Copyright: Ulrich Hufnagel/Hufnagel PR

Fast zehn Jahre ging es nur aufwärts mit Borussia: sportlich, wirtschaftlich und was das Ansehen betrifft. Der nächste Dienstag sollte der bisherige Höhepunkt einer Entwicklung vom Kaufhaus des Westens zum gallischen Dorf werden: Rückspiel im Champions League-Achtelfinale und damit der größte internationale Erfolg seit 43 Jahren. Tatsächlich kenne ich niemanden, den das aktuell im mindesten interessiert. Die Stimmung ist unterirdisch, und das hat nichts mit ein paar Niederlagen am Stück zu tun. Vielmehr wird das gallische Dorf tagtäglich vergiftet von Wesenszügen, die uns am Niederrhein wesensfremd sind. Es würde zu kurz greifen, dies auf die Person des Noch-Trainers zu verkürzen. Er ist aber das Gesicht einer Episode, die hoffentlich einmalig bleiben wird.

Borussias Erfolge im letzten Jahrzehnt tragen Namen, die jeder kennt: vom Präsidium über eine Vielzahl engagierter und integrer Mitarbeiter sowie ein breites Umfeld von Mitgliedern, Förderern und Fans bis zum kongenialen Duo Eberl/Schippers, deren Vertragsverlängerung ein Höhepunkt dieser Saison war. All dies atmet Professionalität und Kontinuität, ist unverzichtbar und soll hier mit keinem Wort hinterfragt werden. Der Verein ist gesund, bestens aufgestellt und wird auch die aktuellen Probleme meistern. Das letzte Jahrzehnt hat sportlich einen Erfolgsmaßstab, dessen Bedeutung viel zu oft unterschätzt wird: seit 2011 hat Borussia jede Saison in der oberen Tabellenhälfte abgeschlossen; das ist nicht spektakulär, aber exzellent. Wirtschaftlich ist der Verein kerngesund, und der Zukunft kann man bei allen Unwägbarkeiten mit Optimismus entgegensehen. Luxus pur.

Soviel zur langfristigen Entwicklung. Kurzfristig sehen wir das exakte Gegenteil. Mit dem besten Kader seit weit über zehn Jahren stehen wir so schlecht da wie nie in dieser Periode: Platz zehn, Tendenz freier Fall. Die Mannschaft ist zutiefst verunsichert, die Fans sind zurecht aufgebracht, und ein völlig unnötiger Riß tut sich auf zwischen Teilen der Vereinsführung und der Mehrzahl der Anhänger Borussias, die sehr genau wissen, wo die Ursache des Problems liegt und übrigens, jawohl, als erwachsene und in ihrem jeweiligen Umfeld gestandene Bürger, Unternehmer, Arbeiter oder was auch immer dies auch sachlich beurteilen können, ohne mit dem Pöbel aus einzelnen Troll-Internetforen in einen Topf geworfen werden zu dürfen.

Der Rest der Spielzeit gibt Raum für Horrorszenarien, und das nächste Bundesligaspiel auf Schalke bedeutet High Noon vor dem Saloon: Geht dieses Spiel auch noch verloren, dann gibt es zwei glasklare Alternativen: Die erste heißt weitermachen mit Rose bis zum Ende der Saison und damit einen Flurschaden anrichten, der sich nicht nur in Tonnen Gift und Galle äußern wird, sondern auch in der Vernichtung des Vereinskapitals – Transferwert der Spieler, Fernsehgelder wegen schlechterer Platzierung in der Liga, Anziehungskraft für neu zu verpflichtende Trainer und Spieler, Vertrauen – in massivem Ausmaß (was übrigens auch heißt: Verlust von Arbeitsplätzen). Die andere heißt Neuanfang, mit egal wem. Ich teile vollständig die Feststellung eines Redaktionskollegen, man solle doch Rose durch die Eckfahne ersetzen (Marcus Thuram, Ihr Auftrag!): weniger Punkte gibt es dann auch nicht, aber die Stimmung wird schlagartig besser.

Es soll in diesem Beitrag aber nicht primär um die Person Rose gehen, denn dazu ist inzwischen alles gesagt, von jedem, mehrfach. Der Herr geht nach Dortmund und paßt dorthin, zu dieser Aktiengesellschaft mit atemberaubend schlechtem Verhältnis zwischen Mitteleinsatz und Ertrag, „wie Arsch auf Eimer“, wie es im Ruhrpott so schön heißt, wenn sich zwei gefunden haben, die perfekt zueinander passen. Es geht vielmehr um die Werte, die uns dieser Herr vorlebt, auf dem Feld und daneben. Das gallische Dorf ist stark und von einem stabilen Palisadenzaun umgeben, und Gefahren von außen kann man mit souveräner Gelassenheit gegenüberstehen – es sei denn, man holt sich die Gefahren selbst ins Dorf, denn dann zersetzen sie das Gemeinwesen von innen. Genau das passiert hier. Die Gefahr heißt nicht Rose, sie heißt Rinderbrühe und ist eine Mentalität, die ich als Krankheit im Fußball ansehe.

Mit der Rinderbrühe ist das eine gefährliche Sache: Sie wird marketingtechnisch prima verpackt, schmeckt anfangs prickelnd und belebt. Danach kommt ein fader Beigeschmack, ist die Substanzverbesserung im Körper null und bleibt am Ende, im letzten Stadium der Verdauung, ein Haufen Scheiße.

Ich verstehe gut, wie es anfangs dazu kommen konnte. Nach dem Untertauchen Favres war die Sequenz Schubert-Hecking eine Prüfung für die Borussenseele, sportlich durchaus nicht erfolglos, solide, erdig-bodenständig, aber ungefähr so sexy wie die Strumpfhose von Arjen Robben. Dann ist da plötzlich einer auf dem Markt, der nicht nur drei Sätze am Stück reden kann, in seinem Umfeld erfolgreich und populär ist, sondern auch den Finger auf Borussias sportliche Wunden legt: fehlende Bissigkeit, zu wenig Sprints, kein hohes Pressing, Ballverwaltungsfußball. Hecking halt. Tja, und dann kommt mit Rose ein Stab von Assistenz-Zauberern, und im Nu ersetzen wir Fußball durch Leichtathletik, Ästhetik durch Gewalt, eine Basis legen durch blitzartiges Verfeuern aller vorhandenen Knallkörper. Beeindruckend, bunt, laut. Rinderbrühe eben.

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Ebenso aber: effektheischend, nicht nachhaltig, flüchtig, letztlich dem Fußball – unserem Fußball am Niederrhein – wesensfremd. Diese Art von überfallartiger Leichtathletik mit dem Fohlenfußball der siebziger Jahre zu vergleichen, das ist ein Affront. Fohlenfußball ist eine konsistente Philosophie gelebter Überlegenheit und Schönheit gepaart mit Risiko und Schmiß. So etwas haben wir zeitwiese unter Favre gespielt, aber nie unter Rose. Was Borussia braucht, ist ein Fährtenleser, der langsam dem Wild näherkommt, durch Verständnis seines Wesens und mit dem nötigen Respekt die Chance auf den Jagderfolg erst erschafft und dann den entscheidenden letzten Schritt konsequent durchzieht (hier endet leider der Favre-Vergleich). Was Borussia hat, sind ein paar Scharlatane, die genau berechnen, daß das Wild 273 Meter halbrechts steht und man 35,3 km/h sprinten können muß, um in seine Nähe zu kommen, aber leider funktioniert das nur einmal, wenn überhaupt.

Das Ergebnis war in Augsburg zu bewundern. Alle Statistiken top, bis auf das Spielresultat. Möchte sich jetzt wirklich jemand hinstellen und mir entgegnen, daß das Pech war und der Fußball eben so ist? Diese Diskussion werde ich nicht mehr führen. Ich schaute mir am Freitag die erste Hälfte an und ging dann schlafen. Ich bin lange genug im Geschäft, um zu wissen, wie solche Spiele ausgehen. Im Stadion hätte ich ausgeharrt bis zum Ende, aus preußischer Tradition, aber soll ich zu Hause etwa den Bildschirm hypnotisieren in der Hoffnung, daß das Einfluß auf das Spiel hat? Nein, Masochismus ist mir wesensfremd (leiden, das ja, mit Dank an 45 Jahre zusammen mit Borussia, aber das hier geht dann doch zu weit). Das ist auch kein Desinteresse, das ist nur entgeisternde Borussenrealität im März 2021. Wer das bezweifelt, den ermuntere ich, sich vor den Spiegel zu stellen und sich die Frage zu beantworten, ob er in Augsburg zur Halbzeit noch einen Pfifferling auf unsere Mannschaft gesetzt hat. Ehrliche Antwort bitte.

Kurzum: Wir haben aus Langeweile, aus Übermut, wohl auch aus Überzeugung und nach langem Nachdenken eine Dosis Rinderbrühe bestellt, bekommen und erlebt. Nichts hat sich dadurch verbessert. Im günstigsten Fall kann man sagen, daß die Mannschaft zweimal in der Hinrunde überzeugen konnte und zweimal in der Rückrunde abgeschmiert ist, einmal mehr, einmal weniger. Das hatten wir die Jahre davor auch bereits. Im schlechtesten Fall – und das ist für mich aktuell die Realität – haben wir die oben geschilderten Zustände, mit Aussicht auf noch mehr davon, wenn wir nicht handeln.

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Fazit: Rose ist ein Symptom einer tiefer liegenden Krankheit. Shareholder value statt Substanz, und wenn die Kacke am Dampfen oder die Geldtasche anderswo dicker ist, dann folgt der Abflug. Was ich für die Zukunft möchte, ist einfach: Back to the basics. Mehr Arbeit als dicke Hose. Mehr Hennes-Weisweiler-Allee als Borsigplatz. Viel mehr Mineralwasser als Rinderbrühe. Ab und zu mit einem Spritzer Zitrone, aber nur sonntags. Und nie wieder jemanden aus dem Rinderbrühe-Umfeld, auch nicht im Sommer, schon gar nicht als Trainer. Fehler kann man machen, aber nur einmal denselben.