Einen unruhigen Herbst bereitet uns das Jahr 2020, ob Anhänger von Borussia Mönchengladbach oder nur der Nationalmannschaft, immer noch im Zeichen der Pandemie, geprägt von vielen Spielen und wenig Fans. Unruhige Zeiten sind es auch, wenn die Borussia spielt und aus oft starken Leistungen nicht immer starke Ergebnisse holt; unruhige Zeiten kommen ausserdem fast immer um die 90. Minute auf. Am Mittwoche wäre ein Sieg jedenfalls hilfreich, um sich etwas mehr Ruhe für die nächsten Aufgaben zu verschaffen.

Denn jetzt geht es wieder an die Belohnung für die letzte Saison, die Champions League. Und mit Schachtar Donezk gegen die Mannschaft, gegen die die Borussen beim Hinspiel vor drei Wochen eines ihrer besten Spiele in langer Zeit und einen ihrer bemerkenswertesten Siege in einem europäischen Pokalwetttbewerb überhaupt zustande brachten. Was der Endstand von 6:0 mit dem letzten Ergebnis in gleicher Höhe der Nationalmannschaft gemeinsam hatte: Er war keineswegs zu hoch.

Aber anders als die Elf von Löw hatte Schachtar Donezk zuvor gegen zwei namhafte Gegner gut ausgesehen und so stellte sich nach dem glatten Sieg die Frage, was denn da genau geschehen war. Schließlich war es fast die gleiche Mannschaft, die Real Madrid beim 2:3 in Madrid überrascht hatte und anschließend Inter Mailand ein 0:0 abgerungen hatte. Nur der verletzte brasilianische Stürmer Dentinho wurde durch den fast gleichaltrigen und ähnlich lange im Verein spielenden brasilianischen Stürmer Taison ersetzt.

Aber offenbar hatten Rose und sein Team sich den Gegner gut angesehen, so sprach Christoph Kramer schon vor dem Spiel davon, phyische Vorteile nutzen zu wollen. Und nach dem frühen 1:0 konnte man erkennen, dass dem jungen brasilianisch-ukrainischen Team doch noch etwas Erfahrung fehlte, um gegen einen so stürmischen und früh attackierenden Gegner wieder ins Spiel zu kommen. Das Spiel entglitt ihnen völlig und die Borussen bedienten sich nach Kräften. Nach dem Desaster gab es ein wenig Gemurre in ukrainischen Medien: Die Aufstellung in dieser jungen Formation sei schon gegen Real Madrid recht experimentell gewesen, Trainer Castro hätte auch mal die erfahreneren Stepanenko und Matvyienko einbauen können.

Vielleicht war das Spiel doch gar nicht so ungewöhnlich, wenn man sich zum Vergleich mal ein Jahr zurück erinnert. Da trat eine individuell deutlich besser besetzte Mannschaft gegen ein eingespieltes und selbstbewusstes Team an, fand von Anfang an kein Mittel gegen die frühen Attacken und am Ende hatten die Borussen von Wolfsberg vier Tore eingeschenkt bekommen. Zumindest in der Höhe muss man den Sieg der Borussen in Kiew als einen ähnlichen Ausreisser einordnen. Und was bedeutet das Ergebnis von dort nun für das Rückspiel?

Voraussichtlich wenig, alleine schon wegen der zwangsweise geänderten Aufstellung. Pléa und Bensebaini warten darauf, dass ihre Corona-Infektion vorübergeht, Hofmann kuriert eine Muskelverletzung aus. Kramer hat sich als Vertretung von Hofmann so ausgezeichnet in die Mannschaft gespielt, dass Zakaria sich gerne noch die Zeit nehmen darf, um völlig fit zu werden. Embolo als Ersatz für Pléa zeigte gegen Augsburg einmal mehr sein Programm aus überragender Athletik und leicht verstelltem Visier. Überhaupt tut sich die Mannschaft seit dem glanzvollen Sieg von Kiew nicht leicht damit, auf hohem Niveau Konstanz zu zeigen. Obwohl die Borussen ihre beachtliche Stärke auch zumindest in einigen Bereichen auf den Platz bringen, ist das konstanteste immer noch das Gegentor ab der 89.  Minute.

Von den Alternativen im Kader zeigte sich Wolf gegen Augsburg leicht verbessert; Valentino Lazaro bringt, wenn er fit ist, viele gute Ansätze mit. Das spektakuläre Tor gegen Leverkusen ist eher keiner davon, mehr seine läuferische und Handlungsschnelligkeit, seine saubere Technik in engen Situationen. Sobald er Ausdauer für ein ganzes Spiel mitbringt, kann er den rechten Flügel offensiv beleben oder auch mal Laufmaschine Lainer zu einer Pause verhelfen.

Bei Schachtar Donezk steht zu vermuten, dass die angesprochenen Spieler mit mehr Erfahrung in der Startelf stehen werden. Des weiteren, dass sie die Partie mit mehr Zurückhaltung als sonst angehen werden, eher auf Konter bedacht als auf ihr übliches ballhaltendes Kurzpassspiel. Wenn die Ukrainer ins Spiel finden, wird es wichtig sein, dass Wendt sich auf seine defensiven Aufgaben gegen Tete und Dodo konzentriert, ebenso dass er entsprechend unterstützt wird. Einen weiteren Kantersieg braucht keiner zu erhoffen, einen weiteren Infarktmoment in der 90. Minute will auch keiner erwarten. Ein Sieg, irgendwie, und SEITENWAHL bereitet sich erstmals auf die Möglichkeit vor, auch aus der K.O.-Phase der Champions League zu berichten.

Die SEITENWAHL-Prognose

Michael Heinen: Der klare Hinspielsieg darf nicht dazu verleiten, den Sieg daheim als selbstverständlich anzusehen. So perfekt wie vor drei Wochen wird es für Borussia nicht noch einmal laufen. Am Ende kann man froh sein über einen hart erkämpften 2:1-Erfolg.

Mike Lukanz: Das 6:0 entwickelt sich mehr und mehr zum Ausreißer nach oben. Borussia ist noch nicht so weit und muss nach dem 1:2 gegen Donezk hoffen, dass Inter & Real auch weiterhin stolpern.

Uwe Pirl: Borussia beantragt bei der UEFA, dass in Zukunft alle Spiele nach 80 Minuten abgepfiffen werden, sofern Borussia führt. Mehr Spielzeit ist einfach illegal und ungerecht. Die UEFA lehnt natürlich ab. So müssen die Gladbacher in den letzten 10 Minuten wieder zittern, retten aber das 2:1 über die Zeit. Langsam darf man sich an den Gedanken gewöhnen, dass Europa im Frühjahr mit Borussia stattfindet.

Thomas Häcki: Ein Heimspiel? In der Champions League? Die Chance auf den großen Wurf? Das alles lässt ein ernüchterndes 0:2 erwarten.

Claus-Dieter Mayer: Die Borussia zeigt wieder ihr Champions-League-Gesicht und obwohl der Gegner diesmal seriösere Gegenwehr liefert als noch beim Hinspiel, reichen eine konzentrierte Mannschaftsleistung und zwei Thuram-Tore zum 2:0-Sieg.

Christian Spoo: Eine merkwürdige Mischung aus Nervenschwäche und Überheblichkeit kostet Borussia wertvolle Punkte. Donezk präsentiert sich völlig anders als im ersten Duel und gewinnt im Borussia-Park mit 2:1. Das Siegtor fällt natürlich kurz vor dem Abpfiff.