Am Freitagabend startet die Bundesliga mit ihrem einzig wahren Klassiker in die 59. Saison. An die letzten Heimspiele, die Borussia Mönchengladbach zum Saisonstart gegen Bayern München ausgetragen hat, haben ältere Fans noch gute Erinnerungen. Im Jahr 2001 gelang Arie van Lent ein legendäres Tor und dem Aufsteiger vom Niederrhein ein nicht minder legendärer 1:0-Sieg. Im Jahr darauf reichte es unter Trainergott Hans Meyer immerhin noch zu einem achtbaren 0:0. Unvergessen auch der 1:0-Erfolg neun Jahre später, bei dem Igor de Camargo seinen zweitschönsten Treffer im Dress mit der Raute erzielte. Statistisch spricht vieles dafür, dass diese ruhmreichen Erfahrungen in dieser Saison um eine weitere bereichert werden können. In den letzten vier Spielzeiten konnte Borussia stets die Hinrunden-Partie gegen den Rekordmeister für sich entscheiden. Zuletzt gelang dies Anfang Januar trotz eines 0:2-Rückstands und insbesondere dank Jonas Hofmann, der die Partie beinahe im Alleingang zum 3:2 drehte. Spätestens mit diesem Auftritt ließ er sämtliche Kritiker an seiner Person verstummen.

Zuletzt war der Ex-Mainzer noch angeschlagen. Sein Kurzeinsatz im Pokal lässt aber darauf schließen, dass Hütter für den Ligastart mit ihm plant. Überhaupt hatten beide Vereine eine schwierige Vorbereitung und werden zum Saisonstart noch nicht bei 100 % sein können. Nicht die schlechtesten Voraussetzungen für einen Überraschungssieg. Einen solchen visieren die Bayern bei ihrem Angstgegner an, um die Bahn zu ebnen für ihren 10. Meistertitel in Folge. *gähn*

Angesichts der Konkurrenzlosigkeit in der Bundesliga mutet es bizarr an, dass der neue Vorstandsvorsitzende und der neue Trainer zuletzt öffentlich die fehlende Wettbewerbsfähigkeit im europäischen Profifußball beklagten. International bekommen die Bayern aufgezeigt, dass sich finanzielle Rückstände gegenüber größeren Vereinen nur sehr bedingt ausgleichen lassen. National hat man sich an die turmhohe Überlegenheit inzwischen schon fast gewöhnt, sodass es im Grunde niemanden mehr ernsthaft interessiert, ob der Verein jetzt noch zum neunten, zehnten oder drölften Mal in Folge Meister wird. Man muss als Bayern-Sympathisant schon sehr wenig sonstige Freuden im Leben haben, um sich tatsächlich über einen derart belanglosen Titel freuen zu können. Sportlich hat dieser in etwa dieselbe Wertigkeit wie für Borussia das Erreichen des einstelligen Tabellenplatzes.

Die Meisterschaft kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Bayern ebenso wie Borussia eine schwache Vorsaison absolviert haben und sich daher von einem neuen Trainer eine Rückkehr zu erfolgreicheren Zeiten versprechen. 25 Mio. € war es dem FCB wert, seinen zuletzt ärgsten Ligakonkurrenten zu schwächen und Julian Nagelsmann abzuwerben. Der 34jährige ist gebürtiger Bayer und passt auch sonst mit seiner arroganten Art hervorragend zum Rekordmeister.

Er kann ohne jeden Zweifel auf den mit Abstand besten Kader der Liga zurückgreifen, der ab dem zweiten Spieltag in jede Partie als Favorit starten wird. Anders als in vielen der letzten Jahre birgt die Mannschaft aber ein paar Schwachstellen, die bei unglücklichem Verlauf zu einem echten Problem heranwachsen können. Im Sturm steht und fällt alles mit Rekordtorschützen Robert Lewandowski. Sollte der bald 33jährige Pole längere Zeit ausfallen, würde Nagelsmann vor einem ähnlichen Problem stehen wie zuletzt Joachim Löw bei der Europameisterschaft: Mit Müller, Sané und Gnabry stehen zwar torgefährliche Offensivspieler bereit, von denen aber keiner auch nur annähernd die Abgebrühtheit eines Lewandowski hat. Auch in der Defensive wird es bei einer Verletztenwelle eng, was direkt zum Start auf eine ernste Probe gestellt wird: Hernandez, Süle und Pavard werden zunächst nicht verfügbar sein. Und auch Davies und Nianzou waren zuletzt häufiger verletzt als einsatzbereit. Sie werden aber voraussichtlich mit Neuzugang Upamecano und Notlösung Bouna Sarr die Viererkette bilden können. Nicht nur wegen der fehlenden Eingespieltheit dieser Defensivreihe könnte diese Formation von einer gut funktionierenden gegnerischen Offensivreihe erfolgreich attackiert werden.

Problem: Wie funktionstüchtig Borussias Offensive derzeit ist, wird sich erst am Freitagabend herausstellen. Während Embolo definitiv ausfällt, könnten Thuram und Plea ggf. wieder zur Verfügung stehen. Damit nicht offensiv alles allein von Kapitän Stindl abhängt, sollte mindestens einer der beiden Franzosen an seiner Seite auflaufen und idealerweise direkt wieder an seine Bestform aus vergangenen Zeiten anknüpfen. In der Viererkette kann Borussia dagegen auf drei altbewährte Stammspieler setzen. Nur Ramy Bensebaini wird noch fehlen und vermutlich erneut durch Joe Scally ersetzt.

Aufstellung:

Borussia: Sommer – Lainer, Ginter, Elvedi, Scally – Kramer, Neuhaus – Hofmann, Stindl, Wolf – Thuram

Bayern: Neuer – Sarr, Upamecano, Nianzou, Davies – Müller, Kimmich, Goretzka – Sané, Gnabry, Lewandowski

Michael Heinen: Die Bayern sind kein Stolperstein auf dem Weg zur ersten Hütter-Gaudi dieser Saison. Borussia siegt 2:1 und setzt sich damit zumindest für eine Nacht an die Spitze der Bundesliga-Tabelle, von der sie dann aber am Samstag die Frankfurter Eintracht und am Sonntag der Big City Club aus Berlin verdrängt.

Thomas Häcki: Mangels Vorbereitung ist die Borussia noch deutlich von ihrem eigentlichen Leistungsvermögen entfernt. Das geht den Bayern zwar grundsätzlich auch so, bei den Fohlen macht es sich aber mehr bemerkbar. Das 0:1 ist aber kein Beinbruch.

Christian Spoo: Zwei Teams in der Findungsphase. Bei beiden läuft noch nicht alles rund, bei Borussia mangelt es aber vor allem noch/wieder an der Effizienz. Am Ende gewinnt Bayern höher als es der Leistungsunterschied hergibt, mit 4:1.

Uwe Pirl: Borussia hat Verletzungssorgen, Bayern hat kein einziges Testspiel gewonnen. Also spielt am Freitagabend zur Eröffnung der neuen Bundesligasaison Not gegen Elend. Wie passend, angesichts des Zustandes des deutschen Fußballs. Immerhin begegnen sich Not gegen Elend auf Augenhöhe, sodass Borussia sich über ein 2:2 zum Auftakt freuen darf.

Claus-Dieter Mayer: Mit einem 3:1 Sieg über den Rekordmeister kann die Borussia zumindest für eine Nacht die Tabellenführung übernehmen.