Himmelhochjauchzend war die Stimmung in Mönchengladbach noch vor Wochenfrist. Der Saisonstart: Ein Gedicht. Champions-Quali geschafft, DFB-Pokal-Pflichtaufgabe erledigt und dann den langjährigen Angstgegner Leverkusen mit einer wirklich beeindruckenden Leistung in die Knie gezwungen. Besser konnte es nicht losgehen. Aber dann: Zwei Spiele genügten, um die Stimmung im Rekordtempo in Richtung „zu Tode betrübt“ zu drücken. Und es ist nicht allein die Hypersensibilität der Fans, die dafür verantwortlich ist. Die Leistung in Freiburg und Manchester gibt in der Tat einige Rätsel auf. Lautete die Analyse nach der verdienten Bundesliga-Niederlage beim Aufsteiger noch „Gegner unterschätzt, Champions League im Kopf“, war es nach der Klatsche in Manchester mehr ein „dem übermächtigen Gegner nicht gewachsen“.Beides für sich ist nachvollziehbar, verständlich gar, wenn auch im Fall Freiburg nicht akzeptabel. Eine Mannschaft aber, die auf dem Papier schwächere Gegner aus Überheblichkeit nicht besiegt, gegen stärkere dann aber wegen tatsächlicher Unterlegenheit verliert, wäre national und international nicht auf hohem Niveau konkurrenzfähig. Es gilt also schleunigst, sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren und das mit allem Ernst anzugehen. Und das Kerngeschäft von Borussia Mönchengladbach ist und bleibt die Bundesliga.

Ein auf dem Papier klar schwächerer Gegner kommt am Samstag Abend in den Borussia-Park. Werder Bremen ist kläglich in die Saison gestartet. Aus dem Pokal schied die Mannschaft in der ersten Runde beim Drittligisten Lotte aus. Zum Bundesligaauftakt in München trat Bremen gar nicht erst an – elf Spieler in grün standen zu Alibizwecken zwar auf dem Platz, gegen Bayern spielen wollten die aber ganz offenbar nicht und ließen sich widerstandslos überrollen. Die Heimpremiere gegen Augsburg am zweiten Spieltag ging auch in die Hose. Werder konnte die Halbzeitführung nicht über die Zeit retten und unterlag verdient mit 1:2.

Dass Bremen ein Abstiegskandidat sein könnte, war vor der Saison schon von vielen Experten prognostiziert worden. In der vergangenen Spielzeit konnten sich die Norddeutschen erst am letzten Spieltag retten, die Mannschaft wurde danach zwar ergänzt, aber nicht so, dass man automatisch von einer klaren Verbesserung gegenüber dem Vorjahr sprechen muss. Dazu kommt ein schon erheblich zu nennendes Verletzungspech. Mit Claudio Pizarro fällt die Lebensversicherung der vergangenen Spielzeit bislang aus, dazu verletzte sich der als Hoffnungsträger zurückgeholte Ex-Borusse Max Kruse so schwer, dass er sich vorerst auf seine Zweitkarriere als Kartenspieler konzentrieren kann. Auch Philipp Bargfrede und Santiago Garcia sind längerfristig nicht an Bord. Vor dem Spiel in Mönchengladbach ist die Zahl der Ausfälle noch gewachsen. Sowohl Außenverteidiger Luca Caldirola als auch Mittelfeldmann Fin Bartels können verletzungsbedingt nicht spielen. Trainer Viktor Skripnik selbst spricht von einer Not-Elf, die er zur Zeit aufbieten muss.

Dass die Alarmglocken in Bremen schon laut schrillen, zeigt, dass der Mannschaft unter der Woche sogenannte Teambuilding-Maßnahmen verordnet wurden. Wenn Fußballer außerhalb der Vorbereitung auf Weisung zusammen Bötchen fahren und Würstchen grillen, dann muss es schon schlimm sein. Ob der Optimismus, den Skripnik und Sportdirektor Frank Baumann ostentativ an den Tag legen, mehr ist, als Pfeifen im Walde, wird man am Samstag ab 18 Uhr 30 sehen. Als Gründe für den Optimismus führen sie nicht etwa die wie erwähnt zuletzt wenig furchterregenden Darbietungen von Borussia Mönchengladbach an, sondern zum Beispiel die zunehmende Integration des letzten Neuzugangs, des Olympia-Stars Serge Gnarby. In der Tat zeigte der 21jährige, der eventuell auch ein bisschen Bayern München gehört, gegen Augsburg eine ordentliche Leistung. Neben ihm baut Skripnik auf den Pechvogel der vergangenen Saison, Aron Johannsson. Der US-Amerikaner war fast die ganze Saison verletzt. Zwei Tore gelangen dem Stürmer dennoch – eins davon gegen Borussia. Damals wie beim einzigen Bremer Tor in dieser Saison traf Johannsson per Elfmeter. Außerdem sind mit dem einst von Gladbach beobachteten Österreicher Florian Kainz und dem Finnen Niklas Moisander zwei Spieler soweit von Verletzungen genesen, dass sie wieder im Kader, womöglich gar in der Startelf stehen werden. Moisander gilt den Bremern als Nachfolger des nach Gladbach abgewanderten Jannik Vestergaard.

Ob dieser Jannik Vestergaard gegen seinen alten Klub von Beginn an spielen darf, werden wir erst etwa eine Stunde vor dem Anpfiff erfahren. Wen André Schubert am Samstag Abend auf den Platz schicken wird, ist wie bisher immer in dieser Saison Kaffeesatzleserei. Trotz der Verletzung von Patrick Herrmann gilt: Die Auswahl ist groß. In der Defensive bekleckerte sich in Freiburg und Manchester kein Spieler mit Ruhm. Am wenigsten gilt das für Nico Elvedi und Andreas Christensen. Kurioserweise ist bei diesen beiden aber auch am wenigsten zu erwarten, dass sie aus der Startelf rotieren. Christensen, weil jeder weiß, was er eigentlich kann. Elvedi, weil – keine Ahnung. So ist es wohl nur die linke Position in der Dreierkette, auf der sich etwas verändern könnte. Tobias Strobl war dort in Manchester noch einer der besten Borussen, das gleiche gilt allerdings für Tony Jantschke und das Spiel in Freiburg. Oder Schubert vertraut eben doch auf Jannik Vestergaard und seine gute Kenntnis des Gegners. Denkbar wäre auch eine Umstellung auf Viererkette, wobei Schubert das nur ungern zu tun scheint und Bremen auch nicht der Gegner zu sein scheint, bei dem man das Hauptaugenmerk auf die Sicherung des eigenen Tores legen muss. Dennoch müssen sich die Außenspieler nach dem Manchester-Spiel häufiger daran erinnern, dass ihre Aufgabe auch nach dem Systemwechsel unter Schubert durchaus das Verteidigen beinhaltet. Gerade Oskar Wendt scheint das zeitweise vergessen zu haben, seit Schubert ihn „losgelassen“ hat. Der von Haus aus offensive Ibo Traoré dagegen hat in dieser Saison häufig gezeigt, dass er begriffen hat, was defensiv von ihm erwartet wird. Gut möglich, dass er gegen Bremen wieder ins Team rutscht, nachdem in Manchester Fabian Johnson die rechte Seite beackern sollte. In der Zentrale könnte das Bremen-Spiel der richtige Zeitpunkt sein, um Mo Dahoud auch in der Bundesliga seinen ersten Startelfeinsatz zu gönnen. Ob der dabei an der Seite von Strobl oder des in Manchester rekordverdächtig früh ausgetauschten Christoph Kramer spielt, ist kaum zu prognostizieren. Vorne scheinen Raffael und Lars Stindl gesetzt, vermutlich wird Thorgan Harzard die dritte Position an Stelle von André Hahn bekleiden.

Mögliche Aufstellung

Borussia: Sommer – Elvedi, Christensen, Jantschke – Kramer, Dahoud – Traoré, Wendt – Stindl, Raffael, Hazard

Bremen: Wiedwald – Gebre Selassie, Sané, Moisander, Bauer – Fritz, Grillitsch – Kainz, Junuzovic, Gnarby – Johannsson

Seitenwahl-Prognose

Christian Spoo: Bremen ist der richtige Gegner, um sich die Verunsicherung der beiden letzten Partien aus dem Kopf zu spielen. Nach dem 4:1 kann Borussia die nächste Aufgabe angehen: Wie legen wir das Auswärtsdeppensyndrom ab? Das wäre gerade vor Leipzig hochwillkommen.

Thomas Häcki: Auswärts pfui, zu Hause hui. Solange diese Formel stimmt, ist die Situation gespalten. Werder wird empfangen und mit 4:2 im üblichen Spektakel besiegt. Die Offensive verdeckt dabei die defensiven Schwächen.

Christoph Clausen: Endlich wieder zuhause. Dort kompensiert Borussia defensive Anfälligkeit durch offensiven Esprit und siegt mit 4:2

Michael Heinen: Trotz der ersten Formdelle der Fohlenelf spricht alles für einen Heimsieg. Borussia muss sich rehabilitieren und tut dies mit einem ungefährdeten 4:1-Sieg.

Claus-Dieter Mayer: Trotz Halbzeitführung muss sich die Borussia auf Grund einer viel zu passiven zweiten Halbzeit am Ende mit einem 1:1 gegen den Abstiegskandidaten zufriedengeben. Zum ersten Mal seit einiger Zeit gibt es Pfiffe im Borussiapark.

Volkhard Patten: Bremen kommt zur rechten Zeit. Nach dem sicheren 5:1-Erfolg rätseln alle über die Diskrepanz zwischen Heimstärke und Auswärtsschwäche.