Sie hatten es sich so schön vorgestellt bei den erfolgsgewöhnten Bayern. Eine goldene Woche sollte es werden mit dem Einzug ins Champions League-Finale und dazwischen der obligatorischen Meisterfeier dahoam. Teil 1 dieses Vorhabens ist nach der 0:1-Pleite in Madrid akut gefährdet. Die Geschichte scheint sich vielmehr mit einem erneuten Halbfinal-Aus bei einer spanischen Mannschaft zu wiederholen. Der Erfüllung von Teil 2 steht am Samstag ausgerechnet die Mannschaft im Weg, gegen die es in der jüngsten Geschichte wenig Grund zum Feiern gab.

Gegen den vermeintlich unschlagbaren Tabellenführer schlug sich die Fohlenelf in den letzten Jahren nämlich stets wacker, und das – hört, hört – selbst in Auswärtsspielen. Aus den letzten vier Spielen in der Allianz-Arena gingen die Gladbacher zweimal siegreich hervor, u. a. beim 2:0 in der Vorsaison. Nur einmal behielt der Favorit die Oberhand – eine ähnlich schlechte Statistik weist der Rekordmeister aktuell gegen keinen anderen Bundesligisten auf. Auch im Hinspiel hielt der Gladbach-Fluch bei den Bajuwaren an, als ihnen die bislang einzige Auswärtsniederlage dieser Bundesliga-Saison zugefügt wurde.

Nichtsdestotrotz zweifeln nur wenige Experten daran, dass am Samstag mit einem Heimsieg die nächste deutsche Meisterschaft klargemacht wird. Eine Nachricht, die selbst bei hartnäckigsten Bayern-Anhängern so viel Begeisterung auslösen würde wie ein umgefallener Sack Brezeln im Allgäu. Es ist verwunderlich, dass bei wechselwilligen Profis immer noch das Argument angeführt wird, bei den Bayern die beste Aussicht auf Titel zu erhalten. Welchen Wert hat ein Titel, wenn dieser ohne jeden ernstzunehmenden Wettbewerb erzielt worden ist? Es ist pure Schönrederei, wenn diverse Medien und Bayern-Spieler nicht müde werden auf die ach so starke Konkurrenz aus Dortmund in dieser Saison hinzuweisen. Der BVB spielt mit inzwischen 74 erspielten Punkten zweifelsohne am Leistungslimit und hat damit den Rest der Liga deklassiert. Für die Bayern, die sich mit ihren 12-17 Mio. Gehältern faktisch die 20 besten Spieler der Liga zusammenkaufen können, ist dies aber immer noch nicht genug. So hat sich der Gewinn der Bundesliga dank der alles überstrahlenden Finanz- und Aufmerksamkeitskraft der Champions-League zunehmend zu einem Muster ohne Wert entwickelt. Sollte die Meisterschaft tatsächlich am kommenden Samstag entschieden werden, wird es nach der Partie wieder die obligatorischen Bierduschen und weitere gekünstelte Jubelbilder geben, weil dies nun mal dazugehört. Echte Freude, wie sie ein richtiger Fußballfan nach Erzielung eines echten Erfolgs miterleben darf, werden einem Sympathisanten des FC Bayern ein Leben lang fremd bleiben.

Bei 7 Punkten Vorsprung in 3 Partien wird die Priorität von Pep Guardiola aber eher darauf liegen, das CL-Rückspiel erfolgreich zu gestalten. Weiß er doch, dass seine Bilanz in München am Ende bei einem erneuten Scheitern in der Königsklasse als maximal durchschnittlich bewertet wird. Der Gewinn sämtlicher nationaler Titel kann angesichts der finanziellen Übermacht und des erfolgreichen Ausschaltens jeder Konkurrenz kein realistischer Maßstab für die Beurteilung seiner Leistungen sein. Eine Bevölkerungsgruppe, die alles unterhalb von "Forever Nr. 1" als unerträglichen Makel ansieht, empfindet es als demütigende Schmach, derzeit international hinter den drei spanischen Topklubs maximal die vierte Geige zu spielen. Und dies auch nur solange bis die Übermacht englischer Fernsehgelder demnächst noch zwei bis drei dort ansässige Vereine in der europäischen Hierarchie ganz nach oben katapultieren wird.

Vor diesem Hintergrund wird es Guardiola verschmerzen können, die Meisterfeier zur Not um eine Woche zu verschieben - zumal sie dann beim Gastspiel in Ingolstadt immer noch in Bayern stattfinden könnte. Eine entsprechende Rotation ist zu erwarten, wobei es ein taktisch ebenso gemeiner wie genialer Kniff wäre, Sven Ulreich einen seiner wenigen Arbeitstage zu bescheren. Manuel Neuer würde so vor weiteren Strapazen und den obligatorischen Fehlgriffen gegen die Fohlenelf bewahrt.

Bei Borussia wird viel davon abhängen, ob die zuletzt fehlenden Akteure rechtzeitig fit werden. Lars Stindl ist Donnerstag wieder ins Mannschaftstraining eingestiegen und steht somit bereit. An seiner Stelle machte es André Hahn am Sonntag aber sehr gut und mit ihm in vorderster Front gab es schon im Vorjahr den umjubelten Erfolg in der Allianz-Arena. Da auch Ibrahima Traoré seine Bewährungschance genutzt hat und Fabian Johnson noch nicht fit genug für eine Rückkehr ist, spricht vieles dafür, dass André Schubert derselben Mannschaft vertrauen wird wie beim 3:1-Heimerfolg über die TSG Hoffenheim.

Ein besonderes Spiel wird es für Nico Elvedi, der in der Hinrunde vom Trainer ins kalte Wasser geworfen worden war und nach einigen Wacklern in der ersten Halbzeit ein erfolgreiches Debüt gab. Seit Umstellung auf Dreierkette hat er seine Leistungen stabilisiert, sorgte mit seinem Fehler zuletzt aber für das Gegentor gegen Hoffenheim. Gegen die offensivstarken Münchener steht ihm die nächste große Bewährungsprobe bevor und es wird sehr wichtig sein, diese ohne ähnliche Leichtsinnsaktionen zu überstehen - was gleichermaßen selbstverständlich für jeden seiner Mitspieler gilt.

Unabhängig vom Ausgang des Spiels am Samstag kann festgehalten werden, dass das Saisonergebnis als Erfolg zu werten sein wird. Bei 8 Punkten Vorsprung auf Rang 8 und nur noch drei ausstehenden Partien wird der vierte Einzug in den europäischen Wettbewerb innerhalb von 5 Jahren nicht mehr in Gefahr geraten. Dies ist - insbesondere auch für den jungen Trainer - ein unbestreitbarer Erfolg, der ihm und der Mannschaft hoch anzurechnen ist. Wie die extrem wechselhafte Saison mit Blick auf die zukünftige Perspektive zu bewerten ist, darüber wird in drei Wochen zu befinden sein. Ein erneuter Erfolg in München würde der öffentlichen Wahrnehmung dabei sehr gut tun. Zumindest ein engagiertes Auftreten sollte aber vorausgesetzt werden können, gerade nach den markigen Worten des Kapitäns, mit drei weiteren Siegen noch die Champions League erreichen zu wollen. Tritt seine Mannschaft auf wie zuletzt in Ingolstadt oder Hannover, dann könnte sich selbst ein halbherzig auftretender FC Bayern für das CL-Rückspiel warmschießen. Kann die Leistung aus dem Schalke-Spiel mit der daheim üblichen Effizienz verknüpft werden, dann wäre eine erneute Überraschung in München keine Sensation.

Bayern: Ulreich - Rafinha, Boateng, Tasci, Benatia - Kimmich, Thiago, Rode - Coman, Götze, Costa

Borussia: Sommer - Elvedi, Christensen, Nordtveit - Traoré, Xhaka, Dahoud, Hazard, Wendt - Raffael, Hahn

Seitenwahl-Tipps:

Michael Heinen: Wunder gibt es immer wieder. Aber leider nicht jedes Jahr. In München schlägt sich Borussia wacker, muss am Ende aber eine 0:2-Niederlage hinnehmen. Da die Konkurrenz dieses Mal mal nicht so konsequent patzt wie zuletzt, wird es ein bitteres Wochenende.

Christian Spoo: Was Atlético schafft, schafft Borussia schon lange. Wir gewinnen 1:0. Kleiner Scherz: Mit einem ungefährdeten 4:0-Erfolg sichert sich Bayern die vierte Meisterschaft in Folge.

Claus-Dieter Mayer: Nachdem anfänglich gute Konteransätze zunächst kurzfristig die Hoffnung aufkommen lassen, die Borussia könnte zum dritten Mal in 5 Jahren eine Überraschung in München schaffen, ist leider in diesem Jahr die Gladbach-Defensive zu instabil. Nach dem 1:0 für Bayern ist das Spiel gelaufen und endet unspektakulär 3:0 für den alten und neuen deutschen Meister. Der bajuwarische Katzenjammer ist aber nur bis Dienstag aufgeschoben, wo man sich mit einem mauen 1:1 gegen Atletico endgültig zu den Halbfinaldeppen der Nation macht.

Christian Heimanns: Die Bayern können am Samstag Meister werden" - eine Schlagzeile, so aufregend wie "die weiteren Aussichten: kühl und regnerisch". "Guardiola vorm dreifachen spanischen Halbfinalrauswurf", sowas zählt. Und wenn die Trainerikone dieses Jahrzehnts zur Abwehr des Desasters die bewährte Taktik der letzten beiden Jahre ins Spiel bringt und ein paar A-Junioren zum Bundesligadebut verhilft, könnten sich die Borussen heimlich mit einem 1:1 aus dem Stadion schleichen.

Uwe Pirl: Natürlich wäre alles andere als eine Niederlage eine Überraschung. Allerdings ist es Borussia zuletzt oft gelungen zu überraschen - leider nicht nur positiv. Dennoch, die Bayern haben das Hinspiel gegen Madrid in den Beinen und das Rückspiel im Kopf. Geht Borussia in Führung, ist alles drin. Das 2:1 für Borussia eröffnet noch einmal alle Möglichkeiten.

Thomas Häcki: Bayern ist gedanklich bei Madrid, die Borussia spielt aber auswärts. Also spult der neue Meister einfach sein Programm ab und gewinnt 2:0. Es ist ja nicht das erste Mal, dass die Borussen in München eine Meisterfeier erleben.

Christoph Clausen: Gründe für Optimismus? Manuel Neuer. Die Hoffnung auf einen nur teilweise fokussierten Gegner. Gegen die Erinnerung an die Gladbacher Auftritte in Ingolstadt und Hannover reicht das aber nicht aus. Bayern siegt mit 3:0.