweizer verblieben, wobei ein Torwart nur unwesentlichen Einfluss auf das Spielgeschehen nehmen kann. Xhaka wiederum hat ebenfalls mit der neuen Situation zu kämpfen. Zum einen muss er im defensiven Mittelfeld seine Rolle neu definieren. Zudem wagt er in jedem Spiel den Spagat zwischen der benötigten Aggressivität und der Gefahr eines erneuten Platzverweises. Seine Präsenz ist aktuell ein unverzichtbarer Faktor. Er alleine wird die Probleme im Team aber nicht lösen können.

Die Hierarchie im neuen Borussen-Kader ist völlig durcheinandergeraten und muss sich in den kommenden Wochen erst wieder neu zusammensetzen. Mit Lars Stindl wurde ein Spieler verpflichtet, der in Hannover vorne weg marschiert ist. Selbst von einem so erfahrenen Neuzugang ist es aber zu viel verlangt, dass er gleich in so schweren Krisenzeiten allzu viel Verantwortung übernehmen kann. Genau wie die übrigen langjährigen Borussen-Spieler hat er noch viel mehr mit sich selbst und seinen Leistungen zu kämpfen und ist (derzeit) nicht in der Lage, seine Mitspieler in irgendeiner Form mitzureißen.

6.) Formschwäche einstiger Leistungsträger

Tony Jantschke und Roel Brouwers waren beide ein ganz wesentlicher Bestandteil der Viererkette, die in der vergangenen Rückrunde mit nur 10 Gegentoren einen Bundesliga-Rekord aufstellte. In den letzten Jahren haben sie sich als zuverlässige Abwehrspieler entpuppt, deren Wert in der Öffentlichkeit oftmals nur ungenügend geschätzt wurde. In dieser Saison zeigt sich aber, dass beide nicht in der Lage sind, dauerhaft die Rolle des Abwehrchefs zu übernehmen, die Martin Stranzl über Jahre hinweg so hervorragend ausgefüllt hat. Auch Raffael ist zwar ein überragender Fußballer, der mit seinen genialen Aktionen Spiele im Alleingang entscheiden kann. Er ist aber weit introvertierter als z. B. ein Max Kruse und keiner, der in Krisenzeiten das Zeichen zum Aufbruch gibt. Beim Wegfall des letzten Rückgrats verblieb 2012 mit Stranzl ein ganz wesentlicher Achsenspieler im Kader. Marx füllte das zunächst entstandene Vakuum im defensiven Mittelfeld zumindest zufriedenstellend aus ehe es im Jahr darauf durch Xhaka und zuletzt noch zusätzlich durch Kramer endgültig geschlossen wurde. Zudem konnte Borussia in der Offensive dereinst auf den lieben Gott aus Venezuela vertrauen, der die Mannschaft monatelang in der Offensive über Wasser hielt. Auch Juan Arango war zwar ein introvertierter Spieler, der aber mit seiner Leistung überzeugte und damals genau das geniale Offensiv-Element ins Borussen-Spiel einbrachte, das ihr auch heute wieder fehlt.

7.) Zu großer Optimismus in Bezug auf den Einbau junger Spieler

Es war grundsätzlich ein lobenswerter Ansatz, die gute alte Tradition der Fohlenelf wiederbeleben und in dieser Saison auf junge Talente setzen zu wollen. Borussia muss solche Wege gehen, da sie bei größeren Transfers allzu oft den Kürzeren gegenüber der finanzkräftigen Konkurrenz zieht. Bevor aber über den gezielten Einbau junger Talente ernsthaft nachgedacht wird, hätten aber erst die oben genannten Lücken und Probleme - zumindest in weiten Teilen - gelöst werden müssen. Da dies nicht geschah und inzwischen selbst langjährig etablierte Leistungsträger mit ihrer Situation überfordert sind, ist es für die zweifelsohne talentierten Jungspieler wenig dankbar, unter solchen Umständen in ihre Profikarriere zu starten. Angesichts der Neuordnungen auf den 6er-Positionen und der weggebrochenen Hierarchien speziell in der Defensive, war es verheerend, ausgerechnet in Dortmund gleich mit zwei unerfahrenen Innenverteidigern in die Saison zu starten. Damit wurde weder Marvin Schulz noch Andreas Christensen ein Gefallen getan, denen in dieser unglückseligen Situation die geringsten Vorwürfe zu machen sind.

8.) Selbstzufriedenheit

Neben den sportlichen Gründen gibt es aber auch noch eine Reihe psychologischer Komponenten, die den Prozess mit beeinflusst haben. Der 3. Platz des Vorjahres scheint den einen oder anderen Spieler dazu animiert zu haben, seine eigene Leistungsfähigkeit zu überschätzen. Schon in den letzten Jahren funktionierte Borussia immer nur dann, wenn alle an ihre Leistungsgrenze gingen. Gaben sie nur 80 %, so reichte es selbst gegen Gegner wie Limassol, Köln oder Freiburg nicht zu einem Sieg. Einige Spieler und vielleicht sogar Trainer und Manager glaubten unterbewusst womöglich daran, dass es irgendwie schon so weitergehen würde. Eine Wiederholung der überragenden Rückrunde hatte zwar niemand erwartet. Aber die Einstelligkeit und aller Voraussicht nach auch ein Wiedereinzug ins europäische Geschäft, sollten mit dieser Mannschaft schon wieder zu machen sein. So schlich sich eine gewisse Selbstzufriedenheit ein, die recht bald in den Schock der gegenteiligen Erkenntnis umschlug, und nun nur noch schwer zu beseitigen ist.

9.) Ablenkung Champions League

Verstärkt wurde dies durch die (berechtigte) Vorfreude auf die erste Champions League Saison. Nicht nur Borussias Fans lechzten seit Jahren danach, endlich wieder in die Riege der europäischen Topklubs vorzustoßen. Nachdem dies 2012 knapp verpasst wurde, war die Freude umso größer, als es im April dieses Jahres endlich perfekt gemacht wurde. Fortan waren die Gedanken von Fans und wohl auch Spielern allzu sehr darauf gerichtet, wie man sich im Konzert der ganz Großen behaupten würde. Wer aber überwiegend von Festmählern träumt, dem fällt es schwer, Gefallen am alltäglichen Liga-Eintopf zu finden. In den ersten Wochen der Saison dürfte dies die eh schon über Gebühr belasteten Köpfe vieler Spieler zusätzlich beschwert haben. Dass nunmehr das so lange herbeigesehnte Abenteuer Champions League bereits nach einer Partie so gut wie beendet erscheint und angesichts der viel dringlicheren Lage in der Liga völlig in den Hintergrund gedrängt wird, ist eine bittere Erkenntnis, die nur schwer zu akzeptieren ist.

10.) Selbsterfüllende Erwartungen

Schon das 0:4 in Dortmund löste eine Schockwirkung aus, die bis zum heutigen Tag nachwirkt. Innerhalb eines einzigen Spiels wurde deutlich, wie weit die Mannschaft von ihren eigenen Ansprüchen entfernt zu sein scheint. Viele der oben aufgeworfenen Probleme wurden Fans, Spielern und Verantwortlichen schlagartig vor Augen geführt und beschworen schon nach nur einer Partie Ängste herauf, dass diese so wichtige Saison gewaltig in die Hose gehen könnte. Spätestens nach den unglücklichen, aber verdienten Niederlagen gegen Mainz und in Bremen gehörten die Begriffe "Fehlstart" und "Krise" zum Grundvokabular jedes Experten, der sich mit der Lage der Borussia beschäftigte. Schon dort wurde mancherorts alles in Frage gestellt, was sich zuvor über Jahre hinweg bewährt hatte - teils berechtigt, teils aber auch in überzogenem Maße. Dies setzte sich zunehmend in den Köpfen der Spieler fest, die zu großen Teilen des Lesens mächtig sind und sich von solcherlei Gedanken nicht vollkommen freimachen können.

Die Folge daraus war, dass sich die negativen Erwartungen selbst erfüllten oder zumindest psychologisch verstärkt wurden. Im Vergleich zum Vorjahr stehen die Spieler in der Defensive viel zu weit weg von ihren Gegenspielern. Im Spielaufbau mangelt es an Präzision. Die Zahl der Fehlpässe stieg ins schier Unermessliche. Bälle, die im Vorjahr zumeist in den Laufweg des Mitspielers gespielt wurden, landen nunmehr in dessen Rücken und halten den Spielfluss auf oder aber sie landen direkt beim Gegner bzw. im Aus.

11.) Murphys Gesetz

In solch einem Teufelskreis, in dem sich Borussia befindet, bewahrheitet sich fast immer das Gesetz von Edward A. Murphy, nach dem alles schiefgehen wird, was schiefgehen kann. So nutzten die Dortmunder gleich ihre ersten drei Torchancen der Partie, wo sie im Vorjahr bei ähnlicher Überlegenheit noch 90 Minuten aus allen Lagen am Tor vorbei oder Yann Sommer angeschossen hatten. Selbst Vereine wie der HSV oder zuletzt der 1. FC Köln waren in der Lage, sämtliche ihrer Großchancen in Borussias Tor unterzubringen. Auch dass Martin Stranzl vom eigenen Mitspieler so unglücklich im Gesicht getroffen wird, dass ihm gleich die Augenhöhle bricht, ist auf logische Weise nur unzureichend erklärbar.

Es fällt schwer, im Wissen um diese Gesetzmäßigkeiten daran zu glauben, diesen unsäglichen Teufelskreis jemals durchbrechen zu können. Die Geschichte hat aber oft genug gezeigt, dass dies irgendwann geschieht. Die aktuell so sehr gegen Borussia sprechende Psychologie des Menschen ist weit komplexer als sie hier dargestellt werden kann. Manchmal sind es Kleinigkeiten, die an einem ganz besonderen Tag den Unterschied ausmachen und die Gesetze (kurzzeitig) außer Kraft setzen können. Es ist also noch nicht alles verloren, auch wenn dies manch einem in diesen Tagen so scheinen mag.

Selbst diese umfangreiche Liste der genannten Ursachen kann keinen Anspruch auf Vollständigkeit haben. Entscheidend ist aber, dass diese Gründe mittlerweile jedem bewusst sein sollten. Da sie in einigen Teilen selbstverschuldet wurden, gehört eine (selbst-)kritische Analyse zur Krisenbewältigung dazu, von der auch Trainer und Manager nicht ausgenommen werden können. Es ist aber kontraproduktiv, daraus jetzt gleich wieder den natürlichen Impuls der Schuldzuweisung abzuleiten und nach zwingenden personellen Konsequenzen zu verlangen. Zum einen haben sich Max Eberl und Lucien Favre beide in den letzten Jahren dermaßen großen Kredit verdient, dass sich eine Diskussion über ihre Person allermindestens bis zum Ende der Hinrunde von selbst verbieten sollte. Zum zweiten haben beide durch ihre überragende Arbeit der letzten Jahre bewiesen, dass sie absolute Fachmänner sind, die bereits ähnlich schwierige Situationen erfolgreich gemeistert haben und daher zum jetzigen Zeitpunkt die größte Erfolgswahrscheinlichkeit versprechen lassen, dass es ihnen auch in der aktuellen Lage wieder gelingen wird.

Da die Mannschaft strukturelle Probleme aufweist, die kurzfristig nur schwerlich beseitigt werden können und da nicht absehbar ist, wann und wie sich die psychische Blockade in den Köpfen wird lösen lassen, steht Borussia vor einer schwierigen Saison, die womöglich gar Abstiegskampf bis zum letzten Spieltag bedeuten kann. Diese Situation muss jetzt von allen im Verein - speziell vom Trainer, Manager, Spielern und Fans - gemeinsam angenommen werden und ihr muss geschlossen entgegengetreten werden. Alles andere würde die Probleme nur noch weiter verschärfen und die vor kurzem noch so glorreich erscheinende Zukunft des Vereins noch viel mehr gefährden als sie ohnehin schon gefährdet erscheint.