Am 03. Februar 2021 veröffentlichte die Taskforce „Zukunft Profifußball“ der DFL ihren Ergebnisbericht mit dem Titel „Blick in die Zukunft: Bundesliga und 2. Bundesliga 2030“. Das Dokument ist das Resultat viermonatiger Beratungen von 37 „Expertinnen und Experten aus Sport, Gesellschaft, Wissenschaft, Politik und Wirtschaft“, die sich „in interdisziplinären Diskussionen ergebnisoffen mit bedeutenden Themen und Fragestellungen zur Zukunft des Profifußballs beschäftigt“ haben. Max Eberl nahm als Vertreter der DFL-Kommission Fußball an diesen Beratungen teil. Wer den neunseitigen Endbericht liest, versteht, warum Borussias Sportdirektor im Januar eine einmonatige Erholungspause benötigte.

Während man dem seit Jahrzehnten bis ins Mark verrotteten DFB keine plausible Existenzberechtigung mehr zusprechen kann, stellt die DFL einen Organisationsrahmen dar, in dem Vernunft kein Fremdwort ist. Man muß nicht alles gut finden, was dort verlautbart wird, zumal der deutsche Profifußball ein breites Spektrum von Interessen aufweist, die nur schwierig zusammenzuführen sind. Dennoch ist es sinnvoll sowie für den Verein Borussia Mönchengladbach und dessen Repräsentanten ehrenhaft, gleich in fünf der sechs DFL-Kommissionen vertreten zu sein sowie mit Max Eberl einen Abgeordneten in die DFL-Taskforce „Zukunft Profifußball“ entsandt zu haben. Leider ist das Ergebnis dieser Taskforce bislang enttäuschend. Gleichzeitig ist die dort geführte Diskussion zu wichtig, um sie in dieser – wie der Endbericht aufzeigt – unzulänglichen Gesprächsgruppe zu belassen.

Der Anfang des Berichtes liest sich noch sachlich und beschreibt korrekt den hohen sportlichen Wert und die weltweite Reputation des deutschen Profifußballs. Bereits der zweite Absatz läßt jedoch die Bullshit-Alarmglocken läuten: „Die Proficlubs haben durch ihre Maßnahmen zur Nachhaltigkeit im Kerngeschäft mit den drei Säulen „Ökonomie“, „Ökologie“ und „sozial-gesellschaftliche Aspekte“ breite Bevölkerungsschichten für Umwelt und Klimaschutz mit dem Ziel CO2-Neutralität, soziale Verantwortung und gute Führung gewinnen können.“ Gesunde Selbsteinschätzung sieht anders aus. Man möchte den Autoren den guten Willen nicht absprechen, doch ein Realitätscheck offenbart eine alternative Wirklichkeit. Borussia nehme ich von dieser Bemerkung aus, auch wenn es beispielsweise länger als bis 2030 dauern wird, bis der Verkehr auf den Parkplätzen am Borussia-Park an einem Bundesliga-Spieltag CO2-neutral sein wird, falls das überhaupt eine relevante Zielstellung sein sollte. Einen beträchtlichen Teil der anderen Profivereine als Sinnbilder von sozialer Verantwortung und guter Führung darzustellen (Schalke? Hertha? HSV? Rinderbrühe?) ist allerdings mehr als gewagt.

Bei der weiteren Lektüre macht sich das Gefühl breit, daß zumindest einigen der Taskforce-Mitglieder bei solchen Worthülsen unwohl war. Die nächsten Absätze summieren wiederum einige faktenbasierte Qualitätsmerkmale auf, denen kaum widersprochen werden kann. Hierzu gehört auch die Einbindung von Fangruppen in partizipative Strukturen, nicht jedoch „aller“ Fangruppen und deutlich mehr bei manchen Vereinen als bei anderen oder gar in den Verbänden, wie das Papier behauptet. Dann aber kommt erneut ein Rekurs auf die Good governance-Rhetorik, diesmal mit dem Holzhammer: „Die Haltung und das Handeln der DFL und der Clubs sind gekennzeichnet durch Integrität, Transparenz, wirtschaftliche Vernunft und demokratische Strukturen. Compliance-Systeme mit unabhängigen Kontrollorganen sichern die Einhaltung von Gesetzen und Standards insbesondere zum fairen Wettbewerb. Sie sorgen für Chancengleichheit, Vielfalt und Offenheit. DFL und Clubs, genauso wie Fans, Sponsoren und weitere Beteiligte zeigen sich selbstkritisch und übernehmen Verantwortung“ und so weiter. Bla sülz blubber. Drei Gänge runterschalten und erst mal den ersten Gang finden wäre ein Ratschlag, der vielleicht nicht aus Compliance-Systemen unabhängiger Kontrollorgane entstammt, jedoch erfrischend zielführend wäre. Immerhin offenbart der inkonsistente Wortbrei auf Seite 1, daß diese Taskforce noch nicht vollständig gleichgeschaltet ist, sondern mehrere Köche zusammen im selben Topf rühren.

In der Tat muß man konzedieren, daß den Verfassern des Endberichtes dieser Prozeßcharakter – der eher gerade begonnen hat als daß er abgeschlossen ist – gewärtig ist. Nach dem Flächenbombardement auf Seite 1 listet Seite 2 in angenehmer Ehrlichkeit auf, wie unvollendet und kontrovers wohl manche Diskussion gewesen sein muß. „Unterschiedliche externe Perspektiven“ waren zu „berücksichtigen“, und die Diskussionen „haben geholfen, Problemfelder zu konkretisieren“. Anders ausgedrückt: Es haben Gespräche stattgefunden. Punkt. Interessanterweise lesen wir dann, „das oben skizzierte Zukunftsbild entwickelte sich im Nachhinein aus den Diskussionen der Arbeitsgruppen“. Im Nachhinein, aha, durch wen? Durch die gesamte Gruppe, einen Teil davon oder jemand anderen in der DFL?

Es wäre unrealistisch, einen Konsens zu erwarten, wenn unter 37 Teilnehmern neben Sportfunktionären, Fußballern und Fachjournalisten sowie einem halben Dutzend Fanvertreter auch eine dubiose Masse an aktiven oder ausrangierten (Martin Schulz a.D.) Politikern, Sponsoren und Beratern firmiert. Gerade letzteres gibt Anlaß zur Vermutung, daß hier vielleicht mancher gleicher als andere gewesen ist, zumal die Wortwahl einzelner Passagen auf die anwesenden Beratungsfirmen hindeutet. Meine zwanzigjährige Erfahrung mit zahlreichen Beratungsfirmen besagt, daß dies Unternehmen sind, die Scheiße so lange rühren, bis sie wie Kakao aussieht, den sie dann edel etikettiert im Feinkostgeschäft verkaufen. Der DFL-Endbericht ist in Teilen ein weiterer Beleg hierfür.

Eventuell ist das jedoch eine Verschwörungstheorie meinerseits, und Sätze wie der folgende stehen wirklich im Duden oder sind Standardsprache in der Sesamstraße: „Die DFL wird nach Konsultation von Expert*innen eine Entscheidung über die Orientierung der Maßnahmen an ESG-Kriterien (Environmental, Social, Governance) oder SDG (Sustainable Development Goals) treffen.“ Noch schöner ist aus meiner Sicht diese Perle: „Mit dem klaren Ziel, die definierten Werte auch zu leben, spricht sich die Taskforce für die Ausarbeitung von verbindlichen Kodizes und eines Menschenrechtskonzeptes aus. … Die UN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte sollten hierbei als Grundlage dienen, insbesondere um eine einheitliche und international anerkannte Herangehensweise einschließlich Wiedergutmachung zu sichern.“ Wiedergutmachung warum und für wen, das bleibt offen, aber es klingt irgendwie inklusiv.

Apropos Maßnahmen. Den Hauptteil des Endberichtes bilden 17 Handlungsempfehlungen für die DFL und die 36 Vereine der Bundesliga und 2. Bundesliga. Manches davon ist sinnvoll und brotnötig, etwa die Stärkung der wirtschaftlichen Stabilität der Vereine (eine weitere Arbeitsgruppe soll dies diskutieren) und die damit in engem Zusammenhang stehende Auslegung der 50+1-Regel („Evaluierung“ genannt, auch hier geht gleich die Alarmglocke an). Positiv ist die eingangs deutlich getroffene Aussage „Die 50+1-Regelung hat … wesentlich zur Stabilität des deutschen Profifußballs beigetragen und sollte deshalb beibehalten werden.“, doch bereits zwei Sätze weiter reißt der Hintern ein, was die Hände gerade errichtet haben: „Eine unvoreingenommene, offene Prüfung, ob unter Vorgabe transparenter Bedingungen bestimmten Investierenden, die ESG-Kriterien erfüllen oder verfolgen, der Weg in den Profifußball erleichtert werden kann, wird als sinnvoll erachtet.“ Ich bin mir sicher, daß auch Ölscheichs und Hedge Fonds ESG-Kriterien erfüllen oder verfolgen, wenn ihnen das den Weg in den Profifußball erleichtert.

Am Rande sei bemerkt, daß unter den Handlungsempfehlungen auch viel gesellschaftlich Sinnvolles diskutiert wird, etwa die Förderung von sozialen Projekten, die verstärkte Einbindung von Fanvertretern in Gremien oder der geniale Doppelpaß zwischen „14. Förderung von Frauenfußball“ und „15. Förderung von Frauen im Fußball“, daß ich bei so viel Inklusivität aber Handlungsempfehlungen wie „18. Entschädigung von Witwen und Waisen beim Stadionbau in Katar verunglückter Zwangsarbeiter“ vermisse. Das wäre ja auch nicht investitionsfreundlich, wobei wir wieder bei der wirtschaftlichen Stabilität wären (Sklavenhandel nein, Rinderbrühe ja; wenn Sie das nicht verstehen, wird es Ihnen eine Beratungsfirma gerne erklären). Doch halt, vielleicht können die Witwen und Waisen auf Basis der oben angeführten UN-Leitlinien Anträge auf Wiedergutmachung bei der DFL stellen. Das wäre zwar eigentlich Sache des DFB, doch dessen Führungsspitze hat gerade anderes zu tun.

Bedenklich ist weiterhin, daß die Nachwuchsförderung einen viel zu niedrigen Stellenwert einnimmt und mit ein paar Allgemeinplätzen in der zweiten Hälfte des Endberichtes abgespeist wird. Zudem wird explizit betont, daß es Traditionsclubs im Frauenfußball zu schützen gilt (ohne zu sagen warum und wie), doch bei den Männern ist hiervon keine Sprache. Solche Inkonsistenzen finden sich wiederholt und sind hoffentlich dem frühen Stadium des Diskussionsprozesses geschuldet. Weiterhin finden sich Passagen mit Initiativen, von denen die DFL tunlichst die Finger lassen sollte. So ist Folgendes so überflüssig wie ein Kropf, da viele Vereine seit langem hierbei positive Zeichen setzen und diese Autonomie nicht reduziert werden sollte: „Zur Stärkung der Solidarität zwischen den Vereinen und Ligen kann die Einführung einer „Pre-Season“ dienen. Einhergehend soll sondiert werden, inwiefern Freundschaftsspiele zwischen Bundesligisten und unterklassigen Vereinen stattfinden und vermarktet werden könnten. Etwaige Erlöse sollen den unterklassigen Vereinen und/oder gemeinnützigen Initiativen zugutekommen.“

Unabhängig von all diesen Mängeln ist es sehr nützlich, sich den Endbericht im Ganzen durchzulesen, denn obwohl er alles andere als befriedigend ist, zeigt er zahlreiche Felder auf, in denen Analyse- und teils auch Handlungsbedarf besteht. Einiges wird auf dieser Grundlage auf die Vereine und somit uns alle zukommen. Als nächstes wird sich das DFL-Präsidium mit den Vorschlägen auseinandersetzen und erörtern, welche Instrumente und Maßnahmen zweckmäßig sein könnten und umgesetzt werden sollten. Die endgültige Entscheidung werden dann die 36 Vereine der Bundesliga und 2. Bundesliga als DFL-Mitgliederversammlung treffen.

Sowohl diese Vorgehensweise als auch zahlreiche Vorschläge sind nach der Veröffentlichung des Endberichts stark kritisiert worden, wobei der jeweilige Fokus auf ganz unterschiedlichen und oft gegensätzlichen Dingen lag. Diese Kritik war und ist überzogen. So schlecht dieses Dokument ist, so wichtig ist es, weil es aufzeigt, wie wenig Konsens im deutschen Profifußball besteht und welche Möglichkeiten es geben könnte, punktuell – und ohne den noch viel zu stark vorhandenen Ballast an übertrieben Erwartungen und leeren Worthülsen – und Schritt für Schritt zielführende Maßnahmen zu ergreifen, und zwar von unten nach oben, nicht andersherum.

Borussia Mönchengladbach ist als Verein bereits sehr gut positioniert. Der Verein verfügt über eine aktive, selbstbewußte und in die meisten Diskussionen gut eingebundene Fanszene. Klub und Fans haben sich frühzeitig einen Verhaltenskodex gegeben, der von der Jugendarbeit aufwärts umgesetzt wird. Soziales Engagement ist zum Beispiel über die Borussia-Stiftung gelebte Realität, ebenso wie Partnerschaften mit Amateurvereinen sowie regelmäßige Kontakte etwa zum Vatikan und Israel, was gelebte Vielfalt und Toleranz symbolisiert. Dennoch (oder gerade deshalb) wäre bei den oben diskutierten Sachthemen zu wünschen, daß der Diskussionsprozeß über die Zukunft des deutschen Profifußballs nicht auf die DFL begrenzt bleibt und auch nicht auf die fünf Vereinsrepräsentanten in den DFL-Kommissionen, so kompetent diese auch sind.

Borussia sollte vielmehr selbst die Initiative nehmen, innerhalb des Vereins mit Mitgliedern und Fans eine breite Diskussion zu führen (ob auf einer digitalen Plattform, in einer Arbeitsgruppe oder beidem, das sei hier dahingestellt), was für uns sinnvoll und wünschenswert ist in allen genannten Bereichen. Es ist nicht damit getan, einen Sportdirektor vier Monate lang an einem Diskussionstisch zu haben und ansonsten mit einer Handvoll Experten in geschlossenen Foren zu tagen. Mich als Fan interessieren keine UN-Standards, sondern allenfalls, ob mein Bier nach dem Reinheitsgebot gebraut ist und ob ich das Schwein kenne, von dem meine Wurst stammt. Weniger Gesülze und mehr Bodenhaftung wären gut, und wer wäre besser geeignet als unser Verein, um hier ein positives Beispiel zu setzen, für das andere überhaupt keine gewachsene Fan- und Diskussionskultur haben?