Gespenstisch, bizarr, dystopisch. Adjektive wie diese beschreiben, was viele empfunden haben mögen, die das Derby von Borussia Mönchengladbach gegen den 1.FC Köln vor Fernseher oder Computer verfolgt haben. Fast unglaublich für ein Spiel dieser Historie und (zumindest nach jetzigem Stand) sportlichen Relevanz: Das Resultat spielt in der Nachschau fast eine Nebenrolle. Zu ungewöhnlich war - noch? - das Setting. Ein fast menschenleerer Borussia-Park. Ein merkwürdig halliger Sound bei den Pfiffen des Schiedsrichers, den Rufen der Trainer und Spieler  und den eher verhaltenen Reaktionen der wenigen Zeugen des Spiels - Journalisten, Betreuer und einige vermutlich in mehr oder weniger offizieller Funktion anwesende Menschen auf der Westtribüne. Von draußen drangen gelegentlich Anfeuerungsrufe der trotz gegenteiliger Bitte des Vereins vor die Nordkuve gezogenen Fans herein. Ach ja, Fußball wurde auch gespielt.

Auf dem Rasen war von Derbystimmung nicht viel zu spüren. Die fehlende Emotionalität von außen hatte anscheinend Auswirkung auf die Emotionalität auf dem Rasen. Was für ein Unterschied zum Derby in der Hinrunde - man erinnere sich an den wilden Auftritt des Debütanten Ramy Bensebaini und viele andere Aktionen der Spieler vor allem auf Borussenseite, die seinerzeit einen 1:0-Sieg zu sichern halfen. Ramy Bensebaini durfte gestern bis auf wenige Minuten vor dem Schlusspfiff gar nicht mittun und überhaupt erstaunte Marco Rose viele Borussen-Fans, und vermutlich nicht nur die, durch die Startaufstellung. Der zuletzt so erfolgreiche Lars Stindl saß neben Bensebaini auf der Bank. Breel Embolo übernahm seine Rolle als zweiter zentraler Offensiver. Statt dem gegen Dortmund nach seiner frühen Einwechslung auffällig starken Tony Jantschke durfte zudem Tobias Strobl im defensiven Mittelfeld ran. Ob das Signal an Köln "wir schlagen Euch auch mit der A2-Elf" sein sollte oder ob Rose die Wechsel aus Gründen der Belastungssteuerung vornahm, ist bisher nicht überliefert. Festzustellen bleibt, dass sich keine dieser personellen Veränderungen als Griff in die Tonne erwies. Oscar Wendt spielte anstelle von Bensebaini solide, ähnliches gilt für Strobl, auch wenn das, was er auf den Platz bringt, oft die Antithese zu dem darstellt, was man sich immer noch als "Rose-Fußball" vorstellt. Strobl ist keine Pressingmaschine, kein offensichtliches Laufwunder und bedient sich im Aufbau gerne anderer Mittel als des scharfen Vertikalpasses. Als wirklich effektiv erwies sich der Tausch Stindl/Embolo, denn der Schweizer war an den beiden Toren entscheidend beteiligt. Das erste machte er selbst, beim zweiten brachte seine scharfe Hereingabe von links Meré zu der verunglückten Rettungsaktion, die den Ball ins eigene Tor bugsierte. Die Frage, ob der Ball, wäre der eingesprungene Jorge unterblieben, Beute von Timo Horn geworden oder beim mitgelaufenen Marcus Thuram gelandet wäre, ist auch nach mehrfacher Ansicht der Szene nicht klar zu beantworten.

Über 90 Minuten betrachtet war das Spiel an Höhepunkten eher arm. Dass Borussia den stärkeren Kader hat, zeigte sich über fast die gesamte Spielzeit. Die Mannschaft bestimmte das Spiel, ohne den Gegner allerdings zu dominieren. Dass es allerdings am Ende extrem spannend wurde, hat das Team sich selbst zuzuschreiben. Der Anschlusstreffer zum 1:2 fiel aus dem Nichts und war das Resultat eines haarsträubenden Patzers von Yann Sommer, der beim Abstoß wegrutschte. Dass Borussia bei knappen Spielständen kein Team ist, das eine Partie ruhig zu Ende bringt, hat sich in dieser Saison schon mehrfach gezeigt. Die späten Gegentreffer in der entscheidenden Europa-League-Partie gegen Istanbul oder im Bundesliga-Heimspiel gegen Hoffenheim sind allen noch gut in Erinnerung, beides waren Spiele, in denen die Anteile ähnlich klar verteilt waren, wie jetzt gegen Köln. Den Knockout in der Schlussphase ersparte Borussia sich und den vor den Endgeräten schwitzenden Fans diesmal, auch wenn der FC in den letzten fünf Minuten zwei bis drei exzellente Möglichkeiten hatte, das Spielgeschehen noch zumindest in die Seitenlage zu bewegen.

Unter dem Strich zeigt sich: Geisterspiele sind Mist. Sollte es noch viele davon geben, werden wir uns vermutlich trotzdem daran gewöhnen und die Spieler vielleicht auch. Ob es noch viele geben wird, ist angesichts der extrem dynamischen Entwicklung an der Corona-Front kaum zu prognostizieren. Dass es in dieser Saison noch Bundesliga-Spiele mit Zuschauern geben wird, ist Stand jetzt mehr als unwahrscheinlich. Ob die Saison überhaupt regulär zu Ende gespielt wird, ist zumindest fraglich. Ob und wie der Sieg im Geisterderby dann überhaupt in die Wertung einfließt, welchen Wert dieses 2:1 also am Ende gehabt haben wird, weiß der liebe Gott.

 

Seitenwahl-Einschätzungen: 

Claus-Dieter Mayer:  Der Fußball in den Zeiten der Corona ist ein eher bizarres Ereignis; irgendwie wird die schönste Nebensache der Welt im Moment einfach nur noch zur Nebensache, die höchstens noch als Gradmesser für die Auswirkungen der Pandemie nützlich ist. Trotzdem freut man sich irgendwie über einen Derbysieg, darüber dass Embolo mal wieder getroffen hat und dass man wieder auf einem Platz steht der für einen Wettbewerb qualifiziert, von dem man noch nicht mal weiß, ob es ihn in diesem Jahr überhaupt geben wird.