AJ7X7934Seitenwahl 19Sep19Das 0:2 in Berlin hat die Euphorie rund um den Borussia-Park etwas gedämpft, die Grundstimmung aber noch nicht allzu sehr getrübt. Jedem war klar, dass Borussia nicht alle Spiele gewinnen kann und dass eine Meisterschaft trotz der schönen Tabellenkonstellation noch sehr, sehr weit entfernt ist. Diese Träume sind jetzt erst einmal in die richtige Perspektive gesetzt worden. Die Mannschaft muss nun aber ein Zeichen setzen, dass es ihr nicht wie zu Jahresbeginn ergeht, als schon einmal eine überraschende Niederlage gegen einen Berliner Verein die Meisterträume begrub und anschließend eine monatelange Krise auslöste. In den nächsten Tagen wird sich bei zwei vermeintlichen Pflichtaufgaben zeigen, wie die Elf von Marco Rose mit dieser Situation umgeht. Als erstes wartet mit dem Wolfsberger AC ein klassischer Underdog aus der österreichischen Liga. Was sollte da schon ernsthaft schiefgehen können?

Ähnlich dachten viele bis Samstagmittag noch über die Partie bei Union Berlin. So ärgerlich die Niederlage war: Der Hauptstadtklub hatte in den letzten Wochen bereits einen Lauf und dabei u. a. den BVB und SC Freiburg im heimischen Stadion verdient geschlagen. Als einziger Aufsteiger zeigen sie so etwas wie Bundesligatauglichkeit und nutzen die Euphorie des Newcomers, um mit großem Willen und Einsatz in Spielen wie am Samstag über sich hinauszuwachsen. Borussia ging die Partie ordentlich an und hätte in Führung gehen müssen, wodurch die Partie mit hoher Wahrscheinlichkeit einen ganz anderen Verlauf genommen hätte. Wo aber gegen Bremen der Lupfer von Herrmann seinen Weg ins Tor fand, traf er den Ball in Berlin nicht ganz so optimal. Bei seinem Kopfball fehlten ebenfalls nur wenige Zentimeter, die aber im Fußball oft den entscheidenden Unterschied ausmachen. Um sich langfristig in der Spitze zu etablieren, muss man dafür sorgen, von diesen Zentimeterentscheidungen nicht allzu abhängig zu sein. Tage, an denen gar nichts zusammenläuft, wird es bei jeder Mannschaft immer wieder einmal geben. Nur allzu viele davon darf man sich nicht erlauben, um irgendwann einmal die ganz großen Träume zu realisieren.

Damit sind wir dann wieder beim Wolfsberger AC, gegen den Borussia Anfang September einen solchen rabenschwarzen Tag erwischt hat. Gleichzeitig wurde damals aber deutlich, dass der österreichische Tabellendritte nicht unterschätzt werden darf. Die Stärken und Schwächen der Elf hatten wir bereits vor dem Hinspiel ausführlich analysiert. Viel geändert hat sich seitdem nicht: Ähnlich wie bei Union haben die Einzelspieler für sich nur deutsches Zweitliganiveau. Das Kollektiv agiert aber weit stärker als die Summe seiner Teile. Dies wird in Wolfsberg insbesondere durch eine bemerkenswerte Konstanz in der Aufstellung erreicht. Rotation findet so gut wie gar nicht statt. Nur im Pokal Ende Oktober beim Zweitligisten Wacker Innsbruck traute sich der (damalige) Trainer Struber, einige seiner Stammspieler zu schonen, was direkt in einer peinlichen 0:1-Niederlage endete. In den darauffolgenden vier Partien startete die Mannschaft wieder in der jeweils gleichen Besetzung, die schon im Hinspiel in Mönchengladbach überzeugt hatte und in den beiden Auswärtsspielen in Graz (4:0) und Mattersburg (4:1) die Pflichtaufgaben souverän meisterte.

Gutes Omen für Donnerstag: Die beiden Heimpartien gegen stärkere Gegner gingen in ähnlicher Höhe verloren – nämlich jeweils mit 0:3 gegen Basaksehir sowie RB Salzburg. So klar wie es das Ergebnis aussagt, waren beide Partien aber nicht. Die Wolfsberger hielten jeweils lange Zeit ordentlich mit, scheiterten dann aber doch an der individuellen Klasse ihres Gegners. Genau das muss auch die Zielsetzung für Borussia sein, denn individuell ist sie unbestritten besser besetzt. Dennoch wäre es ein Trugschluss zu glauben, Borussia könne gar nicht mehr verlieren, weil der Gegner nach dem 0:4 im Hinspiel bestimmt nicht mehr unterschätzt wird. Für die Wolfsberger ist es das Spiel des Jahres, sodass sie mindestens so engagiert zu Werke gehen werden wie im Hinspiel oder wie Union am Samstag. Mit solch einer bissigen Spielweise hat Borussia seit Jahren traditionell große Probleme – man frage nach in Augsburg oder Ingolstadt.

Ihre übliche Stammelf wird Wolfsberg am Donnerstag nicht einsetzen können, denn Innenverteidiger Nemanja Rnic ist gesperrt. Ihn wird der 28jährige Manfred Gollner ersetzen, der sich im Vorjahr mit Rnic einen erbitterten und ausgeglichenen Konkurrenzkampf geliefert hatte, in dieser Saison aber seinen Stammplatz an den Serben verlor. Allzu groß sollte der Qualitätsverlust hier zwar nicht werden, aber trotzdem dürfte Gollner einer der Schwachpunkte im Team der Österreicher sein.

Eine weitere wesentliche Änderung hat sich auf der Trainerposition ergeben, wo Erfolgscoach Gerhard Struber dem Lockruf des Geldes erlegen ist und im November nach Barnsley gewechselt ist. Sein bisheriger Co-Trainer Mohamed Sahli hat interimsmäßig übernommen und sein erstes Pflichtspiel mit 4:1 beim Tabellenvorletzten aus Mattersburg gewonnen. Weder in Auf- noch Einstellung der Mannschaft ist daher eine ernsthafte Auswirkung dieses Wechsels zu erwarten.

Zu beachten ist – wie schon im Hinspiel – die hoch talentierte Offensive um das Sturmduo Weissman/Niangbo, das mit seinen Leistungen dieser Saison das Interesse größerer Klubs geweckt haben wird. Das gilt speziell für den Israeli, der vor der Saison aus Haifa kam, und der mit 14 Toren in 14 Ligaspielen in der österreichischen Torschützenliste nur einen Treffer hinter Erling Haaland steht.

Auf die Gefahr bei Standards muss man in Mönchengladbach niemanden mehr hinweisen. Mario Leitgeb, Doppeltorschütze aus dem Hinspiel, hat in der Zwischenzeit in der Liga zwei weitere Kopfballtreffer nach Freistößen markiert, sodass unnötige Fouls an der Strafraumgrenze oder Eckbälle besser vermieden werden sollten.

Borussia sollte sich von diesen Stärken nicht schon wieder so überraschen lassen wie im Borussia-Park, sondern von Anfang an mit vollem Einsatz und Engagement dagegenhalten, um dann ihre eigenen individuellen Vorteile auszuspielen. Ein Gegentor ist gegen die offensivstarken Kärntner immer möglich. Dafür ist die Defensive aber auch anfällig genug, damit Borussias starke Offensive ihrerseits den einen oder anderen Treffer markieren können sollte.

In welcher Besetzung dies geschehen wird, ist das ganz große Rätsel. Es erscheint wahrscheinlich, dass vom sonntäglichen Sturmtrio mindestens ein Spieler rausrotieren wird – scharren doch mit Lars Stindl und Breel Embolo zwei weitere Stammplatzkandidaten mit den Hufen. Christoph Kramer wird gelbgesperrt ebenso fehlen wie die Stamminnenverteidigung um Nico Elvedi und Matthias Ginter, sodass eine Umstellung auf Dreierkette zu erwarten ist, in der Strobl oder Zakaria das zentrale Glied bilden könnten. Zudem ist Ramy Bensebaini wieder eine Alternative – ob in der Innenverteidigung oder für Oscar Wendt auf der Außenbahn. Im Hinspiel bestritt der Algerier allerdings seine bislang mit Abstand schwächste Partie im Borussen-Dress. Tony Jantschke kehrt ebenfalls zurück und ist wie Jordan Beyer ein Kandidat für die Startelf.

Von der Tabellenkonstellation könnte Borussia mit einem Sieg bereits in die nächste Runde einziehen, sofern Basaksehir gleichzeitig sein Heimspiel gegen den AS Rom gewinnt. Falls letzteres nicht eintritt, kommt es am letzten Spieltag zu einem echten Endspiel gegen die Türken – und dies unabhängig vom Resultat der Borussia selbst. Bei einem eigenen Sieg über Wolfsberg würde dann im letzten Gruppenheimspiel bereits ein Unentschieden reichen, um vor Basaksehir ins Ziel einzulaufen. Selbst eine erneute 0:4-Niederlage gegen die Österreicher wäre allerdings kein Weltuntergang und was die Ausgangslage angeht fast genauso zu bewerten wie ein Remis: Mit einem abschließenden Sieg über Istanbul würde Borussia in jedem Fall in die nächste Runde einziehen – sofern die Roma nicht in beiden verbleibenden Spielen Unentschieden spielt. Andererseits könnte ein Sieg über Wolfsberg wertlos sein, sofern Borussia gegen Istanbul verliert und die Roma aus ihren beiden Partien mindestens vier Punkte holt. Hoch lebe die Europa-League-Arithmetik!

Wolfsberg: Kofler – Schmitz, Gollner, Sollbauer, Novak – Ritzmaier, Leitgeb, Liendl, Schmid – Weissman, Niangbo

Borussia: Sommer – Jantschke, Strobl, Bensebaini – Lainer, Zakaria, Wendt – Embolo, Benes – Stindl, Thuram

Seitenwahl-Tipps

Michael Heinen: Das Spiel in Graz kann erneut eine ganz schwierige Angelegenheit werden und selbst eine erneute Niederlage ist nicht auszuschließen. Allerdings sollte es Borussia dieses Mal besser gelingen, ihre Stärken zur Geltung zu bringen. Nachdem mein Pessimismus in Berlin leider berechtigt war, bin ich jetzt zur Abwechselung mal optimistisch und setze auf einen deutlichen 3:0-Erfolg der Borussia.

Christian Spoo: Hat die Niederlage von Berlin in den Köpfen der Borussen Spuren hinterlassen? Ohne dieses Wissen ist ein Tipp mehr noch als sonst Kaffeesatzleserei. Viel wird davon abhängen, wer das erste Tor macht. Ich beschließe hiermit, dass das Borussia sein wird. Das mündet in einen 3:1-Erfolg, der das Weiterkommen in greifbare Nähe bringt.

Claus-Dieter Mayer: Auch in Graz erweist sich der Wolfsberger AC als der unerwartet schwere Gegner. Mit einem schmeichelhaften 1:1 kann die Borussia am Ende trotzdem die Chance auf ein Weiterkommen in der Europa League wahren.

Mike Lukanz: Ein Spiel wie gemalt, um eine Reaktion zu zeigen. Auf das 0:2 in Berlin und auf das immer noch fassungslos machende 0:4 aus dem Hinspiel. Weil ich daran glaube, dass Rose die Mischung aus kühlen Köpfen und Wut im Bauch hinbekommt, lasse ich mich zu einem 3:0 für Borussia hinreißen.

Thomas Häcki: In Österreich zeigt sich, wie lernfähig die Borussia aus Rückschlägen hervorgeht. Glücklicherweise fällt die Antwort positiv aus, sodass das Tor zur Zwischenrunde nach dem 1:0-Erfolg weit offen steht. Schwer wird es aber allemal.