Als die Borussia am 17. Spieltag kurz vor Weihnachten zuletzt das Samstagabend-Spiel der Bundesliga bestritt, schien der Slogan “Topspiel des Tages” bitterer Sarkasmus zu sein, so trist wirkte das 0:0 in Berlin. Allenfalls eingeschworene Hertha-Fans, die sich solche Grütze seit Jahren anschauen müssen, werden jenes Spiel als Fußball-Leckerbissen goutiert haben. Solche Vorwürfe kann man der Partie zwischen RB Leipzig und den Gladbachern am vergangen Samstag-Abend kaum machen, denn dieses Spiel hatte höchsten Unterhaltungswert, wurde leidenschaftlich umkämpft, war spannend bis zur letzten Sekunde, hatte jede Menge seltsame und auch kontroverse Momente zu bieten und bot sogar phasenweise (vor allem von Gladbacher Seite) sehr ansehnlichen Fußball. Oder wie Marco Rose kurz und lakonisch auf der Presskonferenz meinte: Es war “viel los”.
Aus Sicht vieler Gladbach-Anhänger hatte es zunächst mit einem kollektiven Aufstöhnen begonnen, als die eine Stunde vor Spielbeginn veröffentlichte Aufstellung auch den Namen Jonas Hofmann beinhaltete. Wir wollen hier jetzt nicht darüber debattieren wie ungerecht die Vorbehalte vieler Borussia-Fans gegenüber dem Ex-Dortmunder, der vor allem im Herbst 2018 schon einige sehr gute Auftritte im Trikot mit der Raute hatte, sind. Angesichts der Tatsache wie überfordert Hofmann beim letzten Auswärtsspiel auf Schalke wirkte, kann man allerdings nachvollziehen, dass sein Mitwirken gegen noch aggressiver pressende Leipziger eher skeptisch gesehen wurde. Im Nachhinein völlig zu Unrecht, denn wie so viele seiner Mannschaftskollegen bot Hofmann eine sehr gute Leistung, was nicht nur sein Tor, sondern auch die beste Laufleistung aller Akteure auf dem Platz belegen. Das es trotz dieser individuellen und kollektiven starken Leistungen nicht zu einem Sieg reichte, liegt unter anderem an drei Schlüsselszenen dieses Spiels:

Seitenwahl 301) Nachdem das Spiel mit einer intensiven Mittelfeldschlacht begonnen hatte, in der die Borussia Stück für Stück Vorteile erarbeiten konnte (nicht zuletzt Dank der von Rose installierten Dreierkette hinten, die eine Überzahl im Mittelfeld erlaubte), war Gladbach immer besser ins Spiel gekommen und hatte in der 24. Minute nach einer Traumkombination durch Plea das 1:0 erzielt. Kurz danach wurde Christoph Kramer unglücklich von Timo Werners Knie am Kopf getroffen und musste vom Feld gehen. Nicht nur Fernsehkommentatoren, sondern auch Trainer Marco Rose (“immerhin hat er nicht gefragt, ob es das WM-Finale sei”) fühlten sich an jenen Abend in Rio de Janeiro erinnert, aber ganz so spaßig ist das ganze nicht. Kramer hat nicht zuletzt aufgrund seiner Haltung nie vor einem Zweikampf zurückzuscheuen über die Jahre immer wieder Kopfverletzungen erlitten und langsam muss man sich ein wenig Sorgen um seine langfristige Gesundheit machen, angesichts der Tatsache, dass die medizinische Forschung immer stärkere Hinweise darauf gibt, dass solche Zusammenstoeße neurologische Spätfolgen haben können. Dieses Spiel betreffend, schien Kramers Ausfall zunächst wenig Auswirkungen zu haben, die Borussia hatte auch danach alles im Griff und kam in der 35. Minute nach Halstenbergs Fehlpass, Neuhauses schnellem Schalten und Hofmann gekonntem Abschluss zum 2:0. Als Gladbach später aber mit 10 Mann nur noch hinten drin stand, wäre Kramers Zweikampfstärke und seine Fähigkeit Bälle zu erobern extrem hilfreich gewesen.

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2) “A game of two halves” nennt man solch ein Spiel oft im englischen Sprachraum, aber eigentlich war es ein Spiel der ersten 5/9 gegen die letzten 4/9. Denn trotz zweier Auswechslungen auf Leipziger Seite kam der bisherige Tabellenführer keineswegs wie verwandelt aus der Kabine, sondern es ging zu Beginn der zweiten Hälfte weiter wie zuvor. Leipzig verlor die Bälle, Gladbach kam in gefährliche Räume, es war der Moment, an dem man dachte “Jetzt können sie es sich eigentlich nur noch selbst kaputt machen”…und das war selbstredend genau das, was dann auch geschah. Vermutlich wird Yann Sommer auch in 30 Jahren noch schweißgebadet nachts aufwachen, wenn er von der 50. Minute in diesem Spiel träumt. Dabei hatte er ja eigentlich alles richtig gemacht, war nach einer Flanke herausgekommen, hatte den Ball souverän aus der Luft gepflückt, …, an dieser Stelle guckten vermutlich nicht nur ich, sondern auch viele andere Zuschauer schon nach vorn, um zu sehen, wohin der Gladbach Keeper den Ball vielleicht werfen könnte…der aber hatte zunächst mal den wuchtigen Denis Zakaria vor sich, fiel über diesen so unglücklich, dass er den Ball in Richtung eigenes Tor los ließ und Patrick Schick nur noch einschieben musste. Ohne jede Ankündigung war aus dem “Schießt Gladbach RB ab?”-Spiel auf einmal das “Kann Gladbach die Führung verteidigen?”-Spiel geworden.Seitenwahl 41


3) Nach dem Anschlusstreffer schöpfte der Brauseklub Hoffnung und wachte endlich auf. Man bereitete sich auf einen faszinierenden Kampf zwischen drängenden Leipzigern und konternden Gladbachern vor und angesichts der Leistungen der Stürmer Plea und Thuram bis dahin sowie der Bissigkeit aller Gladbacher in den Zweikämpfen, konnte man guter Hoffnung sein, dass es zum ersten Sieg gegen Leipzig reichen könnte, bis es dann zur Schlüsselszene des Spiels kam: Von einem durchaus erfahrenem Spieler wie Alassane Plea muss man einfach erwarten, dass er eine Fehlentscheidung eines Schiedsrichters samt gelber Karte wegen Protestierens im Dienste der Mannschaft runterschluckt, so bitter sich das anfühlen mag. Das gelang dem Franzosen leider nicht und er erwies seinem Team damit einen Bärendienst.   Auf der anderen Seite darf man aber auch nicht unterdrücken, dass Schiedsrichter Stieler in dieser Szene jegliche Souveränität vermissen ließ. Und ja, es gab wohl eine Direktive an die Schiedsrichter, Spielerproteste schaerfer zu ahnden. Aber wenn er Pleas beim Abdrehen mit der Hand winken als “Respektlosigkeit” nach gegebener gelben Karte wertet, fragt man sich was er denn so als Reaktion erwartet: einen Handschlag, Fußkuss, Freudensprung? Der Verdacht drängt sich auf, dass die gelb-rote Karte weniger über Pleas Verhalten aussagt als über den Minderwertigkeitskomplex des Schiedsrichters . Auch Leipzigs Trainer Nagelsmann (in Gladbacher Kreisen auch liebevoll “kleiner Pisser” genannt) befand nach dem Spiel, dass er die Entscheidung fragwürdig fand. Wie auch immer, die Szene bestimmte den Rest des Spiels: Stürmende Leipziger gegen aufopferungsvoll verteidigende Gladbacher mit dem zwangsläufigen Ausgleichstreffer kurz vor Schluss.

Auch mit dem Abstand von zwei Tagen fällt es schwer, nicht frustriert zu sein. Dass die über weite Strecken beste Saisonleistung nicht zu einem Sieg geführt hat, ist bitter. Dass man damit nicht auf den zweiten Platz gesprungen ist ebenso. Aber was richtig weh tut, ist, dass  solch ein Ekelverein wie RBL auch im achten Anlauf nicht besiegt werden konnte, obwohl man diesmal den Sieg eigentlich schon fast in der Tasche hatte. Lässt man diese eher emotionalen Aspekten aber mal weg, so kann man auch viel Erfreuliches festhalten: Einen Punkt in Leipzig hätte man vor dem Spiel sicher unterschrieben. Man bleibt damit auch gut im Rennen um die CL-Plätze vor allem wo Leverkusen und Schalke auch nicht gewinnen konnten. Vor allem hat man nach einer längeren Serie von höchstens durchschnittlichen Spielen endlich mal wieder zumindest 50 Minuten die Elemente gezeigt, die Mitte der Hinrunde die Mannschaft wochenlang auf Platz Eins gehalten hat. Vor allem im Vergleich zum Spiel in Gelsenkirchen war dies eine gänzlich andere Borussia, die in ähnlicher Verfassung beste Chancen haben sollte in dieser Saison die Champions-League zu erreichen.

Meinungen aus der SEITENWAHL-Redaktion:

Mike Lukanz: Ich ertrage dieses 2:2 wie ein Mann. Es ist eine Frage des Respekts, nicht mit abfälligen Kommentaren über Leistungen Einzelner zu urteilen. Daher denke ich: ’Jetzt erst recht` und die Ersten, die das zu spüren bekommen, werden unsere Freunde aus der Domstadt sein.

Michael Heinen: So grausam kann Fußball sein. 50 Minuten lang spielte Borussia den Tabellenführer im eigenen Stadion an die Wand wie man es eigentlich andersherum befürchtet hatte. Erst das unfassbar unglückliche Anschlusstor und der überharte Platzverweis des einseitig pfeifenden Schiedsrichters wendeten das Blatt. Angesichts dieser widrigen Umstände ist das 2:2 ein sehr ordentliches Ergebnis einer insgesamt starken Leistung, an die Borussia in den nächsten Wochen anknüpfen sollte.

Christian Spoo: Hätte man mir vor dem Spiel gesagt, dass ich mich danach über ein Unentschieden ärgern würde, ich hätte es nicht geglaubt. War aber so. Slapstick-Sommer, der innerlich sehr sehr kleine Mann in Schwarz und die Unfähigkeit, nach dem Platzverweis noch für fünf Pfennig Entlastung hinzukriegen haben mir den Abend versaut. Mit neun Punkte in Folge könntet Ihr mich aber wieder versöhnen, Borussia!