In der glorreichen Vereins-Historie der Borussia hat es unzählige kuriose Partien gegeben. Mal zum Vorteil der Borussia, wie z. B. die Eigentor-Parade von Hannover oder die zahlreichen Pannenauftritte des Kölner effzehs. Oft genug aber zum Nachteil Borussias – man denke nur an diverse Büchsenwürfe, Pfostenbrüche oder korrupte Schiedsrichter aus dem westlichen Nachbarland. Ein Spiel wie diesen Samstag, in dem von der zweiten bis zur allerletzten Minute dermaßen viel gegen Borussia gelaufen ist, hat es aber nur sehr selten gegeben.

Alles fing an mit einem Pfostenschuss, der dermaßen unglücklich zurückprallte, dass Yann Sommer ihn ins eigene Tor beförderte. Ausgerechnet Sommer, der sich in den letzten Monaten so oft in Weltklasseform präsentiert hat. Obwohl ihm bei dieser Szene überhaupt kein Vorwurf gemacht werden konnte, ließ sich der Schweizer trotz all seiner Erfahrung sichtlich beeindrucken. Mehrfach wirkte er verunsichert und sah beim 0:2 wie beim 0:4 nicht glücklich aus. Beide Gegentore hätte ein Yann Sommer in Normalform pariert. An diesem rabenschwarzen Samstagabend lief aber bei ihm, wie auch bei seinen Mitspielern, alles schief, was schieflaufen konnte.

Noch schwerer als das 0:4-Endresultat wogen die insgesamt fünf Verletzungen von wichtigen Stammspielern – vier davon durch Fremdeinwirkung des allzu engagiert auftretenden Gastgebers. Wenn man davon ausgeht, dass es die wichtigste Aufgabe eines Schiedsrichters ist, die Gesundheit der Spieler zu schützen, dann hat Deniz Aytekin auf ganzer Linie versagt. Er ließ das überharte Spiel der Leverkusener gewähren und gab diesen lediglich zwei Gelbe Karten wegen Foulspiels. Insbesondere Mitchel Bakker hätte für seinen gezielten Tritt in den Knöchel von Stefan Lainer vom Platz gestellt werden müssen – und das nicht nur wegen dessen tragischer Verletzung. Bakker hatte lediglich die Absicht, Lainer möglichst noch vor dem Strafraum zu stoppen und nahm dabei dessen Verletzung billigend in Kauf. Dass Lars Stindl anschließend den vom VAR ermöglichten Elfmeter nicht im Tor unterbringen konnte, passte ins unglückselige Bild dieses Abends.

Die Medien überschlugen sich während und nach der Partie mit Lobeshymnen auf die überragende und intensive Leistung der Bayer-Elf. Diese Wertung ist zwar korrekt, sollte aber mit der Betrachtung einhergehen, dass dieses durch eine höchst unfaire Spielweise erkauft wurde, die vier Spieler des Gegners außer Gefecht gesetzt hat.

Doch genug des Wehklagens über unglückliche Umstände und unfaire Gegner. Der leider weit größere Teil der Wahrheit lautet nämlich, dass Borussia im zweiten Ligaspiel unter Adi Hütter eine grottenschlechte Leistung abgeliefert hat und damit das Unglück ein Stück weit erzwungen hat. Die Mannschaft agierte über weite Strecken genauso ideenlos und verunsichert wie im Vorjahr unter Marco Rose. Pässe kamen fast immer ungenau oder landeten direkt beim Gegner. Die Außenbahnen wurden komplett von Leverkusen dominiert, die nicht nur hier einen deutlichen Qualitätsvorsprung offenbarten. Diese Leistung war eines Bundesligisten mit Europa-Ambitionen unwürdig und zeigte auf, dass noch eine Menge Arbeit vor Hütter steht, um die Handschrift des alten Trainers durch seine eigene zu ersetzen.

Der in der Vorbereitung und gegen Bayern so hochgelobte Joe Scally bezahlte erstmals Lehrgeld, was aber ein wichtiger Entwicklungsschritt für einen 18jährigen ist. Genau an solchen Spielen muss er lernen zu wachsen, damit aus ihm eine dauerhafte Größe in Borussias Mannschaft werden kann. An diesem Tag war er aber nur einer von 14 schwachen Borussen, die sich wie so oft in den letzten Jahren von Leverkusen auseinandernehmen ließen. Immerhin: Die kämpferischere Einstellung stimmte und die Mannschaft gab trotz aller Rückschläge nie auf, sondern versuchte sich gegen die Niederlage zu stemmen. Allein es fehlte am Glück und leider auch an der Qualität, um dies nachhaltig umzusetzen. So fiel die Niederlage am Ende vielleicht um ein oder zwei Tore zu hoch aus. In letzter Konsequenz war sie aber der hoch verdiente Ausdruck einer deutlichen Überlegenheit der Bayer-Elf.

Nächste Woche bei Union Berlin wird es nicht zwingend leichter für Borussia. Ohne eine deutliche Leistungssteigerung droht ein klassischer Fehlstart, der bereits zur ersten Länderspielpause für enormen Druck sorgen würde. Hinzukommt, dass Hütter zumindest auf einige der verletzten Spieler wird verzichten müssen. Die Breite des Kaders ist inzwischen nicht mehr so hoch, als dass dies problemlos aufgefangen werden kann. Da stellt sich fast unweigerlich die Frage, ob Borussia bis zum Ende dieser Transferperiode weitere Verstärkungen – und wenn ja für welche Positionen – in Erwägung zieht. Romain Faivre scheint ein heißer Favorit für die linke Mittelfeldseite zu sein. Gut möglich, dass zusätzlich noch eine günstige Alternative für den langzeitverletzten Lainer gesucht wird. Denis Zakaria dagegen dürfte es demnächst nach Italien verschlagen.

Die nächste Woche könnte daher richtungsweisend für den weiteren Saisonverlauf sein. Ein weiteres Jahr im Bundesliga-Mittelmaß sollte sich der Verein aus sportlichen wie aus finanziellen Gesichtspunkten möglichst nicht leisten. Bleibt zu hoffen, dass es stattdessen wie so oft in den vergangenen Jahren läuft, wo Borussia nach ähnlich hohen Niederlagen gegen Leverkusen zumeist eine positive Reaktion zeigte und auf diesen Ausrutscher zumeist Siege folgen ließ.