Seitenwahl 2Wenn die Borussia in knapp 6 Wochen ihr Auftaktspiel gegen Schalke 04 bestreitet, wird das mediale Interesse mit Sicherheit vor allem auch auf den beiden Trainern David Wagner und Marco Rose liegen, zwischen denen es ja durchaus Parallelen gibt (Mainzer Vergangenheit, im Ausland als Trainer bekannt geworden, Verbindung zu Retortenklubs). Dass dort zwei Teams mit neuem Trainer gegeneinander spielen, ist allerdings kein besonderer Zufall angesichts der Tatsache, dass gleich 8 Bundesligisten mit neuer sportlicher Führung in die Saison gehen. Nun sind Trainerwechsel fast so alt wie die Bundesliga (es dauerte gerade mal 2 Monate und 9 Spieltage bis Herbert Widmayer am 30. Oktober 1963 als erster Trainer der Bundesligageschichte beim FC Nürnberg gehen musste), aber die Art und Weise der Wechsel scheint sich zu ändern. Das fand auch Dieter Hecking, der zum Abschluss der Pressekonferenz am letzten Spieltag der Saison 2018/19 durchaus emotional feststellte: "Uns Trainer braucht wohl keiner mehr. Wenn man jetzt schon im Erfolgsfall damit rechnen muss, gehen zu müssen, tut das uns Trainern nicht gut. Wir müssen immer respektvoll mit allen umgehen - mit Medien, Fans, Vereinsverantwortlichen. Man sollte auch mit uns respektvoll umgehen. So darf es auf keinen Fall weitergehen."


Angesichts seiner eigenen Situation kamen diese Worte sichtlich von Herzen und hinterließen auch bei den anwesenden Journalisten Eindruck, aber mit dem Abstand von fast 2 Monaten wollen wir uns die Frage stellen, ob Hecking sachlich wirklich recht hat. Gibt es eine schädliche Entwicklung in der Art und Weise, wie Bundesligavereine mit ihren Trainern umgehen? Wird das alles immer schlimmer? Und unsere Antwort ist, dass es ganz im Gegenteil positive Anzeichen dafür gibt, dass Bundesligisten anfangen, die Besetzung des Trainerpostens professioneller und rationaler zu betreiben, als es traditionell der Fall war.


Führen wir uns dabei vor Augen, wie so ein Trainerwechsel klassischerweise vonstattengeht. Ein Team geht mit Trainer X in die Saison, dieser schwärmt davon, wie prima die Mannschaft im Trainingslager gearbeitet habe und wie gut sich die Neuverpflichtungen eingefügt hätten. Dann gibt’s irgendwann in der Saison eine Krise, die „Mechanismen des Marktes“ greifen und nach einem oft unwürdigem Theater in dem erst am Samstagabend die volle Unterstützung des Trainers und am Sonntagmorgen dann sein Rauswurf verkündet wird, muss Herr X seinen Hut nehmen. In einer verzweifelten Suche wird darauf Trainer Y geholt, dessen Eignung für den Job vor allem darin liegt, dass er gerade zur Verfügung steht, der aber von der Vereinsführung in einer verlogenen PK als Wunschtrainer und Hoffnungsträger abgefeiert wird und dann sein Glück versuchen darf.


Nun ist es wissenschaftlich bewiesen, dass Trainerwechsel nutzlos sind. Andreas Heuer von der Universität Münster veröffentlichte mit Kollegen im Jahre 2011 in der angesehenen Zeitschrift PLOS ONE einen Artikel mit dem Titel „Usefulness of Dismissing and Changing the Coach in Professional Soccer“, in dem sie die Trainerwechsel in der Bundesliga von 1963 bis 2009 untersuchen und zu folgendem Schluss kommen: „We can show with an unprecedented small statistical error for the German soccer league that dismissing the coach within the season has basically no effect on the subsequent performance of a team.“  Solch ein statistisches Ergebnis sagt allerdings  immer nur etwas über den Durchschnitt, im Einzelfall kann ein Trainerwechsel natürlich schon mal etwas Gutes bewirken oder anders ausgedrückt: Für jeden Lucien Favre gibt es auch einen Gerd vom Bruch, Jürgen Gelsdorf oder Holger Fach! Die Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Studie lassen sich gut mit einem Rückblick auf die vergangene Saison veranschaulichen. Da gab es einen wirklich erfolgreichen Trainerwechsel: Peter Bosz holte mit Leverkusen in der Rückrunde satte 10 Punkte mehr als sein Vorgänger Heiko Herrlich in der Hinrunde und erreichte damit zum Leidwesen der Borussia noch die Champions-League. Martin Schmidt konnte mit dem FC Augsburg zwar die Klasse halten, aber 7 Punkte aus 6 Spielen mit einer abschließenden 1:8 Klatsche sind nun keine Glanzleistung. Schalke 04 spielte unter Huub Stevens so ziemlich den gleichen Murks wie unter Domenico Tedesco und den VFB Stuttgart rettete auch zweimaliges Durchtauschen nicht vor dem Abstieg; ähnliches gilt für den FC Nürnberg. Der Preis für den katastrophalsten Trainerwechsel der Saison geht aber klar an Hannover 96. Nicht nur, dass es Thomas Doll gelang Andre Breitenreiters desaströsen Punkteschnitt von 0.58 noch auf 0.47 zu reduzieren, auch in seiner Außendarstellung war er so „unglücklich“, dass 96 zum Gespött der ganzen Liga wurde.


Man kann lange erörtern, warum Trainerwechsel insgesamt eher wirkungslos bleiben. Ein Grund ist sicher, dass der Trainer selten der Hauptgrund für den Misserfolg ist; der FC Nürnberg hätte vermutlich auch mit Pep Guardiola an der Seite um den Abstieg gespielt, dazu war der Kader einfach zu schwach. Ein wichtiger Aspekt ist auch, dass es mitten in der Saison nur eine kleine Auswahl von möglichen Kandidaten gibt, sodass oft einfach „irgendwer“ genommen wird. Dieses Problem hatte Max Eberl gleich zweimal in den vergangenen Jahren. Mit Sicherheit hatte er sich schon mal Gedanken darüber gemacht, wie es irgendwann mal nach der Ära Lucien Favre weitergehen solle, aber die waren hinfällig als dann unter Zeitdruck in einer Notsituation schnell gehen musste. Diesen Hintergrund darf man auf keinen Fall vergessen, wenn man Eberls Verpflichtung von Rose als neuen Trainer diskutiert. Es ist ihm sicher nicht leicht gefallen, Hecking fallen zu lassen, aber die Chance, endlich selber strategisch planen zu können anstatt von den Umständen zu einer Notlösung gezwungen zu werden, wollte er nach den Ereignissen der vergangenen Jahre unbedingt nutzen.


Eberl ist nicht allein damit. In Wolfsburg, Berlin oder Köln geht man auch mit einem neuen Trainer in die Saison, obwohl es rein ergebnistechnisch keinen zwingenden Grund für den jeweiligen Wechsel gab. Die genauen Hintergründe unterscheiden sich in all diesen Fällen aber insgesamt scheint es eine Tendenz zu geben, Trainerwechsel nicht mehr nur als pure Notmaßnahme während der Saison zu betrachten, sondern als ein strategisches Mittel, welches am besten zwischen zwei Spielzeiten eingesetzt wird, sodass der neue Trainer den Kader mitgestalten kann und Zeit hat ihn auf die neue Saison vorzubereiten. Auch scheint es den Vereinen nicht mehr nur um die nackten Ergebnisse zu gehen. Die Mönchengladbacher Entscheidung für Maro Rose war nur bedingt eine für mehr Erfolg, sondern in allererste Linie ein Richtungswechsel was den Fußball und die Wirkung nach Außen angeht. Auch in Berlin ist man sich vermutlich bewusst, dass die Hertha auch in den nächsten Jahren eher im Mittelfeld der Liga als in der Champions League landen wird, aber man hat erkannt, dass man mit dem soliden aber unspektakulärem Pal Dardai-Fußball langfristig niemand vom Hocker reißen wird (ob das unter Ante Čović anders wird, ist eine andere Frage). 


Was Dieter Hecking als unfaire Entlassung erfolgreicher Trainer anprangert, entpuppt sich somit eher als eine Tendenz der Vereine, strategischer zu planen als zuvor, eine durchaus begrüßenswerte Entwicklung. Wenn man Trainerwechsel kritisieren will, dann eher jene herkömmlichen innerhalb der Saison, die im Normalfall wenig einbringen. Ein Michael Köllner z.B. ohne den Nürnberg erst gar nicht in die erste Liga aufgestiegen wäre, hat insofern mehr Grund sich zu beschweren als Dieter Hecking, denn seine Entlassung hat sich im Nachhinein als eher nutzlose Verzweiflungstat herausgestellt. Hecking hingegen musste gehen, weil Borussia langfristig eine andere Idee hat; für den betroffenen Trainer natürlich schmerzvoll, aber ein erheblich konstruktiverer Ansatz als die üblichen Trainerentlassungen.


Eine Warnung zum Schluss: Nur, weil ein Trainerwechsel zwischen den Spielzeiten sinnvoller und durchdachter ist, heißt das noch lange nicht, dass er auch automatisch erfolgreich sein wird. Andreas Heuer und Kollegen machen einem da in ihrem Artikel wenig Hoffnung und kommentieren nur trocken: „Changing the coach between two seasons has no effect either“. Der letzte Gladbachtrainer, der sich nach Saisonende ungerechtfertigt abserviert fühlte, war übrigens Horst Köppel. Wie heute wurde seine Demission unter den Fans allgemein begrüßt und wiederum wie heute verbanden sich mit der Verpflichtung seines Nachfolgers (ein gewisser Jupp Heynckes) große Hoffnungen. Wir wollten das nur mal erwähnen…